Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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er nicht mehr zurück. Er scheint regelrecht darauf zu brennen, endlich auspacken zu können.

      „Also“, beginnt er und ich setze mich auf meinem Schreibtischstuhl und rolle mich dicht an ihn heran. Wir sitzen da, wie zwei Verschwörer. „Du weißt doch, dass Papa hier nicht hinziehen wollte.“

      Ich nicke und sehe ihn groß an.

      „Das kam, weil er glaubte, dass es in diesem Haus spukt und es Unheil über uns bringen könnte.“

      „Papa glaubt an so etwas?“, entfährt es mir ungläubig. So kenne ich meinen Vater eigentlich nicht. Er macht sich doch sonst auch nichts aus Gespenstergeschichten und Getratsche.

      „Nah ja. Eigentlich nicht“, meint Julian dann auch und fährt fort. „Aber es gibt eine Geschichte, ach das ist schon, glaube ich, über sechzig Jahre her. Da gab es in unserer Familie einen Verwandten. Also, soweit ich weiß, muss das von Mama der Urgroßvater gewesen sein. Der war als junger Mann angeblich von zu Hause weggelaufen und soll monatelang auf Schiffen angeheuert haben. Letztendlich war er wohl in Ägypten gelandet. Dort soll er einige Jahre gelebt haben, bevor er wieder nach Hause kam und sich dieses Haus kaufte.“

      Julian sieht mich an, als erforsche er in meinem Gesicht, ob ich schon erste Anzeichen von traumatischem Entsetzen zeige.

      Ich sehe ihn so unbekümmert wie möglich an, was nach seinem bisherigen Bericht auch kein Kunststück ist. Einen Verwandten, den es in die weite Welt zog, gibt es bestimmt in jeder Familie.

      Julian fährt fort: „Dieser Urgroßvater von Mama, ich glaube, Kurt hieß er …, also, angeblich hatte der in Ägypten etwas über Heilkunst und Zauberei gelernt. Er war auch steinreich. Angeblich, weil er dort ein Verfahren entwickelt hatte, mit dem er, was weiß ich … Stroh zu Gold machen konnte, oder so was.“ Julian hebt beide Hände und macht Gänsefüßchen in die Luft, die zeigen sollen, dass dieser Teil der Geschichte nicht unbedingt etwas Wahres beinhaltet.

      „Aha!“ kann ich dazu nur sagen, während in meinem Kopf rotiert, dass ich erneut auf den Namen Kurt stoße. „Ganz schöner Quatsch!“, füge ich noch hinzu und hoffe, Julian erzählt weiter. Er hatte sich noch nie die Zeit genommen und mit mir über so etwas gesprochen.

      „Glaube ich auch, denn hier siechte sein Reichtum schnell dahin und er verdiente sich sein Brot angeblich durch die Behandlung von Kranken. Also, wenn du mich fragst, das hätte er wohl kaum nötig gehabt, wenn er irgendetwas in Gold verwandeln hätte können.“ Julian grinst.

      „Woher weißt du das alles?“, frage ich und weiß nicht, ob Julian sich die Geschichte nicht einfach nur aus den Fingern saugt.

      „Das darfst du auf gar keinen Fall Mama erzählen“, ermahnt Julian mich erneut und ich verspreche es.

      „Als ich ungefähr sieben oder acht war, kamen Oma Martha und Opa Willy zu Besuch. Mama schickte mich damals nach draußen und ich kletterte wütend auf die kleine Eiche, die vor unserer Wohnung stand. Das Fenster zum Wohnzimmer war auf und ich musste, natürlich ungewollt, mit anhören, wie Opa Willy von seinem Großvater erzählte.“

      Julian bekommt plötzlich einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. Als wäre er allein im Zimmer, sagt er wie zu sich selbst: „Eigentlich kamen sie damals wegen deiner Träume.“

      Ich rechne schnell nach. Ich muss zu der Zeit vier oder fünf Jahre alt gewesen sein und ich erinnere mich kaum daran, wann meine Träume angefangen haben. Damals schon?

      Schnell winkt Julian ab. „Egal, ich weiß nicht genau, warum er das damals Mama und Papa erzählte. Also, er sprach halt von diesem Großvater Kurt, der in Ägypten gewesen war und von dort reich und mit etlichem Wissen über Heilkunde und Alchemie wieder nach Hause kam. Alchemist solle er dort geworden sein oder so etwas Ähnliches. Heute würde man ihn wohl als Chemiker bezeichnen. Er soll sich hier sogar ein Labor gebaut haben, um dort seltsame Mixturen anzurühren. Hier bei diesem Haus.“ Julian sieht von seinen Händen auf und starrt mir ins Gesicht, als suche er darin nach einer bestimmten Regung.

      Ich sehe ihn nur mit großen Augen an und versuche meine immer stärker werdende innere Unruhe zu ignorieren.

