Die Weltgesundheitsformel. David Ekwe Ebobisse
weltweite Ungleichheit effektiv vorzugehen. »Ist das vielleicht so gewollt?«, könnte man fragen. Und gibt es da vielleicht eine extrem reiche Oberschicht, die von diesem Status quo profitiert?
Eine Untersuchung ist es wert.
Eine vernünftige Entscheidung. Immerhin handelt es sich hierbei um eine Entwicklung, die dazu geführt hat, dass heute jeder vierte Erdbewohner in einem Slum lebt oder besser gesagt überlebt. Während zwei Milliarden Menschen heute immer noch kein elektrisches Licht haben und der durchschnittliche Dritte-Welt-Bewohner nur 2-8 % von dem verdient, was wir im Westen bekommen, jammert der verwöhnte Europäer über die zu hohen Spritpreise, die ihm nicht länger erlauben, seine hoch motorisierten Spritschleudern und seine großkarossigen Luxusschlitten vollzutanken. (Quelle: Die vierte Energie Revolution, Regie: Carl-A. Fechner) Die Verhältnismäßigkeiten sind vollkommen auf den Kopf gestellt und extrem aus dem Gleichgewicht geraten. Klar ist, dass von der gesteigerten Lebensqualität sowie dem hohen Lebensstandard des Westens, der durch die Industrialisierung der Landwirtschaft und eine verbesserte medizinische Versorgung zustande gekommen ist, im Süden nur der Müll ankommt, der hier sowohl für einen groß angelegten Geno-, also auch einen ebenso wahnwitzigen Ökozid sorgt.
Was ein Genozid ist, weiß ich: Das ist ein Massenmord an einer bestimmten Gruppe von Menschen. Aber was ist ein Ökozid?
Ein Massenmord an allen Bewohner des Ökosystems, der schleichend, aber doch klar erkennbar die Umwelt zerstört, wobei sich in Indien heute alle zwei Stunden ein Bauer das Leben nimmt.
Wieso?
Vor allem wegen der Subventionen, die westliche Großbauern bekommen, sind Kleinbauern in aller Welt nicht mehr wettbewerbsfähig. Zudem wird ihr Saatgut mehr und mehr von großen Agrar- und Chemiekonzernen patentiert, sodass sie keine landwirtschaftlichen Produkte mehr herstellen können, ohne giftige Pestizide, Pflanzschutzmittel und Düngemittel zu kaufen. Weil auch die Saat nach der Ernte nicht mehr einbehalten werden kann, können die Kleinbauern ihre Familien nicht mehr ernähren und trinken aus Protest oftmals sogar die toxischen Düngemittel, um auf ihr Leid aufmerksam zu machen. Aber von einem Märtyrertod kann hier nicht die Rede sein, denn wer interessiert sich schon für Millionen toter indischer Bauern? Höchstens Umweltaktivisten wie Vandana Shiva. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und beschreibt »die Industrialisierung der Landwirtschaft« als »Suizidwirtschaft«, als groß angelegten »Genozid«, ja sogar als »den größten der Welt«.
Die steigende Selbstmordrate bei verarmten Kleinbauern ist aber nicht nur in Indien ein Problem. Die gesamte Landbevölkerung des immer hilfloser werdenden Südens ist davon betroffen. Hinzu kommen Zukunftsängste und Perspektivlosigkeit. Leiden, gegen die kein Medikament etwas tun kann. Und selbst wenn, könnte es sich die ausgebrannte Landbevölkerung sowieso nicht mehr leisten. Selbst im Portugal und Griechenland unserer Tage wächst die Armut beharrlich und die Lebens- und Sterbebedingungen werden von Tag zu Tag schlechter. Ein schreckliches Szenario, das auch den reichen europäischen Nationen des noch immer wohlständigen Nordens droht, wenn nicht schleunigst etwas geschieht, so die Experten. Wie ein Kartenhaus bricht das ohnehin gewagte Unternehmen »EU« und mit ihm die gesamte Weltwirtschaft allmählich in sich zusammen.
Vor allem aber die Menschen des Südens sind von den wachsenden Missständen schwer gezeichnet und bleiben bei der rasanten Entwicklung des Westens vollkommen außen vor. Und auch, wenn sich die Erdbevölkerung seit 1950 mehr als verdoppelt hat und eine bessere medizinische Versorgung Menschen länger am Leben hält, stirbt alle drei Sekunden ein Mensch an Hunger.
Ihr Hunger ist kein Schicksal, sondern Mord!
Aber wieso ist das alles so? Wieso ist der Wohlstand so unproportional verteilt? Und vor allem: Wer ist dafür verantwortlich?
