Ehre und Macht. Julia Fromme
„Heiraten, heiraten!“
„Das Mädchen hat Recht“, mischte sich nun auch der Priester ein. „Es ist seit Jahrhunderten Brauch, einen Verurteilten unterm Blutgerüst freizukaufen.“ Wie sah das aus, wenn der Vertreter der Kirche hier nur stumm beiseite stand, ohne in dieser Angelegenheit das letzte Wort gesprochen zu haben. Das war eine Sache Gottes, hier wurde über Tod und Leben entschieden. Zu schnell schien er vergessen zu haben, dass er gerade noch Falks schnellen Tod gefordert hatte. Aber zu wichtig war es ihm, als Unterstützer eines Wunders angesehen zu werden. Die meisten Menschen hier sahen die Geschichte als Gottesurteil und es würde der Kirche nur zum Vorteil gereichen, wenn sie den angeblichen Willen des himmlischen Herrschers nicht in Frage stellte. Und deshalb forderte er nun auch das Leben des Verurteilten für das Mädchen.
„Ich werde mich mit dem Prälaten in dieser Sache beraten. Aber ich glaube, auch er sieht es als Willen Gottes an, dass dieser Mann und diese Frau das Sakrament der Ehe erhalten.“
„Nun gut“, meldete sich Nikel Jobst wieder zu Wort. „Ich werde die Sache mit dem Gaugrafen besprechen. In der Zwischenzeit sperrt die beiden zusammen in das Verlies“, wies er mit einem sarkastischen Lächeln seine Waffenknechte an. Sollte das dumme Mädchen ruhig spüren, was es hieß, gesetzlos zu sein.
„Meister Peter, ich glaube, wir benötigen Eure Dienste im Moment nicht mehr“, wandte er sich an den Scharfrichter. „Aber erwartet nicht, dass Ihr einen Lohn erhaltet. Schließlich habt Ihr mit Eurer Brut selbst dazu beigetragen, dass der Raubritter nicht gerichtet wird.“
Meister Peter verbeugte sich schweigend vor dem Amtmann. Letztlich war er froh, nicht weiter befragt worden zu sein, was seine Verwandtschaft mit dem Mädchen anging. Zum Glück interessierte sich niemand weiter für die Familienverhältnisse eines Henkers, der als unrein und damit als unehrenhaft galt. Die Menschen machten es sich wahrlich zu einfach, wenn es darum ging, mit den unangenehmen Dingen des Lebens nichts zu tun haben zu wollen. Von den feinen Bürgern der Stadt würde sich niemand hinstellen und einen Verbrecher, der ihnen Hab und Gut oder gar das Leben eines Familienmitgliedes genommen hatte, selbst zu richten. Dabei war es vor noch gar nicht allzu langer Zeit sogar üblich gewesen, dass ein Mann, der geschädigt war, das Urteil selbst vollstreckte. Aber jetzt, wo die Leute in schmucken Häusern in Städten wohnten, wollte sich niemand selbst die Hände mit dem Blut der Verurteilten besudeln. Es belastete ihn sehr, dieses Handwerk ausüben zu müssen, doch konnte er nichts dagegen tun, wenn er seine Familie ernähren wollte. Deshalb hielt er jetzt auch den Mund und hoffte insgeheim, dass der Ritter und das junge Weib mit heiler Haut davonkommen würden.
„Was, um Gottes Willen, geht da unten vor sich?“, fragte der Gaugraf aufgebracht den Amtmann, als dieser wieder zurückkehrte. „Wieso habt ihr die beiden zusammen wegführen lassen? Ihr solltet den Schellenberger zu Tode befördern, nicht mit einem Weib versorgen.“
„Sie ist die Tochter des Henkers“, verteidigte sich Nikel. „Außerdem hat sich der Pfaffe eingemischt und die Sache zu einer Angelegenheit des Himmels erklärt, indem er es als einen Wink Gottes ansieht, dass dieses Weib gerade jetzt aufgetaucht ist.“
„Was? Wieso?“ Miro von Louny war zutiefst verwundert darüber, dass der Henker eine Tochter hatte. Warum wusste er davon nichts? Doch interessierte ihn dieser Umstand erst einmal weniger. Nur, dass die Kirche nun auch noch darauf bestand, dass das Weib Recht hatte, ärgerte ihn maßlos. Der Pfaffe war ein Vertrauter des Prälaten des Passauer Bischofs. Wenn er jetzt dessen Urteil in Frage stellte, würde er sich die Kirche zum Gegner machen, und das liefe seinen ehrgeizigen Zielen, seine Macht über die Grenzen Lounys weiter auszubauen, sehr zuwider.
