Das Magische Universum. Christian Sternenfeuer
die Interessen des Tempels vertreten und sich dementsprechend verhalten.
»Was verschafft mir die Ehre, von euch persönlich überfallen zu werden, Kapitän Stern? Wäret ihr bereit, mich darüber in Kenntnis zu setzen? Ich dachte, ihr seid normalerweise auf bessere und leichtere Beute aus als sie mein Handelsschiff darstellt.«
»Ich muss euch zustimmen, Kapitän Lethos. Normalerweise
jage ich im Sternenmeer nach interessanteren Zielen und friedliche
Handelsschiffe, die nicht im Dienst des Tempels stehen, gehören
nicht unbedingt dazu. Doch in eurem Fall muss ich leider eine
Ausnahme machen, denn ihr habt lohnende Beute an Bord. Und
außerdem, geschätzte Feindin, seid ihr Angehörige des Tempels,
kommandiert ein Schiff des Tempels, transportiert Fracht für den
Tempel. Und alles, was mit dem Orden zu tun hat, ist für mich ein
lohnendes Ziel, wenn ihr versteht, was ich meine.«
Tief empfundener Hass sprach aus den Worten, die Stern mit
unterdrücktem Zorn hervorgestoßen hatte.
»Ich weiß zwar nicht, warum ihr den Tempel und seine Mitglieder
so zu hassen scheint. Doch was für Beute versprecht ihr
euch, Kapitän? Ich habe normale Fracht für Ladimara geladen.
Wein, Edelhölzer, dazu noch einige Tonnen Bier. Dies dürfte für
eure Mannschaft sicher eine begehrte Fracht sein«, versuchte Aurelia
einen psychologischen Angriff. Zustimmendes Murmeln erhob
sich aus den Reihen der Gegner, wobei manche der Männer
sich bereits in erwartungsvoller Vorfreude die Lippen leckten.
»Ein guter Versuch, Kapitän Lethos, doch was soll das? Meine
Männer werden noch genug Bier und Wein erhalten, wenn wir euer
Schiff erst entladen haben. Nein, mir geht es um andere Fracht.
Nicht um Juwelen, Gold oder Silber, sondern um die wahrhaft
kostbaren Dinge, für die der Tempel Entführung und Mord begeht
als auch Verrat an den eigenen Leuten nicht scheut. Ich spreche,
um eurem schwachen Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge
zu helfen, von magischen Artefakten. Und zwar nicht von irgendwelchen
Artefakten, sondern von dem Begehrtesten, Mylady. Ihr
habt ein Sehendes Auge in Shan’hor erhalten und werdet daher so
freundlich sein, es mir zu überlassen.«
Aurelia verfluchte die Quelle des Verrats, die sie nicht zu Unrecht
im Büro des Agenten Gnorx vermutete. Seine Gier nach dem
Auge war für sie mehr als deutlich erkennbar gewesen. Diesem
Mann traute sie jede Hinterlist zu und auch der Überfall auf dem
Hafengelände rechnete sie ihm an, doch dafür fehlten ihr leider
die Beweise.
»Ihr wisst mehr als ich, Kapitän Stern. Sicher werdet ihr mir die
Quelle nicht nennen, wozu auch. Ihr wollt sie ja schließlich noch
weiter nutzen. Doch so einfach werdet ihr nicht an das Gesuchte
kommen. Meine Order lautet: Wenn das Artefakt in die Hände
eines Feindes fallen könnte, ist es unter allen Umständen zu vernichten.
Was sollte mich also daran hindern, diesem Befehl Folge zu leisten?«
Hieronymus Stern musste die geschickte Gesprächsführung seiner
Gegnerin anerkennen. Sie hatte die Schwachstelle des Plans
schnell erkannt. Nun standen sie vor einer Pattsituation. Natürlich
konnte er sie und ihre Gruppe besiegen. Auch die Galeone auszuschalten,
war nicht das Problem. Der Haken war ganz einfach der,
dass die Vernichtung des Sehenden Auges unter allen Umständen verhindert
werden musste. Er konnte nicht sicher sein, dass es diese
Order nicht gab und dass ihr Stellvertreter diese Anweisung vor
einer Eroberung des Schiffes in die Tat umsetzte. Das Risiko war
ihm zu hoch. Es musste einen anderen Weg geben, in den Besitz
des Auges zu kommen.
Er wandte sich an Jirr Baa’thok, seinen treuen Leibwächter, der
seine Rolle als Ja’hir el Prado so hervorragend gespielt hatte und
fragte leise:
»Was meint ihr, Jirr? Ihr habt sie besser kennengelernt. Kann
man mit ihr eine Verständigung erzielen? Oder mit ihrem Stellvertreter,
der jetzt das Kommando über die Galeone hat?«
Ebenso leise versuchte der Ghurka zu antworten.
»Mit dem Stellvertreter de’Soto wird keine Einigung möglich
sein, Käpt’n. Er ist ein fanatischer Anhänger des Tempels. Daher
würde er eher seinen Kapitän opfern als die Artefakte an einen
der größten Feinde des Tempels herausgeben. Die Schiffskommandantin
ist anders. Sie riecht nach … Hass, nach Hass auf den
Tempel. Ich spüre in ihr eine eigenartige Leere. Sie scheint auf der
Suche nach etwas zu sein. Jedoch kann ich euch nicht sagen, wonach.
Macht ihr ein ehrenvolles Angebot, bei dem sie ihr Gesicht
wahren kann und sie wird euch den Artefakt aushändigen, da bin
ich mir sicher.«
Aurelia verfolgte die leise Unterhaltung der beiden mit gemischten
Gefühlen. Sie hatte zu dem angeblichen Schiffbrüchigen
Zutrauen gehabt. Ja, sogar eine intuitive Verbindung empfunden.
Nun fühlte sie sich nur schrecklich getäuscht. Sie spürte Angst
– Angst davor, dass ihre Suche hier zu Ende sein mochte. Angst,
dass sie hier scheiterte, ohne dass sie ihre Tochter gefunden hatte.
Sie würde alles dafür tun, um ihre Suche fortsetzen zu können,
mit oder ohne Unterstützung des Tempels. Wenn es sein musste,
würde sie sich auch mit seinem größten Feind verbünden, der ihr,
trotz der misslichen Situation, in die er sie gebracht hatte, durchaus
sympathisch schien.
Nun gut, er war ein Pirat, doch im Grunde war sie ebenfalls eine
Piratin, nur dass sie sich den Deckmantel des Tempels umgehängt
hatte. Verwirrt stellte sie fest, dass ihre Loyalität bereits vor jeglicher
Vereinbarung mit dem Gegner zu wanken begann. Dies war
eine vollkommen neue Erfahrung für Aurelia, die sie, jedenfalls
momentan, in große Gewissenskonflikte stürzte.
Hieronymus Stern richtete