Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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im selben Augenblick, als der Bus sich der Haltestelle nähert.

      „Ist der Bus zu früh oder ist Julian zu spät?“, frage ich Christiane, die ohne zu antworten aufsteht und Julian zuruft: „Hau rein, du lahme Socke!“

      Wir steigen in den überfüllten Bus und Julian hechtet hinter uns her. Ich höre ihn etwas von „durchgeknallten Eltern“ murmeln und sehe, wie er sich neben einem Jungen in den Sitz wirft. Ich und Christiane müssen stehen.

      Christiane ist an diesem Morgen wieder einmal mehr als üblich schlecht mit sich und ihrer Umwelt zufrieden. Sie schimpft über den Busfahrer, der etwas zu rasant die Kurven nimmt und winkt ihrer Cousine zu, die weit hinten im Bus sitzt, mit den an mich gerichteten Worten: „Die Doofe könnte uns ja auch mal einen Platz freihalten.“

      Mir ist warm. Einerseits von dem Marsch, andererseits von den mittlerweile im Gang dicht gedrängten Schülern. So bin ich froh, als wir den Bus an der Schule endlich wieder verlassen können. Dort gesellen sich die anderen Mädchen aus Christianes Klasse zu uns und wir umarmen und drücken uns kurz.

      Als der Bus an uns vorbeizieht, sehe ich auf und mein Blick trifft auf Julian, der nun am Fenster sitzt und in seiner Tasche wühlt. Er fährt weiter bis in den Nachbarort, in dem das Gymnasium seinen Sitz hat und liest bestimmt bis dahin in einem seiner Schulbücher oder lernt etwas anderes.

      Er ist ein unglaublicher Streber, immer darauf bedacht der beste zu sein.

      Christianes Cousine eilt mit einigen ihrer Freundinnen auf uns zu, packt mich und reißt mich zu sich herum. Erschreckend aufgedreht reden alle auf mich ein, dass ich gar nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Und so schnell, wie sie uns überfielen, verschwinden sie auch schon wieder. Kichernd machen sie sich auf den Weg zur Realschule.

      „Was war los? Was wollten die?“, fragt Christiane.

      Ich habe keine Ahnung und ziehe nur die Schultern hoch. Irgendein Junge hatte angeblich irgendwen über mich ausgefragt. Mehr hatte ich nicht verstanden.

      Den gesitteten und weniger aufgedrehten Gesprächen von Christianes Mitschülern kann ich da schon besser folgen.

      Langsam gehen wir auf die Schulen zu. Dort wird es dann heißen, sich zu trennen. Denn ich bin von dem Trupp die Einzige, die zur Hauptschule muss.

      Es klingelt schon zur ersten Stunde und wir verabschieden uns mit einer Umarmung. „Bis zur Pause“, sagt Christiane und lächelt kurz aufmunternd. Sie weiß, dass ich nicht gerne in diese Schule und diese Klasse gehe. Aber durch unseren Umzug damals, und meine schlechten Noten, war mir nichts anderes übriggeblieben als in die Hauptschule zu gehen.

      „Bis dann“, erwidere ich und sehe ihnen kurz hinterher, bevor ich meinen eigenen Weg antrete. Nur noch ein paar Monate und ich werde diese Schule verlassen. Was ich dann tun soll, weiß ich allerdings noch nicht.

      Ich gehe über den Lehrerparkplatz auf den Schulhof der Hauptschule zu. Dabei versuche ich meinen Tagesablauf auf die Reihe zu bekommen, der irgendwie in meinen tieferen Gehirnwindungen steckengeblieben zu sein scheint. Ich habe das Gefühl, als wäre ich noch gar nicht wirklich hier. Zumindest nicht mit dem Kopf. Der scheint noch wie ausgeschaltet.

      Plötzlich überkommt mich ein seltsames Gefühl.

      Ich brauche einige Sekunden, bis ich das als Unruhe definiere, die sich durch mein Innerstes schleicht.

      Verstohlen sehe ich mich um und mein Blick bleibt an einer Gestalt hängen, die an einem der Bäume lehnt, die den Schulhof umsäumen. Es ist ein Junge, der mich genauso anstarrt, wie ich ihn anstarre.

      Er trägt eine Jeans, ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Kappe auf seinen kurzen, dunklen Haaren.

      Da mein Weg mich direkt an ihm vorbeiführt und es keine Ausweichmöglichkeit gibt, atme ich tief ein und versuche mein unruhig pochendes Herz zu beruhigen. Auf meine Füße sehend, konzentriere ich mich angestrengt darauf nicht zu stolpern. Ich glaube immer noch seinen Blick zu spüren und das verunsichert mich schrecklich.