„Nun gut. Soll sie diesen Kerl doch heiraten“, sagte er. „Doch sobald sie die Ehegelübde abgelegt haben, erkläre ich beide für vogelfrei und lasse sie aus der Stadt jagen.“ Er lächelte böse. „Dann kann sie jeder wie tollwütige Füchse erschlagen. Ich glaube nicht, dass sie lange überleben. Also ist es letztlich vollkommen egal, wie der Halunke zu Tode kommt. Und das Weib hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn sie stirbt. Sie hat als Henkerstochter sowieso nichts mehr von dieser Welt zu erwarten. Doch führe ihr diesen Umstand nochmals vor Augen. Vielleicht überlegt sie es sich anders und hängt dennoch am Leben. Dann können wir die Sache, den Schellenberger ins Jenseits zu befördern, etwas beschleunigen.“
Falk beobachtete die junge Frau nun schon eine ganze Weile. Sie saß zusammengekauert in der Ecke unter dem Fenster, wohin sich ein Sonnenstrahl verirrt hatte, der wieder goldene Lichtreflexe in ihr Haar zauberte. Ihr Gesicht schien noch blasser als am Morgen und in ihren Augen stand die nackte Angst, als sie ihn anblickte.
Wie ist das nur möglich?, dachte Falk. Sollte sie wirklich von Gott gesandt sein? Eigentlich hatte er nie an solche Sachen geglaubt, stand göttlichen Dingen eher skeptisch gegenüber. Was, wenn es nun doch so etwas wie Wunder gäbe?
„Wie heißt du?“, fragte Falk. „Wie kommt es, dass du behauptest, mich zu kennen? Und, was mich am meisten irritiert, wieso sagst du, dass du mich liebst und heiraten willst?“
Stumm schaute ihn das Mädchen an, in ihren Augen schimmerten Tränen.
„Nun, ich weiß nicht recht. Erst bittest du um mein Leben und jetzt scheint es dir die Sprache verschlagen zu haben. Ich hoffe, du bereust deine Tat nicht, denn eigentlich hänge ich sehr am Leben. Diese Chance, die sich mir jetzt hier bietet, will ich wahrlich nicht verstreichen lassen. Ich verspreche dir, dich reich zu belohnen, wenn du dieses Märchen noch eine Weile aufrechterhältst.“ Er ging vor dem Mädchen in die Hocke und schaute sie eindringlich an.
Die junge Frau holte tief Luft und schniefte kurz. „Ich hatte meine Gründe, Euch das Leben zu retten“, sagte sie zu Falks Verwunderung. „Doch bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob es eine gute Idee war.“ Sie schluckte kurz. „Immerhin hält mich jetzt jeder für die Tochter des Henkers.“ In ihr Gesicht trat ein leichter Ausdruck des Bedauerns.
„Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Doch nun, da es einmal so ist, kannst du dieses Spiel auch noch eine Weile weiterspielen. Ich wäre dir sehr verbunden dafür“, sagte er mit einem Anflug von Schärfe in der Stimme. Allerdings bereute er es sofort, als sie ihn mit einem etwas weidwunden Blick anschaute.
Fast wie das Rehkitz, was mir vor einigen Wochen vor die Armbrust gelaufen ist, dachte er. Er hatte das Reh damals laufen lassen. Warum, wusste er bis heute nicht, denn so hatte er die Tafel des Herren von Chomotau um ein beträchtliches Festmahl gebracht. Nur, dass sie kein Rehkitz war und auch nicht braune, sondern graue Augen wie der Novemberhimmel hatte und alle seine Sinne verwirrte. Falk erhob sich seufzend.
„Was, glaubt Ihr, werden sie mit uns tun?“, fragte die junge Frau ängstlich.
„Ich hoffe, die Kirche setzt sich durch. Der Pfaffe will ein Wunder sehen. Und das glaubt er mit deiner Hilfe den Menschen vorsetzen zu können. Also denke ich, sie werden uns trauen und dann aus der Stadt jagen.“ Er sah, wie ihre Schultern vor Erleichterung nach unten sackten.
„Nun, wie auch immer die Sache hier ausgehen wird, ich bin dir zu Dank verpflichtet. Falls sie mich doch hinrichten, hoffe ich, du schließt mich in deine Gebete ein. Ich schätze, dir wird nichts weiter geschehen. Vielleicht vertreiben sie dich aus der Stadt.“
Falk verfiel ins Grübeln und zermarterte sich das Hirn, warum ihn das Mädchen an jemanden erinnerte. Nach einer Weile schoss es ihm durch den Kopf, dass er die Frau noch nicht einmal nach ihrem Namen gefragt hatte. Wieder ging er zu ihr und blieb direkt vor ihr stehen. Sie hob den Kopf, welchen sie auf ihren Knien abgelegt hatte und schaute ihn abwartend an.
„Wie heißt du?“, fragte er unvermittelt. „Wenn ich dich schon heiraten muss, dann will ich wenigstens wissen, mit wem ich es zu tun habe. Nicht, dass ich eine Wahl hätte“, setzte er mit trockener Stimme hinzu.
Ein trauriges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Ihr habt Recht. Verzeiht, dass ich Euch meinen Namen noch gar nicht genannt habe. Ich bin Krystina von Hauenstejn und...“
„Von Hauenstejn!“, rief Falk voller Verwunderung aus, ohne sie aussprechen zu lassen. „Wie kommt es, dass ein Fräulein von Stand sich als die Henkerstochter ausgibt.“ Er schüttelte ungläubig