Mord im Zeppelin. Ulli Schwan

Mord im Zeppelin - Ulli Schwan


Скачать книгу
»Barker ist der Besitzer der Fluglinie. Er hat im Großen Krieg viel Geld gemacht und in den Jahren danach noch mehr. All das steckt in dem neuen Projekt: eine regelmäßige Linie von Luxus-Luftschiffen über den Atlantik. Die ersten Fahrten sind gut gelaufen, aber jetzt sucht er nach weiteren Finanziers – und hofft, sie bei meiner Familie zu finden.«

      »Sind Sie denn interessiert an einem fliegenden Hotel?«, fragte Annett.

      Becky nickte. »Deswegen haben wir die Einladung angenommen. Ich werde mir die Demetrio und Mister Barker mal ansehen. Na ja, und weil Miro einem so großen Spielzeug nicht widerstehen kann.«

      »Genauso wenig wie du einem Abenteuer, meine Liebe.« Miro legte einen Arm um die Schultern seiner Frau.

      Inzwischen hatten sie die Tische erreicht, an denen die Angestellten der Fluglinie zusammen mit den Zollbeamten saßen und die Pässe und Koffer der Reisenden untersuchten. Vor ihnen stand nur noch die Familie mit den beiden Kindern. Vater und Mutter waren in ein Gespräch mit den Beamten vertieft, die Tochter spitzte interessiert die Ohren, um alles mitzuhören, nur der Sohn lungerte gelangweilt herum. Der Junge – wohl acht Jahre alt – sah zu Miro auf und runzelte die Stirn, so als würde er angestrengt nachdenken. Er trug einen dunkelblauen Anzug mit kurzen Hosen, weißen Kniestrümpfen und eine graue Mütze.

      Becky sah, dass Miro den Blick des Jungen erwiderte und ihm zuwinkte. Miro mochte Kinder sehr, das wusste sie bereits. Und er nutzte immer die Gelegenheit, sie mit kleinen Zaubertricks zu überraschen. Sie beobachtete gespannt, was weiter geschah.

      Das Winken schien das Zeichen für den Jungen, reden zu dürfen. Er kam zwei Schritte auf Miro zu und fragte auf Deutsch: »Sie sind doch dieser Zauberer? Ich habe die Plakate gesehen und wollte hin, aber Papi sagte, wir hätten keine Zeit dafür.«

      »Sowas«, meinte Miro. »Wie wäre es mit einer Gratisvorführung? Jetzt und hier.«

      »Geht das denn?«

      »Nur, wenn du mir hilfst.« Miro zog eine Streichholzschachtel aus seiner Jackentasche und sah sich nach einer zweiten um. Fündig wurde er auf dem Tisch der Zollbeamten; aus Brandschutzgründen sammelten sie alle Feuerzeuge und Streichhölzer ein, da offenes Feuer auf dem Luftschiff verboten war. Also nahm Miro kurzerhand eine konfiszierte Schachtel und reichte sie dem Jungen. »Wie heißt du, Kleiner?«

      »Walther Kellermann Junior. Ich komme aus Koblenz.«

      »Also gut, Walther aus Koblenz.« Miro schob seine Streichholzschachtel auf. »Ich habe ein paar Hölzer. Und du?«

      Etwas linkisch drückte Walther Junior die Schachtel auf. »Ich auch.«

      »Sehr gut. Wie wäre es, wollen wir sie verschwinden lassen?«

      »Klar!« Der Junge lachte begeistert.

      »Dann mach mir alles genau nach.« Mit großen Gesten besprach Miro seine Schachtel, und Walther Junior folgte seinem Beispiel: Drehte die Schachtel, tippte mit dem Mittelfinger darauf, drehte sie erneut. Dann hielt Miro inne, schloss die Augen und schnippte. Langsam schob er seine Schachtel bis zu Mitte auf – und sie war leer. Walther Junior gluckste vergnügt.

      »Öffne deine Schachtel«, wies Miro ihn an, wobei er seine schloss.

      Walther Junior tat, wie ihm geheißen – und verzog enttäuscht das Gesicht: Alle Hölzer waren noch da. »Es hat nicht geklappt«, sagte er mit trauriger Miene.

      »Ça alors!«, rief Miro in gespielter Überraschung. »Das kann der große Berlioz nicht auf sich sitzen lassen. Ich muss etwas falsch gemacht haben.« Er nahm Walther Junior behutsam die Schachtel ab, untersuchte sie fachmännisch, hielt sie neben seine, schüttelte beide, legte eine ans Ohr und sagte endlich: »Jetzt muss es klappen. Versuchen wir es noch mal.«

      Walther Junior nahm die Schachtel entgegen, schüt­telte, um die Hölzer darin zu hören. Wieder folgte er den Anweisungen Miros, drehte sie, tippte sie an, drehte sie, bis Miro schnippte. Miro nahm sie ihm ab, schob die Schachtel auf – und es waren keine Hölzer zu sehen. Walther Junior lachte und klatschte begeistert in die Hände.

