Ehre und Macht. Julia Fromme
er ist mein Onkel“, antwortete sie verdrossen.
„Euer Onkel? Und was, zum Teufel, macht Ihr dann hier in diesem Drecksloch?“ Er konnte es nicht fassen. Krystina wollte gerade zu einer Antwort ansetzen. Da hörten sie draußen Schritte und alsbald wurde der Riegel aufgeschoben.
In der Tür erschien der Priester. Mit feierlicher Miene betrat er den Raum, und Falk hoffte, dass der Gesichtsausdruck des Pfaffen verhieß, bald die Sakramente der Ehe zu erhalten und nicht die zum Sterben. Nach ihm traten die beiden Knechte ein und schritten auf Falk zu.
„Da hast du Glück gehabt, Schellenberger“, sagte der eine respektlos. „Der Prälat konnte den Gaugrafen davon überzeugen, dass es Gottes Wille sei, dass du dieses Mal dem Henkersschwert entronnen bist.“ Er packte Falk grob an den Armen und löste dessen Fesseln, denn noch immer war er mit den Stricken gebunden gewesen, die sie ihm vor dem Gang zum Schafott am frühen Morgen angelegt hatten.
„Geht beiseite und lasst mich mein Amt verrichten.“ Wichtigtuerisch schob der Pater den Waffenknecht hinter sich, der daraufhin unwillig knurrte.
„Wenn Ihr mich fragt, hätte man die Hexe gleich mit hinrichten sollen“, sagte er unwirsch.
„Dich fragt aber keiner.“ Der Priester legte seine Stola um. „Und jetzt stelle dich neben den Gefangenen. Es muss ja schließlich auch Zeugen geben, die bestätigen, dass der Ritter hier in den heiligen Stand der Ehe getreten ist. Nicht, dass er es sich hernach einfallen lässt, sich nach einer standesgemäßen Braut umzusehen.“ Er lachte hämisch auf.
„Steh auf, mein Kind“, forderte er Krystina unter scheinheiligem, freundlichem Getue auf. „Und nun sage mir deinen Namen, damit ich euch miteinander verbinden kann.“ Abwartend blickte er ihr ins Gesicht. Einen kurzen Moment geriet Krystina in Panik. Doch sie fasste sich schnell. Wenn sie jetzt preisgab, dass sie eine von Hauenstejn sei, wäre alles umsonst gewesen.
„Ich heiße Krystina“, sagte sie ohne weitere Erklärungen, in der Hoffnung, dass der Priester sie immer noch für die Henkerstochter hielt. „Aber sagt mir, Ehrwürden, wo ist mein geliebter Vater. Soll er mich nicht diesem Manne zuführen?“
Falk war fassungslos. Gerade noch saß sie verängstigt in der Ecke und konnte ihm kaum Rede und Antwort stehen, und nun provozierte sie auch noch den Pfaffen, statt die Sache schnell hinter sich zu bringen.
Der Priester schien nicht minder erstaunt. „Nun, da es sich bei deinem Vater um den Henker von Louny handelt, wirst du wohl nicht wirklich erwarten, dass er hier anwesend ist. Außerdem werdet ihr kaum Gelegenheit haben, eure Vermählung gebührend zu feiern, denn der Graf hat euch für vogelfrei erklärt und lässt euch aus der Stadt jagen, sobald ihr Mann und Frau seid. Und nun gebt euch die Hand, ich habe nicht ewig Zeit.“
Falk ergriff Krystinas kleine Hand, die sich sehr kalt anfühlte. Das Mädchen zitterte leicht. Um ihr etwas Mut zu geben, drückte er sie ganz behutsam. Dankbar sah sie ihn an. Der Geistliche legte ein besticktes Band über ihre Hände.
„Ich glaube, unter diesen Umständen können wir die Sache etwas abkürzen. Ich nehme nicht an, dass jemand Anspruch auf das Mädchen erhebt und so können wir uns die ganze Farce mit dem Aufgebot und so weiter sparen.“ Er schaute herausfordernd auf die Waffenknechte, die zustimmend brummten.
„Also, Falk von Schellenberg, wollt Ihr die hier anwesende Krystina, Tochter des Meister Peter, Scharfrichter von Louny, ehelichen, sie lieben und ehren, bla, bla, bla und ihr treu sein bis in den Tod?“ Der Pfaffe lachte dreckig.
„Ja“, antwortet Falk ohne weitere Regung.
„Und du Krystina, willst du diesem Mann untertan sein, bis dass der Tod euch scheidet?“
Krystina zögerte einen ganz kurzen Moment. Ihr Blick fiel auf Falk, der sie voller Hoffnung anschaute. „Ja“.
