Obsession. Piedro Vargas Koana
umschließt und ein tonnenschweres Gewicht an ihm herunterdrückt. Dabei ist sie schlank und federleicht. Vermutlich setzt sie besondere Muskeln ein, um dieses Gefühl hervorzurufen. Für sie selbst oder für mich? Während es geschieht, bin ich nicht fähig zu denken oder irgendetwas wahrzunehmen. Hinterher sehe ich mit geschlossenen Augen nur das Bild, wie sich ein Schloss um einen Schlüssel biegt, bis er dort einrastet und seine feste Stellung gefunden hat.
Jetzt beginnt die nächste Phase der Erregung. Mal bewegt sie sich nicht oder kaum, mal tanzt sie auf der Spitze meines Kosmos, in dem sich alles befindet, was mich jetzt noch ausmacht. Die Eichel glüht und pulsiert wie ein Neutronenstern. Masse und Energie sind vereint. Mein Kopf ist leer. Die Nervenzellen meines Gehirns sind durch die Blutbahnen in die Spitze meines Körpers verschwunden, die sie mit ihrer Muschi massiert. Im Kopf ein schwarzes Loch, ein Nichts, eine Leere, das Schwerezentrum und die Gravitationskraft in der Eichel.
Heute entscheidet sie sich für die Bewegungslosigkeit. Sie sitzt auf mir und öffnet wieder die Augen. Was kann ich in ihnen lesen? Milde auf alle Fälle. Auch viele Fragen. Liebe?
Wie immer sie es macht, ich weiß es nicht. Sind es ihre gut trainierten Scheidenmuskeln? Oder sind es ihre magischen Augen? Meine Erregung steigt und steigt. Es ist, als ob ein Stausee vollläuft und der Druck auf die Mauern immer größer wird.
Ich halte es nicht mehr aus! Da wir beide scheinbar völlig bewegungslos geworden sind und die Erregung immer weiter gewachsen ist, regt sich eine andere Energie in mir. Ich will sie! Für immer! Mutter meiner Kinder. Sie hat ihren Kopf ganz leicht nach hinten gebogen. Ich nutze diesen Moment der fehlenden Kontrolle und winde mich hervor, sie an den Schultern fassend, zur Seite drehend. Schon liegt sie auf ihrem Rücken, und ich dringe erneut in sie ein. Ihr Stöhnen zeigt mir, dass sie es braucht, will. Langsam nehme ich ihren Rhythmus auf und bewege mich in ihr. Nun bestimme ich das Tempo und die Intensität. Ich lausche ihrem Atem. Sie ist entspannt, gespannt. Einige ihre Muskeln drängen sich mir entgegen, andere suchen Halt an der Unterlage. Ein Bogen, in dem mein Pfeil sich bewegt. Meine Erregung steigt weiter. Kann ich den Abschuss noch verhindern?
Wie gern würde ich diesen Moment so hinauszögern, dass sich Millisekunden zur Unendlichkeit ausdehnen. Aber ich habe keine Kontrolle mehr. Oder doch? Was teilt mir ihr Atem mit? Er geht stoßweise und wird lauter. Wer hat die Kontrolle? Sie oder ich? Ich weiß es nicht. Ich bewege mich so, dass wir gemeinsam durch das Universum unserer Lust dahinfliegen.
Ich spüre, dass ich mich bewege. Aber sie steuert meine Lust, wie immer sie es macht. Ein Gefühl, als ob mein Penis in Zeitlupe abgeschnitten wird, wie in der entscheidenden Szene im Film von Nagisa Ôshima. Sada trennt das Glied vom Körper ihres Geliebten und tötet Kichizō, dessen Seele sich mit ihrer ganz vereint. Anjas Schrei durchzuckt mich. Ihr Orgasmus hat meinen ausgelöst.
Noch nie habe ich Rauschgift genommen, aber Filme über Drogensüchtige und deren Zittern gesehen. Ein Schuss Heroin und die bebenden Körper wurden wieder ruhig. Ich habe wieder einen Schuss meiner Droge Anja in meinen Adern und weiß nun, warum es goldener Schuss heißt. Ein heißer Strom durchfließt mich, erfüllt mich und lähmt mich zugleich.
Ganz leise sagt sie: „Es war nicht richtig davonzulaufen. Es tut mir leid. Ich habe dir wehgetan.“ Nach einer kurzen Pause. „Du bist unglaublich. Ich kann machen, was ich will. Ich komme nicht von dir los. Es sei denn...“
Ich bin zu schwach, um etwas zu sagen oder zu fragen. Nicht einmal denken kann ich. Was will sie mir sagen?
„Ich komme allein deshalb nicht von dir los, weil du mich immer wieder findest, selbst dann, wenn ich dich zutiefst gequält habe.“
Noch immer schweige ich. Es gibt nichts zu kommentieren, nichts zu fragen. Ich lasse mich auf meinem goldenen Strom treiben.
Dann sagt sie ganz überraschend: „Also kann ich auch bei dir bleiben. Lass´ uns jetzt sofort wieder zur Hütte zurückfahren. Jetzt oder nie.“
Brasilien - Deutschland
„Und dann lernen die Körper die Sprache der Seele: Sex.“
Paulo Coelho, Elf Minuten.
