Das Magische Universum. Christian Sternenfeuer
die in Hörweite auf das Ergebnis ihrer Unterredung
wartete.
»Kapitän Lethos, wäret ihr bereit, mit mir eine Unterhaltung
unter vier Augen zu führen? Ich sage euch unversehrte Rückkehr
zu und wir brauchen uns nicht außer Sichtweite eurer Leute zu begeben.«
Aurelia überlegte nicht lange, sie hatte nichts zu verlieren.
»Ich vertraue eurem Wort, Kapitän Stern. Ihr genießt anscheinend
den Ruf eines ehrenhaften Piraten, so ist es mir jedenfalls zu
Ohren gekommen.«
Sie wandte sich an ihren Bootsmaat Ismail.
»Maat, sollte mir etwas zustoßen, übernehmt ihr das Kommando.
Versucht, einen Durchbruch zu erkämpfen, um unser Schiff
zu erreichen. Oder, wenn dies aussichtslos erscheint, ergebt euch
und unterwerft euch der Gnade von Kapitän Stern. Ich habe gehört,
dass er seine Gefangenen anständig behandelt und sie nicht
als Sklaven verkauft oder über die Planke gehen lässt sondern bei
passender Gelegenheit in einer bewohnten Gegend freilässt.«
Der Maat nickte ergeben und ging wieder zu seinen Kameraden,
um sich mit einem niedergeschlagenen Gesichtsausdruck auf den
Boden zu setzen, wo er mit einigen seiner Kameraden zu tuscheln
begann.
Stern und Aurelia entfernten sich gut hundert Fuß von der
Gruppe und setzten sich dann auf zwei kleinere Steinblöcke, die
einen guten Platz für die bevorstehende Unterredung abgaben.
»Nun, Kapitän Lethos, ich will offen mit euch sprechen. Entweder es gelingt
mir, euch zu überzeugen oder ihr seid meine Gefangene,
Mylady. Schlimmer noch, ihr könntet im Kampf getötet
werden, was ich außerordentlich bedauerlich fände.«
Aurelia hob verwundert den Kopf. Was hatte der Kapitän des
Sternenteufel für einen hinterhältigen Plan, wo er doch so gut wie
alle Trümpfe in der Hand hielt? Sein Schiff war ihrer Galeone
weit überlegen, daher war an Flucht nicht zu denken, somit saß
sie buchstäblich in der Falle. Ihre einzige Chance bestand darin,
diesen Mann mit einer List hereinzulegen. Neugierig wartete die
Kommandantin der Heiligen Kuh auf das, was jetzt kommen
sollte. Dabei betrachtete sie den einäugigen Piraten, der sie so raffiniert
in die Falle gelockt hatte, mit einem durchaus wohlwollenden Blick.
»Kapitän Lethos oder darf ich euch Aurelia nennen, Mylady?«,
wobei Hieronymus Stern ihr leichtes Kopfnicken als Zustimmung
auffasste.
»Also, Aurelia, ich bin ein Gegner des Tempels wie auch seiner
Machenschaften. Ich hasse diesen Orden, der übler ist als die
schlimmsten Krankheiten, die Menschen jemals erdulden mussten.
Wie ein Krake breitet sich dieses Geschwür aus und verschlingt
dabei Welt um Welt. Ich bin nur ein kleiner Pirat, der dieser Hydra
nicht den Kopf abschlagen kann ohne dass ihr gleich zwei
neue nachwachsen. Doch ich versuche, mich zu wehren und ihnen
Schaden zuzufügen, denn ich bin wie eine immer wiederkehrende
Seuche für den Tempel. Noch nicht wirklich gefährlich, jedoch
unangenehm und lästig. Zuviel Herrscher auf zu vielen Welten
haben sich mit den Rotröcken eingelassen oder sind ihren Sirenengesängen
erlegen. Irgendwann werden sie bereuen, dass sie sich mit
diesem Lumpenpack verbündet haben.
Es muss Mittel und Wege geben, dieses Übel an der Wurzel zu
bekämpfen. Dafür brauche und suche ich nach diesen Artefakten,
denn sie sind imstande, mir diese Mittel an die Hand zu geben.
Ich habe einige seltsame Verbündete in diesem Kampf gefunden.
Jedoch es fehlt der Schlüssel, mit dem das richtige Schloss geöffnet
wird. Das Sehende Auge könnte mir dazu verhelfen, diesen Schlüssel
zu finden oder ist möglicherweise selbst der Schlüssel.
Jirr, ihr kennt ihn ja bereits als Ja’hir, sagte mir, dass etwas in
euch ist, dass mich hoffen lässt, ihr könntet eine Verbündete werden.
Ihr seht, ich vertraue euch Dinge an, um deren Wissen die
Tempeloberen viel geben würden.«
Aufmerksam hatte Aurelia dem einäugigen Piraten gelauscht
und seine Worte tief einsinken lassen. Sie spürte bereits intuitiv,
dass viel mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätzlichkeiten zwischen
ihnen vorhanden waren. Nur, dass sie auf verschiedenen Seiten
standen. In seiner Gegenwart empfand sie eigenartigerweise ein
Gefühl von … Geborgenheit, so seltsam das auch erscheinen mochte.
Etwas flackerte in ihrem Inneren auf, etwas, das sie seit langer
Zeit nicht mehr empfunden hatte. Konnte es tatsächlich sein, dass
sie, die eiskalte Kommandantin und Kriegerin Gefühle für einen
Feind des Tempels empfand? Zu lange war sie ohne Gefährten
gewesen obwohl es an Angeboten nicht mangelte. Doch seit ihrer
Trennung von Fürst Ramoris hatte sie nur gelegentlich einem
Liebhaber erlaubt, mit ihr das Lager zu teilen, um den Bedürfnissen
des Leibes genüge zu tun.
Ihr Herz war nie wieder berührt worden, so sehr sie sich auch
nach einem starken Partner sehnte. Angehörige des Ordens kamen
für sie aus innerer Überzeugung überhaupt nicht infrage. Andere
Männer hatten einfach nicht das Format, den Esprit, um mehr
als oberflächliches Interesse hervorzurufen. Sie rief sich zur Ordnung,
um die Aussagen des Kapitäns zu überdenken. Der Tempel
führte keinen offenen Krieg, denn seine Aktivitäten mussten nach
außen immer den Anschein von Rechtschaffenheit, von Respekt
vor den Herrschenden und von zur Schau gestellter Demut tragen.
In diesen Disziplinen hatten sie es zu unerreichter Meisterschaft
gebracht und damit in Jahrhunderten eine Welt nach der anderen
unterwandert.
Die Geschwindigkeit dieser schleichenden Übernahme hatte in
den letzten Jahren dramatisch zugenommen und mit Schrecken