„Dann erkläre ich euch vor dem Angesicht Gottes zu Mann und Frau.“
„Und nun schert euch zum Teufel.“ Der Waffenknecht schob den Priester unsanft zur Seite, packte die junge Frau derb am Arm und schob sie Richtung Tür. Der andere Kerl war hinter Falk getreten und versetzte ihm einen Stoß. Falk strauchelte leicht, fasste sich aber sofort wieder. Irgendwann würde es ihm gelingen, fürchterliche Rache zu nehmen für all das, was er hier erleiden musste. Er legte seinen Arm um die bebende Gestalt seiner jungen Braut und zog sie mit sich. Bald standen sie auf der Straße. Die Menge vom Morgen hatte sich zerstreut. Nur noch ein paar einzelne lungerten herum, in der Hoffnung, etwas von den weiteren Geschehnissen mitbekommen zu können.
„Sobald ihr aus der Stadt heraus seid, wird die Hetzjagd eröffnet“, schrie ihnen einer der Waffenknechte triumphierend hinterher. „Und wenn ihr nicht sofort losgeht, erschlagen wir euch gleich“, setzte er leiser hinzu.
Falk nahm die Hand Krystinas mit festem Griff und begann zu rennen, die junge Frau hinter sich herzerrend. Sie stolperte über ihre Röcke, doch konnte er keine Rücksicht darauf nehmen. Sie mussten zusehen, dass sie Land gewannen, denn die Büttel des Gaugrafen würden sicher auch schon vor der Stadt auf sie lauern. Noch wusste er nicht genau, wie sie aus der Stadt gelangen konnten, ohne draußen vorm Tor sofort niedergemacht zu werden. Sie rannten über eine schmale Brücke, die den Stadtkern mit den Häusern der wohlhabenderen Bürger mit dem Stadtteil verband, in dem vorwiegend Handwerker und Häusler angesiedelt waren. Hier drängten sich niedrige, oft windschiefe Holzhäuser, meist eher Hütten gleichend, dicht an dicht, getrennt durch unzählige kleine, dunkle Gassen, in die sicher niemand genauer schauen würde, der nicht unbedingt dazu gezwungen war.
„Da hinein!“ Falk drängte Krystina in den engen Spalt zwischen zwei Häusern, deren Dächer sich über die Wände beängstigend nach vorn wölbten und so eine Art Tunnel zwischen den Gebäuden bildeten. Am Ende der Gasse stießen sie auf ein Tor. Doch als sie sich dagegenlehnten, gab es zu Falks Verzweiflung nicht nach.
„Verdammt“, fluchte er leise. „Ich hätte schwören können, dass es hier zum Stadtgraben geht. Mit diesem blöden Tor habe ich nicht gerechnet.“
„Und was ist, wenn wir den Graben erreicht haben? Ich kann nicht schwimmen“, sagte Krystina mit ängstlicher Stimme. „Außerdem scheinen wir hier sowieso nicht weiterzukommen“, fuhr sie resigniert fort.
„Wir müssen zurück. Es bleibt uns nichts weiter übrig.“ Falk zuckte bedauernd mit den Schultern. Da öffnete sich wie von Geisterhand neben ihnen eine kleine Tür, die sie in dem verwitterten Holz des alten Hauses gar nicht bemerkt hatten. Eine hier im Dunkeln der Gasse nur schattenhaft auszumachende Gestalt winkte ihnen und raunte ihnen zu, hereinzukommen. Falk zögerte, denn was, wenn diese Person ihnen eine Falle stellen wollte? Da hörte er von Ferne das Geschrei der Waffenknechte des Gaugrafen vermischt mit Hufgetrappel, das ihm zeigte, dass Miro von Louny bereits Jagd nach ihnen machte.
„Kommt“, sagte er und zog Krystina mit sich. Kaum waren sie eingetreten, schloss sich die Tür nach ihnen wieder und es umgab sie vollkommene Finsternis.
„Keine Angst“, flüsterte jemand hinter ihnen. „Ich will nur sichergehen, dass die Tür richtig verschlossen ist, bevor ich Licht mache, damit auch ja kein Schein nach draußen dringt.“
Nach wenigen Augenblicken drängte sich die Gestalt in dem engen Gang an ihnen vorbei. Plötzlich wurde es heller, denn ihr Retter hatte eine weitere kleine Tür geöffnet, die in einen Garten hinter dem Haus führte.
„Hier entlang“, flüsterte er, und nun sahen sie, dass es sich um einen jungen Burschen handelte, der kaum dem Kindesalter entwachsen war.
„Wer bist du?“, fragte Falk. „Und wieso verhilfst du uns zur Flucht?“ Falk sah ihn verständnislos an. „Ist es eine Falle, in die wir gelaufen sind? Wirst du uns dem Gaugrafen ausliefern? Dann sei gewiss, dass ich unser Leben so teuer wie möglich verkaufen werde.“ Falk sah den jungen Kerl finster an.
„Nein, nein, Herr, keine Bange“, beschwichtigte der Junge den Ritter. „Ich war heute auf dem Marktplatz und habe miterlebt, wie Eure junge Frau um Euer Leben gebettelt hat. Nun ist es aber so, dass ich weiß, wer sie ist.“ Falk hörte Krystina hinter