1
Brasilien, 1991
Ich heiße Piedro. Die ersten Jahre meiner Kindheit waren schön. Wir lebten in einer Lehmhütte nahe der Stadt Recife. Meine Mutter war eine bildschöne Frau. Sie fuhr morgens mit dem Fahrrad zur Bushaltestelle und von dort mit dem Bus in die Stadt.
Während sie arbeitete, spielte ich am Strand. Ich war glücklich. Meistens war ich allein. Manchmal traf ich auf andere Kinder.
Meine Mama war oft traurig. Wir hatten nicht viel zu essen, weil wir arm waren. Das war nicht schlimm für mich. Aber Mama war unglücklich. Oft hielt sie meine Hand und sagte: Piedro, es wird alles gut. Es wird uns bald besser gehen. Ich verstand sie nicht. Es war doch alles gut! Ihre braunen Augen streichelten und trösteten mich. Ihnen vertraute ich.
Von ihrer Arbeit erzählte sie mir nichts. Sie sprach immer nur von ihrer Hoffnung, dass es uns irgendwann besser gehen würde. Es war ihr Mantra, an das sie fest glaubte. Oft war sie auch tagelang bei mir. Ich fand das besonders schön. In diesen Zeiten war sie immer besonders traurig. Irgendwann verstand ich den Zusammenhang. Sie hatte keine Arbeit! Aber sie gab nie auf und fand immer wieder eine neue Anstellung. Zuletzt in einem Hotel. Dort übernachteten reiche Geschäftsleute. Ein Deutscher verliebte sich in meine Mutter. Das war unser Glück, auf das sie gewartet und gehofft hatte.
Herrmann hielt sich wegen eines Ingenieur-Projektes in Brasilien auf. Als er in unser Leben trat, war ich vier Jahre alt. Er wurde zu meinem Vater. Das Projekt dauerte ebenfalls vier Jahre. Dann musste Herrmann für seine Firma nach Deutschland zurück und verließ uns. Meine Mutter war sehr traurig und weinte die halbe Nacht. Wir lebten nun nicht mehr in der alten Hütte zwischen der Mülldeponie und dem Gewerbegebiet, vom Rauschen des Meeres in den Schlaf gesungen. Fehlte ihr das Meer oder fehlte ihr Herrmann? Er hatte uns eine kleine Wohnung angemietet und auch mir seine Sprache beigebracht. Als meine Mama mit dem Weinen nicht aufhören konnte, sagte ich zu ihr merkwürdigerweise auf Deutsch: „Mama, er wird wiederkommen.“
Ich hatte lange gewartet, bis ich diesen Satz sagte. Denn ich war verwirrt. In der Nacht vorher passierte etwas, das ich damals nicht verstand. Ich war zu Bett gegangen und durch einen wilden Traum mitten in der Nacht aufgewacht. Früher hatte ich nachts oft ins Bett gemacht. Ich spürte wieder dieses Brennen im Unterleib. Schlaftrunken stand ich auf und ging ins Bad. Nachdem ich mich erleichtert hatte, schlich ich ins Kinderzimmer zurück. Durch die geöffnete Schlafzimmertür hörte ich Geräusche, die ich nicht kannte. Es war die Stimme von Mama. Weinte sie? Leise ging ich näher und sah durch den Spalt der Tür, wie sie nackt auf dem Bett lag. Ihre großen vollen Brüste schwangen auf ihrem Oberkörper hin und her, wie ein Karussell. Es sah lustig aus. Dann erblickte ich Herrmann, der auf ihr lag. Was ich sah, machte mich wütend. So oft hatte ich mit ihrem Busen spielen wollen, und sie hatte es mir verboten. Herrmann bewegte sich mit seinem Körper. Er war es, der ihre Brüste zum Kreisen brachte. Völlig erstarrt blieb ich vor der Tür stehen. Was machten die beiden? Warum durfte er etwas machen, was ich nicht machen durfte? Ich war ihr Sohn! Gespannt beobachtete ich weiter. Herrmann beugte sich herunter und saugte an ihren Brustwarzen. Mama hatte mir erklärt, dass ich das im ersten halben Jahr immer machen durfte. Ich trank ihre Milch. Aber Herrmann war doch kein Baby, sondern ein erwachsener Mann! Er nahm ihre Brustwarzen in seinen Mund und hielt sie mit seinen Lippen fest. Mama stöhnte jetzt noch lauter. Dann ließ Herrmann sie plötzlich los und bewegte sich auf einmal ganz schnell. Noch schneller. Er atmete schwer, als ob er einen steilen Berg hinauflaufen würde. Mama wurde noch lauter und schrie schließlich. Tat ihr Herrmann weh? Sollte ich reinlaufen und sie beschützen? Ihn von ihr stoßen? Bevor ich mich entscheiden konnte, bäumte sich Mama auf und schluchzte dann leise. Sie hielt Herrmann fest, der auf ihr zusammengesunken war, kraulte ihm die Haare am Hinterkopf und flüsterte etwas auf Portugiesisch. Das verstand ich nicht, obwohl ich die Worte klar hören konnte. Wieso Held? Wieso sollte er sie nicht verlassen? Da sich Mama wieder beruhigt hatte, schlich ich zurück in mein Bett und schlief verwirrt ein. Am nächsten Morgen hatte sich Herrmann beim Frühstück von uns beiden verabschiedet.