Das Magische Universum. Christian Sternenfeuer
nahm die Hand
von der Waffe, um dann den Kopf in einer widerwilligen Geste der Entschuldigung
zu neigen.
»Ich bitte um Nachsicht, Master Ja’hir. Es ist, wie der Kapitän
sagt, mir sind die Sitten und Gebräuche eures Volkes fremd. Seht
mir diese unentschuldbare Unerfahrenheit nach. Es wird nicht
wieder vorkommen, dass ich eure Ehre in Zweifel ziehe.«
Noch immer grollend, setzte sich Ja’hir, um seinen Zorn mit
einem erneuten Schluck aus dem Kelch zu besänftigen.
»Darum bat ich euch, mit dem Schiff noch in diesem Gewässer
zu bleiben«, wandte er sich direkt an Aurelia. »Weil ich glaube,
dass euch diese Beute mehr als nur interessieren dürfte. Ich erbitte
für mich nur soviel, dass ich eine sichere Passage zu meinem Heimatplaneten
bekomme. Der Rest mag euch oder eurem Tempel gehören.«
Aurelia überdachte das Gesagte einen Moment und blickte
de’Soto fragend an. Sie war zwar der befehlshabende Kapitän,
doch sie wollte sich der Zustimmung des ersten Offiziers versichern,
der als heimlicher Aufpasser des Tempelrats ein gewichtiges
Wort an Mitsprache ausübte, wenn es um Angelegenheiten des
Tempels ging.
»Welche Schätze erwarten uns denn?«, erkundigte sich de’Soto
mit leichtem Spott. »Lohnt es überhaupt, dafür soviel Mühe auf
sich zu nehmen?«
»Ihr glaubt wohl, wir Ghurka würden Glasperlen und billigen
Tand als Schätze betrachten, so wie es eure Vorfahren vor langer
Zeit auf dem Planeten Erde taten. Auf vielen Welten versuchen
menschliche Händler immer noch die unwissenden Bewohner auf
diese Art zu betrügen. Doch da täuscht ihr euch, Master de’Soto.
Es handelt sich dabei um einige Kisten Juwelen, sowie einzigartigen
filigranen Schmuck berühmter Künstler vergangener Epochen.
Außerdem handgefertigte Kristallskulpturen höchster Qualität
und, das wichtigste, einige magische Artefakte, die das Herz
eines jeden Schatzsuchers höher schlagen lassen.«
Aurelia horchte auf. Zwar waren Gold, Silber und Schmuck immer
eine begehrte Beute für den Tempel, doch galt sein Hauptinteresse
eindeutig jedem magischen Gegenstand. Die Tempeloberen
versuchten mit allen Mitteln, jeder Schriftrolle mit Zaubersprüchen
oder Phiole mit geheimen Tränken habhaft zu werden. Vor allem jedoch
waren sie hinter magischen Waffen, Rüstungen und Gegenständen her.
»Wisst ihr, um welche magische Artefakte es sich dabei handelt?«,
wollte sie von dem mitteilsamen Ja’hir wissen.
»Mir sind nicht alle bekannt, Kapitän Lethos. Mein Vetter war
hinsichtlich der Artefakte sehr schweigsam. Doch wer bereits einmal
einen Zauberstab aus Orcaholz gesehen hat, vermag ihn wohl
zu erkennen, wenn er ihn vor Augen hat. Außerdem, und hier war
mein Vetter etwas geschwätzig, erwähnte er, dass er nun endlich
von der Herkunft dieser Stäbe erfahren hatte. Das es um diese
Information ging, die er auf Riva jemanden mitteilen wollte. Die
Koordinaten des Systems liegen in einem versiegelten Umschlag in
einer der Kisten.«
Aurelia stockte der Atem. Welch ein unglaublicher Zufall. Gerade
nach dieser Information suchte der Tempel schon seit ewigen
Zeiten. Auch Agent Gnorx war seit Jahren, wenn auch vergeblich,
mit Nachforschungen beschäftigt. Dies hatte er in ihrer Unterhaltung,
an die sie sich gut erinnern konnte, ausdrücklich erwähnt.
Eine einmalige Gelegenheit für den Tempel, wobei es als Zugabe
noch einen echten Zauberstab aus Orcaholz zu holen gab, der sein
Gewicht in Sternenstaub wert war.
»Was haltet ihr davon, de’Soto, lohnt es sich?« Spöttisch blickte
sie zu ihrem ersten Offizier, der auf seinem Stuhl saß, wo er den
Ausführungen des Ghurka mit halb offenem Mund gefolgt war.
Gier glitzerte in seinen Augen auf, denn die Möglichkeit, durch
diesen Erfolg in der Hierarchie des Tempels rascher aufzusteigen
als er es zuvor für möglich gehalten hatte, ließ ihn alles Misstrauen
und jede Vorsicht vergessen.
Wir sind euch sehr dankbar, Master Ja’hir, dass ihr uns diese
Beute als Geschenk für eure Rettung überlassen wollt.«
Stumm nickte der Ghurka mit dem Kopf, um sich dann, in Gedanken
versunken, eine weitere Kirifrucht zu nehmen.
»Dann werden wir, so nahe als möglich, bei der Insel Anker werfen,
um mit einem Beiboot an Land zu rudern. Bereitet alles vor, de’Soto.
Wir werden zehn Matrosen mitnehmen, alle bewaffnet. Sucht die
Zuverlässigsten aus und vergattert sie zu absolutem Schweigen, wir
werden sie als Träger benötigen. Ihr werdet in der Zwischenzeit das
Kommando über die Heilige Kuh übernehmen und meine Rückkehr
abwarten. Sollte etwas Unerwartetes geschehen, werde ich einen Signalpfeil
abschießen, der euch zu Hilfe ruft.«
›Was sollte Unvorhergesehenes passieren‹, dachte de’Soto spöttisch,
während er innerlich über die Äußerung seiner Vorgesetzten
lächeln musste. ›Jetzt fängt der Kapitän an, Gespenster zu sehen.
In dieser Wasserwüste gibt es weit und breit keine Gefahr für eine
schwer bewaffnete Galeone.‹
»Aye, Kapitän, ich werde sofort alles Notwendige veranlassen.
Der Steuermann wird sofort Kurs auf die kleine Inselgruppe setzen.«
Niemand von beiden bemerkte das stille Grinsen, das für einen
Moment über die Gesichtszüge des Ghurka huschte …
Von sechs Matrosen gerudert, näherte sich das offene Boot
schnell der kleinen Insel. Im Hintergrund, gut eine halbe Meile
entfernt, ankerte die Heilige Kuh unter dem Kommando des
ersten Offiziers im sicheren Tiefwasser, um ungeduldig auf die
Rückkehr der Schatzsucher zu warten. Aurelia saß zusammen mit
Ja’hir