Terapolis. Tom Dekker
skrupellos, gerissen und hat viele einflussreiche Freunde, die ihn decken, wenn es hart auf hart kommt. Gegen ihn zu kämpfen, bedeutet, seinen eigenen Untergang heraufzubeschwören.“, hauchte sie, den Blick fest auf die Feuerschale geheftet.
„Trotzdem. Irgendjemand muss ihm Einhalt gebieten. Er kontrolliert ohnehin schon die Wirtschaft der City und als Richter hat er auch viel Einfluss. Wenn er jetzt noch Gouverneur wird, ist seine Macht grenzenlos. Das wird die reinste Tyrannei.“, rief Greg wütend.
„Du hast vollkommen recht.“, sagte Josh mit ruhiger Stimme. „Ich fürchte nur, es gibt niemanden, der es wagt, ihm entgegenzutreten.“
„Ich würde es machen.“, platzte es trotzig aus Greg heraus.
„Sicher. Aber du bist zum Glück nicht in der Lage, ihn herauszufordern.“, brummte Frog und kicherte erleichtert.
„Jetzt vielleicht noch nicht. Aber ich glaube fest an dich, Greg. Irgendwann wirst du die Welt retten.“, hauchte Natty. In der Dunkelheit war ihr Gesicht nur undeutlich zu sehen, aber es kam Greg so vor, als hätten sich auf ihren Wangen kleine rote Flecken gebildet.
Suri lachte auf. „Aber sicher. Und wenn du die Welt gerettet hast und ein richtiger Held bist, dann steige ich mit dir ins Bett, Greg. Das verspreche ich dir.“
Greg spürte, wie diese anzügliche Bemerkung ihm die Schamesröte ins Gesicht trieb. Aufgewühlt starrte er ins Feuer, das allmählich kleiner wurde. Das Gespräch driftete zu Nebensächlichkeiten ab und er hatte Zeit, seinen eigenen Gedanken nachzuhängen.
Eine leichte Berührung an der Schulter ließ ihn zusammenzucken.
„Ich gehe dann mal. Morgen ist wieder Schule.“, sagte Natty und reichte ihm die Hand. Er nahm sie in seine Rechte und spürte die Sanftheit ihres Wesens selbst in diesem Händedruck. „Ich glaube an dich. Tu du es auch!“, hauchte sie ihm ins Ohr.
„Ich bring dich noch zum Tor.“, bot sich Frog an und erhob sich schwerfällig.
Natty rief allen ein fröhliches „Gute Nacht!“ zu, schnallte sich eine Fliegerhaube auf den Kopf und bestieg ihren Dieselroller. Beim fünften Kick startete der Motor tuckernd.
„Den muss ich morgen unbedingt mal einstellen. Irgendwann kriegt sie ihn nicht mehr an.“, raunte Greg Philt zu.
Der nickte versonnen. „Irgendwann habe ich auch so einen Roller. Dann kannst du nach Herzenslust daran herumschrauben und ihn zum besten Roller der City machen. Vielleicht lasse ich dich sogar mal damit fahren.“
„Ja, das wäre schön.“, seufzte Greg und lauschte versonnen dem sich langsam entfernenden Knattergeräusch von Nattys Dieselroller.
III
In der Morgendämmerung schlich Greg auf leisen Sohlen aus dem Lagerhaus. Philt grunzte in seiner Hängematte vor sich hin, Josh, Frog und Suri schnarchten in ihren Strohhaufen um die Wette. Peanuts Atem ging unruhig. Vermutlich träumte sie. Hoffentlich etwas Schönes, dachte Greg bei sich. Wie gern würde er auch noch ein paar Stunden dösen und träumen, doch er musste pünktlich in der Fabrik sein. Bummelei wurde mit dem Abzug von Wertmarken bestraft, selbst bei einem so freundlichen Unternehmer wie Jesua Fingrey. Vorsichtig schob er die verwitterte Tür auf, um zu verhindern, dass sie in den Angeln quietschte und er die anderen damit weckte.
Greg war bei Weitem nicht der einzige, der zu dieser Zeit auf den Straßen unterwegs war. Die letzten Nachtstreicher, Trunkenbolde und andere zwielichtige Gestalten, die ihr Tagewerk lieber bei Nacht verrichteten, kamen ihm entgegen. Doch der weitaus größere Strom an Menschen drängte in die Richtung, die auch Greg eingeschlagen hatte. Richtung Osten, zu den großen Fabriken, deren rauchende Schlote unablässig Wolken in den Himmel schickten. Greg reihte sich in den Strom der Arbeiter ein. Jetzt fühlte er sich sicherer. Wie jeden Morgen beeilte er sich, vom Lagerhaus bis zu den großen Straßen zu kommen. Der erste Teil des Weges war nicht ungefährlich. Oft war er ganz allein in den Gassen unterwegs. Niemand würde bemerken, wenn ihm etwas zustieße. Doch einmal in die Masse der Arbeiter, die auf dem Weg in die Fabriken waren, eingetaucht, verspürte Greg eine unbegründbare Sicherheit. So als würde sich diese Herde von Kollegen, die alle das gleiche Ziel hatten, wie ein schützender Kokon um ihn legen.
