Das Magische Universum. Christian Sternenfeuer
ab.
»Wo genau habt ihr den Schiffbrüchigen gesichtet?«, rief sie
fragend zum Top hoch.
Der Matrose sah von seinem hohen Aussichtspunkt nochmals
genau durch sein Sehrohr. Dann deutete er mit dem Arm in die
angegebene Richtung.
»Ungefähr zwei Seemeilen Steuerbord, Käpt’n. Der Schiffbrüchige
scheint sich an einem Stück Treibholz festzuhalten und
winkt zu uns herüber.«
Aurelia überlegte nur kurz. Es war seemännische Pflicht, einem
Schiffbrüchigem zu Hilfe zu eilen. Auch wenn es sie zur Eile
drängte, den Hafen von Ladimara so schnell als möglich zu erreichen,
konnte sie den Hilflosen nicht einfach seinem Schicksal
überlassen. De’Soto bemerkte aus den Augenwinkeln, welche Gedanken
dem Kapitän durch den Kopf gingen. Doch er hütete sich,
Einspruch gegen eine Rettungsaktion anzumelden. Das würde seinem
Ansehen nicht nur bei der Mannschaft, sondern auch beim
Kapitän den letzten Todesstoß versetzen und es würde vermutlich
nicht lange dauern, bis er eines Nachts mit einem Messerstich im
Rücken über Bord ging.
›Also besser die Gelegenheit für ein besseres Ansehen nutzen‹,
dachte de’Soto mürrisch.
»Käpt’n, ohne dass ich eurem Befehl zuvorkommen will – doch
wir sollten den Kurs ändern und dem Schiffbrüchigen zu Hilfe
eilen. Er ist nicht weit entfernt. Unser Zeitverlust wird sich daher
in Grenzen halten.«
Überrascht blickte Aurelia ihren ersten Offizier an. Eine solche
Bemerkung hätte sie von diesem eiskalten Geheimdienstoffizier
nicht erwartet.
»Das hatte ich auch vor, Erster. Doch es freut mich, dass wir
einer Meinung sind. Gebt dem Steuermann Befehl, Kurs auf den
Schiffbrüchigen zu nehmen und bereitet alles für die Bergung vor.«
»Aye Käpt’n, wird erledigt.«
De’Soto wandte sich an den Steuermann, um ihm die notwendigen
Befehle zu erteilen. Anschließend rief er den zuständigen
Bootsmaat zu sich.
»Sobald wir in der Nähe des Schiffbrüchigen sind, werft die
Strickleiter über die Reling. Falls er zu schwach sein sollte, um
selbst zu klettern, muss ein Beiboot zu Wasser gelassen werden,
damit wir ihn an Bord holen können.«
»Zu Befehl, Master. Ich werde selbst die Rettungsaktion übernehmen.
Zur Unterstützung hole ich mir noch zwei Matrosen«,
antwortete der Maat diensteifrig.
Schwerfällig drehte die Galeone auf den neuen Kurs, wodurch
sie sich langsam der heftig winkenden Person auf dem Treibgut
näherte. Aurelia verfolgte mit wachem Blick das Geschehen und
versuchte, die Person auf dem Wasser wieder in den Fokus ihres
Spektrakels zu bekommen. Inzwischen war die Galeone um einiges
dichter an sie herangerückt und deutlicher als zuvor konnte
sie die winkende Gestalt in Augenschein nehmen.
War das überhaupt ein Mann?
Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Aussehen. Doch der
Kopf tauchte immer nur kurz aus einem Wellental empor, um anschließend
wieder in der Dünung zu verschwinden. Daher war es
schwierig, Genaueres zu erkennen. Trotzdem glaubte Aurelia eindeutig,
eine fellbedeckte Gestalt erkannt zu haben. Was wollten
sie sich da an Bord holen?
»De’Soto«, rief sie ihrem ersten Offizier zu. »Lasst bei der Bergung
Vorsicht walten. Stellt sicherheitshalber zwei bewaffnete Matrosen
in die Nähe. Ich glaube, unser neuer Gast ist kein menschliches
Wesen sondern Angehöriger einer fremden Rasse.«
Überrascht hob de’Soto sein Spektrakel und versuchte das treibende
Bündel genauer in Augenschein zu nehmen. Inzwischen lagen
nur noch gut zweihundert Yard zwischen dem Schiffbrüchigen
und der Heiligen Kuh und so konnte er, auch mit seinem kleineren
Glas, Einzelheiten klar erkennen.
›Bei Neptun‹, dachte er verblüfft. ›Der Kapitän hat recht.‹
»Ich kann ihn jetzt deutlich sehen, Käpt’n und ihr habt recht, es
ist kein Mensch. Wir retten einen verdammten Ghurka.«
De’Soto verfluchte die Schicksalsgöttin. Ausgerechnet ein Angehöriger
dieses Volkes wurde von einem Schiff des Tempels gerettet,
welch ein Hohn. Das Verhältnis zwischen Menschen und
Ghurka war allgemein nicht schlecht. Eben wie zwischen Nachbarn,
die miteinander auskommen mussten ohne sich wirklich zu
mögen. Doch dem Tempel waren sie suspekt, wobei dieses Empfinden
durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Zu groß und zu
mächtig war der Einfluss der Ghurka auf den Handel des Arms.
Er störte damit das heimliche Machtstreben des inneren Zirkels
der Tempelführung.
Die Sekte konnte die Ghurka nicht unterwandern und ebenfalls
nicht verhindern, dass auf vielen Welten Handelsstationen dieses
Volkes eingerichtet wurden, mit denen die dortigen Bewohner regen
Waren- und Informationsaustausch trieben. Die Ghurka waren
raffiniert und gerissen. Sie fingen ihre Kunden mit niedrigen
Preisen, um, nachdem sie Fuß gefasst hatten, ihre Gewinnspannen
nach und nach zu steigern. Sie waren, schlicht gesagt, Sand im Getriebe
des gut geölten Uhrwerks, das die Sekte so erfolgreich betrieb.
Daher versuchte der Tempel mit aller Macht seinen Einfluss
geltend zu machen, um die lästige Konkurrenz zurückzudrängen.
Dazu setzte der Tempelorden vor allem auf die Arbeit seiner
örtlichen Agenten als auch des Geheimdienstes, der immer wieder
heimliche Aktionen gegen die ungeliebten Ghurka verübte. Wenig
erstaunlich daher, dass der heimliche militärische Arm der Sekte,
die gefürchteten Roten Korsaren, bevorzugt Handelsschiffe der
Ghurka überfiel.
De’Soto lächelte grimmig. Möglicherweise