      „Opa erzählte das damals so komisch. So als wäre das etwas ganz Schlimmes“, fügt Julian hinzu und schüttelt verständnislos den Kopf. „Und dann gab es hier wohl einige Leute, die konnten ihn nicht gut leiden. Ich weiß nicht genau, was Opa alles so meinte. Ich glaube, es fing mit dem Verschwinden eines jungen Mädchens an. Dieser Kurt wurde wohl damit in Zusammenhang gebracht. Und dann waren da auch noch andere Zwischenfälle gewesen. Ich weiß das halt nicht so genau“, entschuldigt Julian sich, als wäre es ihm peinlich, mal etwas nicht zu wissen.

      Ich bin wie elektrisiert. Mein Magen scheint sich in seiner jetzigen Position nicht wohlzufühlen und eine andere einnehmen zu wollen. Aber warum? Das ist doch eine uralte Geschichte, die noch nicht einmal bewiesen ist und uns doch gar nicht mehr betrifft. Warum fühle ich mich so entsetzlich angesprochen?

      Julian ist mit seiner Geschichte noch nicht am Ende. „Aber das Härteste kommt noch. Ich habe diese Geschichte deswegen niemals vergessen. Man kennt so etwas von Spielfilmen und aus Geschichtsbüchern. Dass so etwas aber auch in der eigenen Familie passiert sein könnte, glaube ich bis heute nicht richtig. Ich denke, dieser Kurt ist wieder nach Ägypten abgehauen, als ihm hier das Pflaster zu heiß wurde.“

      Ich sehe meinen Bruder fassungslos an. Er blubbert vor sich hin und bringt nichts Verständliches zutage, wie mir scheint und ich brenne darauf zu erfahren, wie die Geschichte angeblich weitergegangen sein soll.

      „Was glaubst du nicht?“, frage ich ungeduldig nach, als er mich wieder nur anstarrt.

      Julian greift nach meinem Arm und zieht mich näher zu sich heran. Er lauscht einen Augenblick, ob sich irgendwo im Haus schon etwas rührt. Doch unsere Eltern werden erst in einer Stunde nach Hause kommen. Auf gar keinen Fall eher. Doch er scheint sich dessen erst ganz sicher sein zu wollen. Endlich sagt er sehr leise: „Opa sagte, so in etwa auf jeden Fall: Diese Hunde haben ihn damals für einen Hexenmeister gehalten und verbrannt, irgendwo bei seinem Haus.“

      Ich weiche vor meinem Bruder zurück. „Was, das hat Opa gesagt?“ Alles zieht sich in mir zusammen. Was Julian für unglaubwürdig hält, bekommt durch den alten Professor einen gewissen Wahrheitsgehalt.

      Julian setzt eine feierliche Miene auf. „Ich schwöre es. Ich habe das damals noch nicht so ganz verstanden. Aber als wir dann in der Schule über Hexenverbrennungen sprachen, fiel es mir wieder ein und die Geschichte von Opa bekam langsam einen Sinn für mich. Mama fragte damals, ob denn keiner nach ihrem Urgroßvater gesucht hätte und warum Opa sich so sicher sei. Und weißt du, was er ihr geantwortet hat? Er hätte die vielen Menschen auf dem Marktplatz gesehen und die Rufe gehört, die danach schrien, dass man den Hexer endlich verbrennen müsse.

      Du hättest Mama sehen sollen. Die hat angefangen zu weinen…

      Oma sagte dann, dass sie sich auch noch dran erinnern würde, wie sie sich mit ihren Eltern vor Angst im Keller versteckt hätten. Sie war damals noch ganz klein, sagte sie, und die Leute im Dorf waren schrecklich wütend. Ihr Vater hatte mehrmals von dem Alchemisten Heilsalbe geholt, weil er schreckliche Hauptprobleme hatte und an diesem Tag hatten ihre Eltern Angst, dass die Leute in ihrer Blutgier nicht nur dem Alchemisten an den Kragen wollten. Erst am nächsten Morgen wagten sie sich wieder hinaus. Omas Vater schlich sich noch am selben Tag hier her. Doch dieser Kurt war nicht mehr da. Stell dir das vor! Keiner hat seit dieser Nacht irgendwo etwas von ihm gesehen. Ist das nicht seltsam?“

      Ich sehe meinen Bruder verdattert an und er fügt hinzu, weil ich nicht antworte: „Aber ich glaube nicht, dass man ihn verbrannte. Ich bin mir fast ganz sicher, dass dieser Kurt nach Ägyp…“

      „Aber wenn es doch jemanden gibt, der angeblich genau weiß, dass er als Hexer verbrannt wurde?“, raune ich aufgebracht.

      Julian sieht mich entgeistert an.

      Mir wird noch unwohler und ich könnte mich für meinen Ausspruch ohrfeigen. In mir baut sich der Wunsch auf, dass Julian endlich aus meinem Zimmer verschwindet und er die ganze Geschichte schnell wieder


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