Obsession. Piedro Vargas Koana
„Weil ich dich liebe.“
Ich sitze völlig regungslos. Airbag, Gurt und meine Nervosität halten mich fest. Auch sie liegt halb auf mir.
Kann sie sich nicht mehr richtig halten? Ermüden ihre Rückenmuskeln? Oder ist es Zufall? Eine andere Erklärung kommt mir nicht den Sinn. Ihre rechte Hand rutscht jedenfalls langsam vom Oberschenkel in die Mitte meiner Beine und drückt auf den Penis. Ich stöhne auf.
Da ich mich nicht bewege und keine typischen männlichen Macho-Sprüche mache, so meine Erklärung, macht sie weiter. Sie öffnet meine Hose und befreit meinen Penis aus seinem Gefängnis. Er springt ihr entgegen. Sie nimmt ihn in ihre Hände und massiert ihn. So langsam, dass ich nicht weiß, ob sie überhaupt etwas tut. Weil ich nicht möchte, dass sich an dieser Situation überhaupt etwas ändert, halte ich still. Ganz still. Erstarre völlig. Mein Penis folgt diesem Muster und wird immer härter. Granit ist weich dagegen. Mein Höhepunkt kommt näher. Kurz davor nimmt sie meinen Schwanz in den Mund und wird auf einmal zu einem schwarzen Panther mit messerscharfen Zähnen. Sie beißt zu!
Ich schnelle im Bett nach oben. Welch ein Alptraum! Keuchend erhole ich mich langsam, während eiskalter Schweiß den Rücken hinunterrinnt.
Langsam lasse ich mich wieder ins Bett sinken. Soll ich der Angst nachspüren oder der sexuellen Begierde? Beide Gefühle streiten in mir. Die Erschöpfung trifft die Entscheidung und legt mich flach. Mein Atem beruhigt sich, meine Gefühle tun es nicht. Minuten später übernimmt mein Bewusstsein wieder die Verantwortung. Ich stehe auf und dusche. Heiß. Kalt. Ein Plan entsteht.
Nun warte ich ungeduldig. 9.00 Uhr. Vorher kann ich meinen Freund nicht anrufen. Er ist Langschläfer. Vor Mitternacht geht er nie ins Bett.
„Brockmann?“
„Thomas, hier ist Piedro.“
„Hi, wie geht es dir? Und überhaupt, wieso rufst du so früh an?“
„Bist du wach oder bist du wach?“
„Na ja, halb, halb.“
Ich grinse. „Thomas, du selbst hast 9.00 Uhr gesagt.“
Thomas ist Anwalt und Notar. Vor allem aber Jazzfan. Wir haben viele Konzerte gemeinsam gehört. Während des Studiums. Im Jazzkeller. In der Brotfabrik. Beim deutschen Jazzfestival. Ich berichte ihm vom Konzert, das ich gestern in der Brotfabrik gehört habe. Charlie Mariano am Saxofon, Joe Zawinul an den Keyboards. Thomas war leider verhindert gewesen, sonst wären wir gemeinsam dorthin gegangen. Ich versuche, ihm die Musik und Atmosphäre des Konzerts in Worten wiederzugeben. Es funktioniert nicht. Er spürt es.
„Was ist? Du wirkst so konfus?“
Ich erzähle ihm von der Frau und nenne ihm das Kfz-Kennzeichen. Für ihn als Anwalt ist es kein Problem, die Adresse des Fahrzeughalters zu erfahren.
Er lacht. “Du bist verliebt!“
Verliebt? Nein, das stimmt nicht. Es ist anders. Ich kann es nicht beschreiben und schweige.
Thomas ist nicht nur ein guter Freund. Auch ein guter Anwalt. Und ein Gedankenleser. Beide Seelen streiten wohl in seiner Brust als er sagt: „Da geht dein südamerikanisches Temperament mit dir durch. Das dürfen wir in Deutschland nicht.“
Was soll ich sagen? Es ist wie eine Bestimmung, der ich nicht ausweichen kann. „Sie oder keine andere.“
Ich muss es wohl mit so viel Bestimmtheit gesagt haben, dass sich Thomas für meine Befreiung entscheidet.
„Morgen rufe ich dich an und sage dir, wo sie wohnt. Das ist es doch, was du von mir willst?“
4
Am nächsten Tag. Ich habe ihre Adresse. Was soll ich tun?
Hinfahren. Sturm klingeln. Sagen meine stürmischen Gefühle.
Nein, sagt mein Verstand. Sie würde mich als Versicherungsvertreter oder Postbote oder schlichtweg Störenfried abweisen. Chance vertan, vermutlich für immer.
Kopf einschalten. Ja, und? Wenn er leer ist? Ich schaue aus dem Fenster und sehe auf eine Dornenhecke. Nicht gerade tröstlich. Mir fällt partout nichts ein.
