Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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ihr wohnt jetzt also in dem Haus. Habt es einfach gewagt, dort hinzuziehen. Tja, seid ja auch dem Kurt Gräbler verwandt, dem alten Hexer.“

      Ich dachte im ersten Moment, der Alte fantasiert. So antwortete ich nur: „Wir haben das Haus von Mamas … Vater geerbt.“ Ich war mir erst nicht schlüssig, ob ich Vater oder Onkel sagen sollte und der Name Kurt elektrisierte mich auf seltsame Weise, konnte aber mit dem geerbten Haus nichts zu tun haben. Und der alte Mann vor mir konnte nichts von meinen Träumen wissen, in denen ich schon öfters auf diesen Namen gestoßen war.

      Der Professor fauchte: „Ja, die Geschichte von deiner Oma, die den einen Bruder heiratet und von dem anderen ein Kind kriegt. Einer dieser Geschichten, die sich in eurer Ahnentafel beständig wiederholen. Sie meinte, dass verheimlichen zu können. Aber ich habe es schon immer gewusst. Mir konnte keiner etwas vormachen. Noch nie! Immer hatte ich ein wachsames Auge auf eure Sippe. Blut zu Blut. Über Generationen hinweg. Das ist es, was der Alchemist braucht, um sein Werk zu vollenden.“

      Ich starrte den Alten verschüchtert an. In seinen Worten lag so viel Hass. Es schien fast so, als wäre er unerbittlich mit dem Schicksal meiner Familie verbunden. Aber mir wollte nicht einleuchten, was ich damit zu tun habe.

      „Und der Tag wird kommen, an dem er zurückzukehren versucht“, keifte er aufgebracht. „Zu sehr befasste er sich mit der Lehre der Alchemie und suchte nach einem Weg zur Unsterblichkeit. Zu sehr verschrieb er sich dem Satan. Er wird versuchen zurückzukehren“, rief er mit immer undeutlich werdender, sabbernder Stimme.

      Ich glaubte in den trüben Augen des Alten so etwas wie Wahnsinn erkennen zu können und schaute mich unbehaglich nach einem Ausweg um.

      Aber dann rührte ich mich doch nicht, denn der Alte fuhr mit erschreckend klarer Stimme plötzlich fort: „In eurer Familie fließt das Blut des Satans in seiner schlimmsten Form. Ja Kind, glaub`s mir ruhig. In dir lauert ein schreckliches Unheil. In dir und allen Kindern, die zur Erhaltung seines Blutes und zur Zusammenführung seines Geistes und seiner Seele gezeugt wurden.“

      Ich starrte den alten Professor verblüfft an und glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Da wollte mir dieser alte Lehrer etwas von Satansblut in meinem Adern erzählen, wo er mich heute zum ersten Mal sah, und dass wir angeblich gezeugt worden waren, um bestimmte Blutlinien, und wer weiß was noch, zusammenzuführen. So ein irrer Quatsch. Außerdem fand ich, dass es weitaus schlimmere Vergehen in Familien gab als die, die meine Oma begangen hatte. Und andere seltsame Blutsvermischungen gab es doch gar nicht, oder?

      Doch dass es darum allein nicht ging, erfuhr ich einige Augenblicke später, als der Alte seltsam in seinem Stuhl zusammensank und ganz selbstvergessen vor sich hinsinnierte: „Mein Bruder und mein Vater waren damals dabei. Sie halfen, den Hexer zu verbrennen. Die einzige Möglichkeit, den Satan in ihm zu töten, den er aus einem fernen Land zu uns brachte. Er war ein Mörder! Unheilbringend und der Alchemie verschrieben.“

      Ich weiß nicht genau, was für eine Tür sich in mir auftat. Aber mein Herz schlug noch heftiger und eine gewaltige Wut schlich durch meine Adern. Was wollte dieser Alte von mir? Und warum kam er mir mit so seltsamen Geschichten? Was hatte er nur mit diesem Hexer, der angeblich mal in unserem Haus gewohnt haben soll? Und wenn schon. Es gab bestimmt viele alte Häuser, in deren Vergangenheit weniger nette Ereignisse stattgefunden hatten.

      In mir kochte zu der Wut Betroffenheit über etwas hoch, dass ich nicht mal richtig benennen konnte. Und die Begegnung mit diesem alten Mann und dem, was er von sich gab, löste das in mir aus.

      Ich sprang vom Stuhl auf und rief aufgebracht: „Ich muss gehen! Ich verpasse sonst meinen Bus.“

      In mir baute sich etwas auf, das einerseits nach Flucht schrie und andererseits dem Alten am liebsten an die faltige Kehle springen wollte.

      Doch zeitgleich mit mir erhob sich auch der Professor, als hätte er meine Flucht geahnt, und packte mich am Arm.

