Das Magische Universum. Christian Sternenfeuer
in Augenschein.
Es war ein kahles karges Eiland, deren höchste Kuppe gerade
mal tausend Fuß Höhe erreichte. An den steinigen Hängen
machte sich nur vereinzelt ein wenig Grün bemerkbar. Insgesamt
war es eine trostlose Landschaft. Sie war unverkennbar vulkanischen
Ursprungs, denn immer wieder stieß der tätige Schlund
kleine Rauchwolken aus, die seine Besucher zur Eile ermahnten.
Seevögel umkreisten die ungebetenen Gäste und kreischten ihren
Zorn zu ihnen hinunter. Eine ganze Flottille hatte sich über ihren
Köpfen versammelt, aus der ab und zu ein besonders mutiger Vogel
zu ihnen herabstieß, um dann blitzschnell wieder nach oben
zu schießen.
Verborgen vom Vulkankegel und unbemerkt von den wachsamen
Augen des Ausgucks der Galeone, kreiste auf der anderen
Seite der Insel eine zweite Vogelschar, um einen ebenso unerwünschten
Eindringling.
Kapitän Lethos sprang als Erste an Land und winkte den Matrosen,
ihr zu folgen. »Zeigt uns den Weg, Ja’hir, ihr seid ja bereits
hier gewesen«, bat Aurelia, die es vermied, dem unbewaffneten
Ghurka einen direkten Befehl zu erteilen. Immerhin hatte sie ihn
als Gast willkommen geheißen, da ziemte es sich ihrer Meinung
nach nicht, ihn wie einen gewöhnlichen Matrosen zu behandeln.
Inzwischen trug er wieder seine eigene Uniform, eine in Gold und
Blautönen gefärbte Jacke sowie eine dunkelblaue Hose aus einem
unbekannten Wollstoff. Er machte darin eine überaus stattliche
Figur und sie kam nicht umhin, seine imposante Erscheinung zu
bewundern.
»Folgt mir, Kapitän, wir müssen zu dem Einschnitt dort drüben«, wies Ja’hir
mit dem Arm in Richtung einer Schlucht, die den hohen Hügelkamm durchschnitt.
Mit großen Schritten eilte er vorweg, gefolgt von Aurelia, die ihre langen Haare
unter einem hellen Kopftuch versteckte. An der linken Seite hing ein Rapier,
das in einer verzierten Scheide aus Bronzeblech steckte. Sie war
an einem breiten Ledergürtel befestigt, der eng um ihre schmale
Taille geschlungen war. Dazu kam noch ein langer Dolch, den sie
rechtsseitig trug. Sie war auf alles vorbereitet und hatte die Männer
angewiesen, aufmerksam die Umgebung im Auge zu behalten.
Doch außer dem ständigen Gekreische der Seevögel bewegte sich
nur hin und wieder eine kleine Staubwolke, aufgewirbelt vom kräftigen
Wind oder den stapfenden Füßen der Männer.
In der Schlucht umfing sie wohltuender Schatten, der das helle
Tageslicht zu einem matten Schimmer verblassen ließ. Neben ihnen
erhob sich die steinige Wand zu beiden Seiten rasch in mehrere
hundert Fuß Höhe, um dem Licht der Sonne den Blick auf
den Grund der Schlucht zu verwehren. Schweigend marschierte
der Tross weiter und ließ die Galeone hinter sich zurück, die längst
ihren Augen entschwunden war.
Nach einem raschen Marsch von zehn Minuten bemerkte
Aurelia in gut dreihundert Fuß Entfernung endlich das Ende
der Schlucht und atmete erleichtert auf. Diese enge Kluft, kaum
zwanzig Fuß breit, bereitete ihr Unbehagen. Sie war so sehr an die
Weite des Meeres gewöhnt, dass sie sich von den dunklen Wänden,
die links und rechts emporstiegen, förmlich eingeschlossen
fühlte. Schneller wurde ihr Schritt und schließlich öffnete sich der
Schlund der Schlucht, um die Aussicht auf einen kleinen Talkessel
freizugeben. Dieser wurde von mehreren Erhebungen eingeschlossen,
deren auslaufende Hänge die große Talmulde bildeten.
Nach weiteren dreißig Schritten stoppte Aurelia, um das Gelände
einer gründlichen Musterung zu unterziehen. Nirgendwo war der
Eingang einer Höhle zu entdecken, sie würde den Ghurka fragen
müssen …
»Willkommen Kapitän«, ertönt eine männliche Stimme, die
selbstbewusst, fast schon ein wenig überheblich klang. »Ich habe
euch eigentlich ein wenig früher erwartet und musste mich daher
etwas in Geduld üben, was mir, zugegebenermaßen, ziemlich
schwerfällt. Doch eure Erscheinung lässt die Ungeduld im Nachhinein
leichter ertragen.«
Mit einem Wutschrei auf den Lippen drehte Aurelia sich um
und blickte zurück zum Eingang der Schlucht. Es mochten vierzig
bis fünfzig schwer bewaffnete Männer sein, die ihnen den Rückweg
zum Schiff abschnitten. Wilde Gestalten in abenteuerlicher
Kleidung verteilten sich halbkreisförmig um ihre kleine Gruppe.
Während vor ihnen einige weitere Dutzend Bewaffneter aus ihren Verstecken
auftauchten und ihnen damit den Weg ins Tal verwehrten.
Leicht verwirrt beobachtete Aurelia, wie der Ghurka sich
von ihr trennte, um sich neben den Fremden zu stellen. Doch auf
einmal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
»Oh, ich Närrin. Wie eine Anfängerin bin ich ihnen in die Falle gegangen«,
stöhnte sie lauthals in Selbstanklage auf.
Ihre Männer hatten die Säbel erhoben, wobei sie furchtsam zu
ihrer Anführerin schauten. Die Übermacht des Gegners war eindeutig.
Es gab keine Chance, zu entkommen. Nur mit Mut und List würden sie dieser
Falle entgehen können.
»Gebt euch zu erkennen, Pirat. Damit ich weiß, mit wem ich
es zu tun habe. Ich bin Kapitän Aurelia von Lethos, Schiffskommandantin
der Heiligen Kuh, die nicht weit von hier vor Anker
liegt und wahrscheinlich im Augenblick zwei bewaffnete Hundertschaften
meiner Leute ausschifft, weil ich noch nicht das vereinbarte Signal gegeben habe.«
»Ein netter Versuch, Kapitän Lethos. Ich darf mich ebenfalls vorstellen. Mein Name ist Hieronymus Stern, Kapitän der Fregatte Sternenteufel, die im Augenblick gerade ihre Armbrustgeschütze auf eure Galeone richtet.«
Aurelia stöhnte innerlich auf, welch ein böser Schicksalsschlag.
Ausgerechnet dieser Erzfeind des Tempels musste sich hier befinden.
Obwohl