Greg ließ sich einfach vorwärts treiben. Seine Füße setzten sich automatisch vor einander und er konnte ungestört seinen Gedanken nachhängen. Wieder einmal träumte er sich in eine andere Welt, in der er jeden Morgen in eine richtige Schule gehen konnte, weil seine Eltern ihn zu einem Aethernauten ausbilden lassen wollten.Wie stolz sie wären, wenn er als gefeierter Entdecker und Abenteurer nach Hause zurückkehren würde. Ein verträumtes Lächeln stahl sich in Gregs Züge. Er war den Weg schon so oft gegangen, dass ihm der abrupte Übergang von den alten halb zerfallenen Gründerzeithäusern, die einen großen Teil seines Weges säumten, zu den riesigen Rauch ausstoßenden Fabrikgebäuden kaum noch auffiel. Erst, als mehr und mehr Heizer, Dreherinnern, Weberinnen, Gießer, Dampfmaschinenmonteure und weiß der Kuckuck was noch alles für Berufe in den vielen Werkhallen benötigt wurden, nach rechts und links abbogen, um zu ihren Arbeitsstellen zu gelangen und sich die Menge langsam lichtete, kehrte er mit seinen Gedanken in das Hier und Jetzt zurück.
„Na, Greg, ausgeschlafen?“, rief ein Junge mit verschlafener Stimme neben ihm.
Greg schüttelte den Kopf. „Aufgehört.“ Er musterte den Jungen neben sich ausgiebig. „Du siehst gar nicht gut aus, Orin.“, stellte er unverblümt fest.
„Wird wohl daran liegen, dass ich wieder eine Nachtschicht einlegen musste.“, brummte der Angesprochene leise.
„Nachtschicht?“, fragte Greg verwirrt.
Orin zuckte mit den Schultern. „Wir hatten gestern nichts mehr zu essen. Also mussten wir los und uns etwas besorgen.“
Greg runzelte die Stirn. Orin arbeitete genauso hart wie alle anderen in der Fabrik, aber seine kleine Gemeinschaft schaffte es nicht, genügend Wertmarken zu beschaffen, um über die Woche zu kommen. Das war doch nicht gerecht. Wie sollte Orin ordentlich arbeiten, wenn er zusätzlich noch nachts unterwegs sein und etwas Essbares stehlen musste?
„Es gab doch keine Schwierigkeiten?“, erkundigte sich Greg besorgt.
„Nein, heute nicht.“, sagte Orin. Ein breites Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. „Stell dir vor, wir haben drei Kisten Dosenbohnen gefunden. Standen einfach auf einer Parkbank. Und niemand weit und breit, dem sie gehört haben könnten. Ich konnte es kaum glauben, aber Lotus hat gesagt, wenn etwas so allein herumsteht, dann gehört es dem Finder. Davon werden wir ein paar Tage satt.“ Orin strahlte über das ganze Gesicht.
„Das freut mich für euch.“ Greg klopfte dem Jungen, der einen halben Kopf kleiner war als er selbst, kameradschaftlich auf die Schulter. „Sieh bloß zu, dass du heute bei der Arbeit nicht eindöst! Sonst fällst du noch in eine Gussform und dann war's das mit den leckeren Bohnen.“
„Eye, eye, Sir!“, brüllte Orin in Militärton und tippte sich mit zwei Fingern an seine Zeitungsjungenmütze. Dann zwinkerte er Greg zu und bog nach links zum riesigen Tor einer Stahlgießerei ab, in der bereits die Funken der gegossenen Stahlschmelze stoben.
Greg seinerseits ging nach rechts auf die Dieselmotorenfabrik von Jesua Fingrey zu. Es gab nur zwei solcher Fabriken in der ganzen City, und Greg war nicht wenig stolz darauf, in einer davon untergekommen zu sein.
Die kleine Werkstatt, in der Greg seit ein paar Wochen den Großteil seiner Tage verbrachte, war noch dunkel, als er eintraf. Smitty und Brown, die beiden alten Haudegen des Schweißens mit ihren von unzähligen Verbrennungen gezeichneten Armen, die hier schon seit Ewigkeiten das Kommando führen mussten, waren noch nicht da. Greg nutzte die Stille, um ganz in Ruhe das Werkzeug zusammenzusuchen. Er legte die großen Handschuhe bereit, hängte sich eine schwere Schürze um und schleppte die Acetylen-Flasche herbei. Als nächstes kam die riesige Sauerstoffflasche an die Reihe. Greg stellte sich seitlich neben die Metallflasche, die ihm fast bis zum Bauch reichte, kippte sie leicht an und rollte sie auf der Außenkante des Bodens vorsichtig in Richtung seiner Werkbank.
„Jetzt schau dir das an, Brown!“,