Ab in die Küche. Kaffee kochen. Die Maschine rattert, als der Kaffee gemahlen wird. Die Milch schäume ich mit dem Schneebesen auf. Eine Idee entsteht. Später genieße ich langsam den herb-bitteren Geschmack nebst zwei Cantuccinis.
Ich setze mich an mein Notebook und fange an zu tippen. Jeden Satz überlege ich mit Bedacht. Es dauert eine Weile. Ich nehme mir Zeit. Schließlich geht es um ein großes Ziel: mein Leben! Dann lese ich den Brief wieder und wieder. Er gefällt mir. Ich trinke den mittlerweile kalt gewordenen Kaffee. Nun schreibe ich den Brief mit Füller auf feines Büttenpapier.
Liebe Anja,
was würdest du in folgendem Fall tun?
Nimm´ bitte einmal an, du hättest einen Hauch von einem Duft verspürt. Ein Duft, der in dir etwas berührte, eine Saite zum Schwingen brachte. Leider war dieser Eindruck nur sehr flüchtig. Du glaubst, dass die Erinnerung von Tag zu Tag schwächer werden wird; und du wartest, dass diese Erwartung auch eintritt. - Tage, Wochen später stellst du fest, dass dem nicht so ist. Der Duft, so schwach er auch zu spüren war, lässt dich nicht los. Du möchtest ihn wieder spüren. Um vielleicht festzustellen, dass der erste faszinierende Eindruck sich bestätigen könnte.
Was würdest du tun? Dich für das Vergessen entscheiden? Oder für das Warten, dass der Zufall dir diesen Duft wieder zuspielt? Oder aktiv etwas unternehmen?
Deine Antwort interessiert mich sehr. Ich möchte dir über mich sagen, dass ich mich für die Aktivität entschieden habe; sonst hätte ich diesen Brief nicht geschrieben.
Wenn auch mein Eindruck von dir nur ein sehr flüchtiger war, so ist doch etwas hängengeblieben, was mich nicht loslässt. Allerdings habe ich mehr aufgenommen als nur ein oberflächliches Bild. Das wäre mir auch zu wenig. So glaube ich, dich ein wenig zu kennen: Aus der Art, wie du deinen Kopf hältst, wie du gehst, wie du schaust - glaube ich etwas ableiten zu können über deine Persönlichkeitseigenschaften. Gleichfalls aus deiner Stimme und der Art wie du sprichst. Oder aus einem nur kleinen mir bekannten Teil deiner Interessen (und gerade dieser Teil ist mir sehr sympathisch).
Und aus allem habe ich für mich den Schluss gezogen (und mir Mut gemacht), dass du diesen Brief zumindest lesen und dir deine Gedanken machen wirst. Ich glaube auch, dass du ein wenig neugierig bist (im positiven Sinne). Vielleicht fragst du dich, wer ich bin? Wo wir uns schon einmal begegnet sind? Ob wir schon miteinander gesprochen haben? Ob ich zu schüchtern bin, dich im persönlichen Kontakt anzusprechen?
Ich habe ganz bewusst diesen Weg gewählt, weil ein anderer Weg nicht ging bzw. nicht adäquat war. Außerdem halte ich diesen Weg für nicht uninteressant; lässt sich daraus doch ein schönes Puzzle entwickeln. Ich hoffe, du bist damit einverstanden, dass ich dir in den nächsten Tagen ein weiteres Puzzleteil zuschicken werde.
Ich lege mich schlafen. Am nächsten Morgen schaue ich erneut auf meinen Brief. Ohne ihn zu unterschreiben, meinen Namen möchte ich ihr nicht verraten, lasse ich ihn in ein gefüttertes Couvert hineingleiten. Behutsam. Sanft. So wie ich sie gern berühren möchte. Ich stelle mir vor, dass sie ein scheuer Schmetterling ist. Jede zu schnelle Annäherung würde ihn vertreiben.
5
Die nächsten Tage geschieht nichts Besonderes. Ich beobachte mich und stelle fest, dass ich innerlich völlig ruhig bin. Zwar fühle ich eine Anspannung, wie vor einem großen Rennen oder wichtigen Ereignis, aber ich spüre dennoch keine Nervosität. Ist es der Spreizschritt des Zen-Meisters? Beherrsche ich diese Kunst – zumindest ein wenig? To be involved and not to be involved. Mit einem Bein im Geschehen stehen, mit dem anderen außen vor bleiben und sich und seine Gefühle beobachten, von ihnen nicht gefangen genommen werden. Mir ist klar, dass allein der Gedanke schon hochmütig ist. Der zweite Brief reift in mir, während ich überlege, wie schnell ich