      »Voilá!« Miro grinste, wobei er die Schachtel schloss.

      Da wurde der Junge an der Schulter gegriffen und fortgezogen. Walthers Mutter stellte sich zwischen Miro und ihren Sohn und schoss einen bösen Blick auf den Illusionisten ab. »Ist es bei ihnen üblich, fremde Kinder zu belästigen?«, fuhr sie ihn an.

      Überrascht über den harschen Ton zögerte Miro, bevor er sich in einer Entschuldigung leicht verbeugte. »Verzeihung, ich hatte nicht die Absicht, Ihren Sohn zu belästigen. Er schien sich etwas zu langweilen.«

      »Er ist ein anständiger Junge«, stellte die Mutter klar. »Er braucht keinen Umgang mit Menschen Ihres Schlages.«

      »Meines Schlages?«, wiederholte Miro verwirrt.

      »Franzosen!« Die Mutter zischte dieses Wort wie eine Verwünschung, drehte sich auf dem Absatz um und schob Walther Junior an der Theke vorbei, darauf achtend, dass der Junge ja nicht zurückblickte.

      Miro starrte der Frau hinterher.

      Becky konnte ihm ansehen, dass die Freude fortgewischt war, die ihm die Begeisterung des Kleinen geschenkt hatte. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. Es bedurfte keiner Worte zwischen ihnen, denn solche Szenen hatten sie schon zu oft erlebt.

      Die Wunden, die der große Krieg zwischen Franzosen und Deutschen geschlagen hatte, waren so tief wie die Schützengräben und für die meisten so unüberwindlich wie die stacheldrahtbewehrten Felder dazwischen. Ihr Mann hatte vier Jahre gegen deutsche Soldaten gekämpft, für ihn war die Zeit des Hasses aufeinander lang genug gewesen; umso enttäuschter war er, wenn er sah, dass dieser Hass bei vielen immer noch brannte.

      Die letzten Wochen in Amerika waren in dieser Hinsicht so ganz anders gewesen. Bei den vielen Fremden und den verschiedenen Nationalitäten waren Miro und sie – ganz anders als sonst – gar nicht aufgefallen.

      »Wir sind dran«, sagte Becky leise auf Französisch.

      So traten sie Arm in Arm vor und einer der Zöllner fragte: »Name?«

      »Rebeka Berlioz. Mit einem K, mein Vater hielt Doppelbuchstaben für Verschwendung.« Der Zöllner blickte kurz auf, grinste und fuhr dann fort. Da Miro sich gewissenhaft um alle Formalitäten gekümmert hatte, wurden die beiden schnell durchgewunken.

      Miro öffnete den Koffer mit seinen Zauberutensilien, die Zöllner warfen aber nur einen kurzen Blick darauf. Becky sah, dass ihr Mann die beiden Streichholzschachteln mit leichtem Bedauern in einen Abfalleimer warf. Er hatte ihr jedoch mal erklärt, dass er in einem solchen Fall lieber auf einen Trick verzichtete, als ihn zu erklären.

      Wie von Barker versprochen, wartete bereits ein junger Mann von ungefähr fünfzehn Jahren hinter dem Zollschalter auf sie. Er trug wie alle anderen Angestellten der Gesellschaft eine grüne Livree, auf der Brust prangte ein goldenes B in einem Federnkranz, das Symbol der Barker-Fluglinie. Er hatte rotblondes Haar und ein som­mersprossiges Gesicht mit Stupsnase.

      »Mister und Misses Berlioz? Miss Jennings? Sehr erfreut. Gus Noles, ich bin Ihr Kabinenboy auf diesem Flug. Wenn Sie irgendwelche Wünsche haben, ich bin immer für Sie da. Hier lang.«

      Er führte sie einen vollgestellten Gang entlang, wobei er es schaffte, mit der Karre, auf der ihre Koffer standen, nirgendwo anzuecken. »Sie haben doch bestimmt schon viel von der Welt gesehen, Mister Berlioz? Wo sie doch eine Welttournee hinter sich haben.«

      »Kann man sagen. Misses Berlioz ist allerdings auch weit gereist«, antwortete Miro.

      »Darauf wette ich. Das sieht man den Koffern auf den ersten Blick an. Gute Qualität, nicht so ein schickes Zeug, das nur gut aussieht.« Er bog um eine Ecke und grinste sie über die Schulter an. »Aber so was haben sie noch nich' gesehen, darauf wette ich.«

      Sie bogen nun ebenfalls um die Ecke und Becky, Annett und Miro verhielten im Schritt beim Anblick des schlanken Riesen vor ihnen.

      »Wette gewonnen«,


Скачать книгу