      „Sieh mich an!“, keifte er und Spucke spritzte in mein Gesicht. Seine runzligen Finger umspannten meinen Oberarm wie ein Schraubstock. „Ich weiß nicht, ob du wiedergekehrt bist. Aber glaube mir, ich werde es bald wissen und dann werde ich dich bekämpfen, wie mein Vater und mein Bruder dich damals bekämpften.“ Die Stimme des Alten wurde hoch und kreischend. „Dann werden erneut Flammen über dir zusammenschlagen und dein Körper wird brennen. Ich werde niemals zulassen, dass du leben wirst!“

      Ein Geräusch ließ den Alten zusammenfahren und er gab erschrocken meinen Arm frei.

      „Professor, ist hier alles in Ordnung?“ Frau Grätsch, meine Sportlehrerin, stand in der Tür und musterte mich und den Alten bekümmert.

      Ich nutzte den Augenblick. Meine Tasche greifen und Abstand zwischen mich und den alten Professor bringen war eins.

      An der Tür griff Frau Grätsch nach meiner Hand und hielt mich zurück. Mit besorgter Miene fragte sie: „Ist alles in Ordnung, Carolin?“

      Ich riss mich los und rannte in den Korridor hinaus. Ich wollte nur noch weg. Dieser Alte war doch verrückt! Mord … Verbrennung … Ich wollte das alles nicht hören und nichts davon wissen.

      Erst draußen wurde ich langsamer und bemühte mich, ohne weiteres Aufsehen zu erregen, den Schulhof zu meistern. Ich schwor mir, wenn der Bus schon abgefahren war, würde ich zu Fuß gehen. Keine Sekunde wollte ich länger bei der Schule bleiben als nötig. Wer wusste schon, was der durchgeknallte Professor sonst noch alles in seinem kranken Gehirn ausbrütete. Ich sah ihn schon hinter mir hereilen, in jeder Hand ein brennendes Feuerzeug.

      Tatsächlich packte mich eine Hand von hinten und riss mich herum. Doch es war nur Frau Grätsch, die mir hinterhergeeilt war und mich festhielt.

      „Was war da oben los? Was wollte der Professor von dir?“, zischte sie mit unterdrückter Wut in der Stimme.

      „Ich glaube, mich verbrennen“, jammerte ich völlig außer mir und hatte einen Moment das Gefühl, meine Beine wollten unter mir versagen.

      Die Hand um meinen Arm ließ mich los und das Gesicht der Lehrerin wurde mitfühlend. „Dann habe ich doch richtig gehört. Ich glaubte schon, ich hätte was mit den Ohren“, brummte sie bestürzt.

      Ich schüttelte den Kopf und schaute zu Boden.

      „Fahr nach Hause. Ich werde mich sofort an den Rektor wenden und den Vorfall melden. Morgen sprechen wir dann noch einmal darüber“, sagte die junge Lehrerin und schien ihre Wut nur schwer unterdrücken zu können.

      Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und wandte mich dem Busbahnhof zu. Hinter mir hörte ich Frau Grätsch fluchen: „So einen alten Trottel noch auf die Kinder loszulassen, wo es so viele junge, arbeitslose Lehrer gibt.“

      Der Bus war noch nicht weg und ich ergatterte einen freien Platz, was eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war, bei der Anzahl der Schüler. Aber ich war unendlich froh, mich tief in den Sitz verkriechen zu können. Nur langsam schlug mein Herz wieder im normalen Rhythmus.

      Doch in mir tobte noch etwas anderes als Bestürzung. Die Worte des Professors machten sich in meinem Kopf selbstständig. Das Kauderwelsch des Alten hätten mir ohne Sinn und Verstand vorkommen müssen. Aber die von ihm so erschreckend hervorgebrachte Geschichte von einer Verbrennung eines Hexers schien wie eine Nebelwolke in meinem Kopf heraufzuziehen und nach außen zu drängen, wie eine Erinnerung, die lange nur verdrängt worden war. Plötzlich hörte ich viele Stimmen in meinem Kopf, die schrien und johlten, wie eine Meute hungriger Wölfe und ich hörte sie rufen: „Hexer, Hexer, tötet den Hexer!“

      Ich hatte das Gefühl, dass sich mein Herz zusammenzog und die Luft um mich herum dünner wurde.

      Der Bus blieb stehen und ich registrierte, dass ich schon bei meiner Haltestelle angekommen war. Schnell sprang ich auf und wühlte mich durch die Schüler im Gang.

      Der Busfahrer hatte die Tür schon geschlossen und wollte wieder losfahren, als ich keuchend und schwitzend bei ihm ankam. „Ich muss noch raus!“, rief ich und er öffnete mit mürrischer Miene erneut die Tür.

      Ich sprang an die frische Luft und atmete wie ein Fisch im Trockenen.


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