Die Frage ist durchaus berechtigt, wo doch unsere Industriegesellschaft eigentlich Nahrungsmittel für zwölf Milliarden Menschen produziert und wir bei einer Weltbevölkerung von sieben Milliarden eigentlich genug zu essen für alle haben müssten. Aber nein. Wenn wir die überproduzierten Nahrungsmittel nicht mehr essen können, müssen sie zerstört werden. Denn die Lebensmittel den Armen einfach zu schenken, ist wegen der Preisstabilität des Marktes — die nicht gefährdet werden darf — undenkbar. Lieber also noch haltbare Produkte und nährstoffreiche Lebensmittel wegschmeißen, als den Hunger der Armen zu stillen, ist die Devise. Im Wegschmeißen sind wir sowieso Weltmeister. In den Industrieländern wird täglich die Hälfte aller Nahrungsmittel weggeschmissen und unzählige Konsumgüter gleich mit. Während wir an einem Mangel an Rohstoffe fast zugrunde gehen, werden unlogischerweise gleichzeitig so viele Waren und Lebensmittel hergestellt, dass wir an einer chronischen Überproduktion leiden.
Wie? Da muss ich jetzt aber mal nachhaken — wir produzieren Essen für zwölf Milliarden Menschen, schaffen es aber nicht sieben Milliarden zu ernähren und werfen die Überschüsse einfach weg?
Ja. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben wir die Wertschätzung für Lebensmittel vollkommen verloren. Eine Studie der UNO zeigt, dass deutsche Haushalte sogar mehr als die Hälfte ihrer Nahrungsmittel schon wegschmeißen, bevor sie überhaupt auf den Teller kommen, während sich die Armen in den Ländern des Südens Schlammkuchen aus Lehm, Salz und Wasser backen müssen, um zumindest irgendwas im Bauch zu haben, was ihr permanentes Hungergefühl unterdrückt. »Fast die Hälfte aller Nahrungsmittel weltweit wird weggeworfen«, fand die britische Institution of Mechanical Engineers (IMechE) nun heraus. Und von den vier Milliarden Tonnen an Nahrungsmittel, die jährlich produziert werden, landet die Hälfte, also zwei Milliarden Tonnen, nicht auf dem Teller, sondern auf ständig wachsenden Müllbergen. Eine Bilanz des Grauens, die zeigt, wie rücksichtslos, unverantwortlich und verschwenderisch wir mit unseren Nahrungsmitteln und dem Leben anderer Menschen umgehen.
Aber nicht nur Nahrungsmittel, auch Wasser wird in rauen Mengen verschwendet. »An die 5.500 Milliarden Kubikmeter Wasser fließen allein in die Produktion von Lebensmitteln, die niemals gegessen werden.« Weil sie vorher bereits verfaulen, fehlerhaft transportiert oder gelagert werden oder wegen optischer Mängel gar nicht erst auf den Markt kommen. So wird in Großbritannien bis zu 30 Prozent des angebauten Gemüses nicht einmal geerntet, weil es nicht dem optischen Anspruch des Marktes entspricht. (Quelle: Nexus Magazin, Ausgabe 46)
Was wir als Otto-Normalverbraucher im Kleinen machen, machen die großen Discounter uns natürlich im großen Stile nach. Supermärkte kaufen nicht nur das ein, was sie sicher loswerden, sondern was der Kunde optimal brauchen könnte, und bestellen lieber zu viel als zu wenig. Damit selbst am späten Abend nie etwas ausverkauft ist und der verwöhnte Kunde auch um 23 Uhr noch vor vollen Einkaufsregalen steht, werden pro Tag in jeder deutschen Filiale durschnittlich 45 Kilo Lebensmittel weggeworfen. Analog dazu verhalten sich deutsche Haushalte, die jährlich durchschnittlich Nahrungsmittel im Wert von 20 Milliarden in die Mülltonne geben.
Aber wieso können wir nicht einfach das Essen, das wir nicht mehr brauchen, rüber nach Afrika schicken, wenn so viel davon übrig bleibt?
"Weil die Mechanismen der globalen Marktwirtschaft langfristig nicht zulassen, dass andere, die nichts dafür tun, etwas von unserem Kuchen abkriegen", gibt uns Jean Zieglers in seinem Buch »Wie kommt der Hunger in die Welt« zu verstehen: "Infolge der globalisierten, wild wütenden Kapitalweltmärkte ist eine Weltordnung entstanden, die den Lebensinteressen der großen Mehrheit zuwiderläuft. Von 6,2 Milliarden Menschen leben 4,8 in einem der 22 sogenannten Entwicklungsländer meist unter unwürdigen Bedingungen. 100.000 Menschen sterben jeden Tag an Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen. Alle 7 Sekunden verhungert ein Kind unter 10 Jahren. Dieser tägliche stille Völkermord geschieht auf einem Planeten, der vor Reichtum überquillt. Dabei könnte die Erde problemlos 12 Milliarden Menschen hinreichend ernähren. Hunger ist kein Schicksal, hinter jedem Opfer steht ein Mörder."
Ziegler zufolge sind also die globale Marktwirtschaft und die politisch-wirtschaftlichen Strukturen dafür verantwortlich, dass von unserm Wohlstand im Süden nur der Müll ankommt und sich an seiner elenden Situation nichts ändert?
Ja. So kann man es sagen. Seiner Meinung nach sind es der Kapitalismus und die Mechanismen