      Als ich näherkomme, sehe ich kurz noch einmal auf, immer noch das brennende Gefühl im Magen.

      Tatsächlich starrt mich der Junge immer noch aus schwarzen Augen an, als wolle er mich durchleuchten.

      Schnell sehe ich wieder zu Boden. Mein Herz schlägt jetzt wild gegen meine Brust und ich finde es echt lächerlich, dass mich dieser Typ so aus der Fassung bringt.

      Und dann höre ich ihn, als ich auf seiner Höhe bin, leise „Hallo!“ sagen.

      „Hallo!“, entfährt es mir irritiert und ich gehe schnell weiter. Ich wünsche mir in diesem Augenblick nichts sehnlicher als Christiane an meiner Seite. Mit ihr fühle ich mich nicht ganz so hilflos und so einer würde mich nicht anquatschen.

      Ich bin froh, als ich beim Schulgebäude aus seinem Blickfeld verschwinden kann.

      In der Aula der Schule ist der Junge schnell vergessen, denn der Rektor kommt mir schon entgegen und begrüßte mich freundlich. Ein wenig zu freundlich.

      Ich sehe mich erschrocken um, ob das auch keiner mitbekommen hat. Denn wenn einem am Morgen schon der Rektor mit offenen Armen empfängt, dann kann das nichts Gutes heißen. Außerdem wirft das immer ein schlechtes Bild auf einen Schüler, wenn es so aussieht, als wäre man Best Friend mit dem Schuldirektor.

      Ich werde von ihm in sein Zimmer geleitet und muss mich sogar setzen.

      Sofort beteuert er mir, dass die Geschichte mit dem Professor nicht wieder vorkommen wird und wie froh er ist, dass ich alles nicht so ernst nehme.

      Ich starre ihn nur an.

      Außerdem soll ich jederzeit zu ihm kommen, wenn ich irgendein Problem habe, und ich kann ihn auch jederzeit anrufen, wenn mich etwas bedrückt.

      Puh!

      Er drückt mir eine Karte in die Hand, mit seiner Nummer von der Schule und seiner Privatnummer. Außerdem ist meine Klassenlehrerin auch immer für mich da, vergisst er nicht zu erwähnen.

      Ich bin froh, dass ich endlich gehen kann. Natürlich komme ich zu spät zum Unterricht. Aber als ich reumütig die Tür öffne und darauf warte, dass unser wenig netter Mathelehrer mir die Hölle heiß macht, höre ich nur ein freundliches: „Nah, da ist ja auch unsere Carolin.“

      Ich setze mich verdattert. Was ist denn in den gefahren? Und seine Carolin bin ich schon mal gar nicht. Ich würde es natürlich sofort werden, wenn er mir in der nächsten Mathearbeit eine Zwei, statt einer Fünf gibt. Aber da sehe ich keine Chance.

      Ansonsten verläuft der Vormittag wie immer, bis auf die Kleinigkeit, dass die Lehrer plötzlich überschäumen vor Nettigkeit.

      In den Pausen ertappe ich mich mehrmals dabei, wie ich nach dem Jungen Ausschau halte, dem ich am Morgen begegnet war. Aber ich sehe von ihm nichts und bin mir sicher, ihn auch noch nie vorher hier irgendwo gesehen zu haben.

      Am Nachmittag verabrede ich mich mit Christiane. Ich habe beschlossen, sie ein klein wenig in den Wirrwarr von Geschichten einzuweihen, die mich so plötzlich überrollt haben. Außerdem bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass ich auf diese Weise vielleicht auch mal etwas über die Geschichte von damals erfahre, was nicht den Ausflüchten meiner Eltern, dem irren Gebrabbel eines alternden Professors oder den Erinnerungen meines Bruders aus frühster Kindheit entspringt. Christianes Eltern wissen bestimmt auch etwas darüber. Schließlich wohnt ihre Familie schon ewig hier.

      Doch als wir am Nachmittag in unserem Kornspeicher, einem großen alten Nebengebäude auf unserem Grundstück, dessen Erdgeschoss unser Partyraum ist, auf den alten Sesseln lümmeln und ich ihr ein paar Brocken von der Geschichte von diesem Kurt vorwerfe, reagiert sie nur mit heftigem Desinteresse.

      „Poor, was früher war? Was weiß ich denn? Und von der Geschichte wegen diesem Haus? Ach, ich glaube, das ist alles Quatsch. Mein Vater sagt das auch.“ Damit scheint für sie das Thema erledigt zu sein.

      Doch ich gebe nicht so schnell auf. „Was denn für eine Geschichte wegen diesem Haus?“, frage ich, als wüsste ich gar nichts von den Gerüchten


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