Professors Zwillinge: Von der Schulbank ins Leben. Else Ury

Professors Zwillinge: Von der Schulbank ins Leben - Else Ury


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nicht alles in Ordnung war.

      »Kusch dich, Bubi!« befahl Herbert. Jedesmal, wenn es mit Suse Streit gesetzt hatte, empfand er vor seinem Bubi, der schon die kleinen Zwillinge wie eine treue Kinderfrau bewacht hatte, ein peinliches Gefühl. Aus diesen Empfindungen heraus gab er der bekümmerten Schwester einen Aufmunterungspuff mit dem Ellenbogen.

      »Au!« schrie Suse auf.

      »Biste aus Zucker? Immer noch das Marzipanpüppchen von früher trotz allem Spott?« höhnte der Bruder.

      Suse barg gekränkt das Gesicht wieder in ihr Taschentuch. Sie merkte daher nicht, daß die Tür zum Zimmer der Großmutter sich öffnete, daß die alte Dame, von dem lauten Wortwechsel draußen in ihrer Ruhe aufgestört, auf der Schwelle erschien.

      »Ei, Tränen, Suschen?« fragte sie erschreckt. »Was hat denn mein Goldkind?«

      Suse schluchzte jetzt herzbrechend. Denn wenn man sie bedauerte, kam sie sich selbst am bedauernswertesten vor.

      »Ist ja nur halb so schlimm, Omama. Suses Zensur ist – – –,« begann Herbert die Erklärung. Denn vor den lieben alten Augen der Großmutter hielt die Ruppigkeit seiner Flegeljahre nicht stand.

      »Aber Suschen«, unterbrach ihn die Großmama, »das macht doch nichts, wenn du auch nicht versetzt worden bist. Latein und Mathematik ist nun mal nichts für ein Mädchen. Dann gehst du eben wieder aufs Lyzeum zurück. Ich würde das freudig begrüßen.« Die alte Dame war mit dem modernen Bildungsgang der Mädchen ganz und gar nicht einverstanden.

      »Aber ich bin ja versetzt, Omama – in Latein habe ich sogar gut. Ich bin ja Untersekundanerin!« Da brach doch der Stolz wieder durch bei Suse trotz der Tränen.

      »Ihre Zensur ist ja bloß entzweigerissen, darum heult sie«, setzte Herbert seine Erklärung fort.

      »Na, wenn's weiter nichts ist. Suschen, das läßt sich doch kleben.« Die alten, runzligen Hände streichelten liebevoll das junge, verweinte Gesicht der Enkelin. Es ging eine merkwürdige Beruhigung von diesen gütigen Händen aus. Selten versagten sie ihre Kraft.

      Suse ließ das Taschentuch sinken. »Ja, das läßt sich kleben«, wiederholte sie und wußte eigentlich nicht mehr, warum sie geweint hatte.

      »Es läßt sich alles wieder kleben«, bekräftigte auch Herbert. »Bloß Suse ist immer gleich hops.« Seine Stimme schnappte bei dem Worte »hops« über. Das hörte sich so komisch an, daß die Großmama und Suse trotz der nicht mißzuverstehenden Bewegung Herberts gegen die Stirn lachen mußten.

      Die Gegenwart ihrer »kleinen Omama«, die der in die Höhe geschossene Herbert um Haupteslänge überragte, und auf die auch Suse jetzt schon herabblickte, schien noch anderes zu kleben als nur auseinandergerissenes Papier. Auch der Riß, der das gute Einvernehmen der Zwillinge gestört hatte, war plötzlich wieder zugeklebt. Suse mußte noch immer über das Wort »hops« lachen, ohne es in sonstiger Backfischempfindlichkeit übelzunehmen. Herbert klopfte ihr wohlwollend auf die Schulter: »Na, wieder normal, Mensch?«

      Und die Großmama meinte lächelnd: »Ihr seid doch wie der erste April draußen, Kinder, weinen und lachen, Regen und Sonnenschein, alles in einem Sack.«

      Bubi aber blaffte so stolz, als ob die Versöhnung sein Werk sei.

      Einträchtig zogen die Zwillinge die Treppe zum obern Stockwerk, in dem ihre Zimmer nebeneinander lagen, empor. Einträchtig beugte sich der goldbraune, kurzgelockte Mädchenkopf und der dunkelbraune Jungenschädel über die Zeugnisse. Sie waren beide gut ausgefallen. Herberts Zensur wies in Naturgeschichte, Physik und Mathematik sogar ein »Sehr gut« auf. Während Suses Kenntnisse gerade in Mathematik nicht ganz befriedigt hatten. Das sonst gute Zeugnis verunstaltete ein »Mangelhaft« in Turnen.

      »Menschenskind, wozu box' ich denn mit dir, wenn du noch immer keine anständigen Muskeln kriegst!« Herbert nahm Boxerstellung ein.

      »Ach nee, Herbert, heute haben wir uns schon genug verkracht.« Suse wußte aus Erfahrung, daß die Boxerrunden meistens mit einer ganz unsportgemäßen Keilerei endeten. »Ich habe ja auch bloß mangelhaft in Turnen, weil ich Angst habe vor dem Bockspringen und mich bei der Kniewelle nicht traue, loszulassen.«

      »Warum biste denn bloß so feige, Mensch? Noch dazu, wo du keinen Blinddarm mehr hast?« ereiferte sich der Bruder.

      »Das Genick kann man sich auch ohne Blinddarm brechen.«

      Gegen diese sachliche Feststellung war nichts mehr einzuwenden.

      Herbert begann Suses Zeugnis kunstgerecht zusammenzukleistern, während Suse sich den Pfleglingen in ihrem Reich zuwandte.

      Es war eine stattliche Schar in dem hübschen Stübchen, Stumme und Stimmbegabte. Da waren die Goldfische, die in einem Glasbehälter ihr munteres Spiel trieben. Sie schienen ihre junge Pflegerin zu kennen. Denn sie schossen alle auf ihre Seite zu und hoben erwartungsvoll die Köpfchen, als ob sie sagen wollten: »Achtung – jetzt gibt es Futter!« Auch die umfangreiche Kakteenzucht, die in verschiedenen Stockwerken an den Fenstern emporkletterte, bedurfte Suses sorgender Hand. Waren sie auch noch nicht zu trocken? Zwischen den Fenstern standen niedliche, kleine Porzellantöpfe mit farbigen Primeln, blauen und gelben Krokussen. Sie blühten den Eisschloßen, von denen der erste April gerade wieder eine Handvoll wie ein ungezogener Schlingel gegen die Fensterscheiben prasseln ließ, zum Trotz. Wie pflegte Suse aber auch ihre Blumen. Sie waren ihr lebende Wesen, deren Wohl und Wehe ihr anvertraut war. Ein Myrtenstock, der prächtig grünte, war ihr besonderer Liebling. Von einer alten, armen Frau hatte sie ihn vor Jahren geschenkt bekommen, aus Dankbarkeit, weil sie ihr Gutes getan hatte. Die Erinnerung daran erfreute unbewußt noch immer Suses Herz, wenn sie ein welkes Blättchen ablöste oder eine junge Ranke festband.

      Im Bauer in der Fensternische plusterte sich wie ein gelber Federball Mätzchen auf seiner Stange. Suse klopfte mit zärtlichem Finger dagegen. Aber das »Piep«, das Mätzchen als Gegengruß hören ließ, klang trübselig, als ob einer Zahnschmerzen habe.

      »Du, Herbert, du verstehst dich doch auf Tiere. Ich weiß nicht, Mätzchen wird diesmal gar nicht fertig mit dem Mausern. Sonst hat er doch so herrlich gesungen.«

      »Der hat am Ende auch Stimmwechsel wie ich.« Der im tiefen Bass begonnene Satz klang im höchsten Diskant aus. Suse wollte sich jedesmal darüber ausschütten vor Lachen. Aber das nahm ihr Zwillingsbruder nicht übel. Er war ja kein empfindlicher Backfisch.

      »Laß es nur erst Frühling werden, dann wird dein Piepmatz schon wieder schlagen.«

      »Wir haben doch schon seit elf Tagen Frühling. Aber es sieht freilich noch nicht danach aus.« Suse schaute durch die Fensterscheiben über den Balkon hinweg in den noch winterlichen Garten. Die kahlen Bäume bogen sich unter der harten Faust des Sturmes. Nackt und frierend standen die Pappeln, die die Straße, die aus dem Saaletal zu den Anhöhen emporführte, besäumten. »Es will dies Jahr nicht Frühling werden«, setzte sie seufzend hinzu.

      Aus dicken, schwarzen Aprilwolken brach plötzlich die Sonne, in goldenem Strahlenglanze Licht, Wärme und Leben spendend. Kaum eine Minute später, und düstere Wolkenungeheuer hatten sie wieder verschluckt.

      Als ob Mätzchen nur auf dieses Frühlingssignal gewartet habe, ließ es plötzlich einen hellen Trillerton hören. Dann versank es ebenso schnell wieder in seine winterliche Teilnahmslosigkeit.

      »Und dräut der Winter noch so sehr

      Mit trotzigen Gebärden,

      Und streut er Schnee und Eis umher.

      Es muß doch Frühling werden.«

      begann Suse vor sich hinzuträllern, während sie die Decke zu dem Katzenkorb in der Ecke lüftete.

      Da lag Piccola, Suses weiße Katze, eine geborene Neapolitanerin, die sie sich aus Italien mitgebracht hatte, und blinzelte ihre junge Herrin aus grasgrünen Augen verschlafen an.

      »Piccola, du wartest auch sehnsüchtig auf den Frühling, nicht wahr, meine Alte?« fragte Suse, liebevoll Piccola über den Buckel streichend. Ein zustimmendes Miau ertönte.

      »Was


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