Faro. Ole R. Börgdahl

Faro - Ole R. Börgdahl


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blickte auf. »Ich weiß, Mama, aber ich wollte nicht, dass die Bettwäsche schmutzig wird.«

      »Dann musst du sie eben auch herunternehmen und dich nur auf die Matratze legen.« Die Mutter zögerte. »Aber ist schon gut, Junge, ich beziehe das Bett ohnehin morgen neu, wenn du wieder fort bist.«

      Die letzten Worte sprach sie ganz leise. Michael erhob sich, nahm ihr den Wäschekorb ab, stellte ihn auf den Boden und umarmte seine Mutter. Sie blieben einige Sekunden so stehen. Die Mutter streichelte Michael über die Schulter, sie lösten sich wieder voneinander.

      »Ich habe dir deine Sachen gewaschen. Willst du sie gleich einpacken, damit du nichts vergisst?«

      Michael nickte. Er holte seinen Seesack aus der Ecke neben dem Kleiderschrank und stellte ihn auf den Schreibtisch. Die Mutter bückte sich und griff ein paar Wäschestücke aus dem Korb, legte Unterwäsche, Taschentücher, Socken und zwei Halstücher auf den Schreibtisch. Michael hatte bereits seine Halbschuhe und die blaue Ausgehuniform ganz nach unten im Seesack verstaut. Die Mutter holte noch zwei Pullover, zwei Hemden und die Strickjacke aus dem Wäschekorb. Michael nahm ihr die Sachen ab, legte sie in den Seesack. Dann stopfte er den Kleinkram dazwischen, Kleiderbürste, Essbesteck, Wasch- und Rasierzeug, Schuhputzzeug, Lederfett, Nähzeug.

      »Die Handtücher sind in deinem Schrank.«

      Die Mutter hatte den Schrank schon geöffnet, die Handtücher herausgenommen und reichte sie Michael.

      »Zwei sind genug, ich bekomme ja gar nicht alles mit.«

      »Könnt ihr an Bord denn auch waschen?«

      »Ja, Mama, mach dir darüber bitte keine Gedanken. Zwei Handtücher reichen.«

      Der Verschluss der Feldflasche klapperte, als Michael sie zusammen mit den Handschuhen als Letztes einpackte und den Seesack anschließend verschnürte.

      »Was trägst du auf der Fahrt?«

      Michael nahm den Drillichanzug vom Schrank. Er hatte die Uniformbluse und die Rundbundhose gestern selbst noch gebügelt. Die Mutter sah sich das blaue Schiffchen an, das obenauf lag.

      »Was ist das für ein weißer Stab auf dem Kreuz?«

      »Das ist kein Stab, das ist ein Torpedo«, erklärte Michael, »unser Bootswappen, weißer Torpedo im Balkenkreuz. Das Balkenkreuz ist das Wehrmachtsemblem.«

      Die Mutter nickte. Sie legte das Schiffchen wieder auf den Bordanzug und befühlte den Stoff der Uniformbluse.

      »Warum trägst du auf der Fahrt nicht deine blaue Uniform? Darin siehst du doch viel besser aus, als in diesem groben Stoff.«

      »Nachts brauche ich nicht gut auszusehen und außerdem, wenn ich am Morgen in Lorient ankomme, gehe ich gleich aufs Boot. Ich will mich dann nicht auch noch umziehen müssen.«

      »Wie du meinst. Hast du jetzt alles? Heute Abend bekommst du noch ordentlich Brote mit und ich pack dir auch noch etwas vom Braten ein.«

      *

      Der sechstägige Urlaub war vorüber. Michael klopfte sich die Krümel von der Uniformjacke. Er hatte gestern Abend auf dem Bahnhof in Dortmund noch eine Bockwurst im Brötchen gekauft. Er hatte sie gegessen und musste dann eingenickt sein. Er hatte durchgeschlafen. Es war jetzt drei Uhr in der Früh. Sie waren längst in Frankreich. Der Zug ratterte gleichmäßig dahin. Michael sah zum Fenster, konnte aber in der Dunkelheit nichts erkennen. Er machte es sich wieder bequem. Er hörte noch ein Husten vorne im Wagon und war bereits wieder eingeschlafen.

      Zwei Stunden später fuhr der Zug in den Bahnhof von Lorient ein. Es gab einen Bahnsteig nur für Wehrmachtsangehörige. Wachmannschaften mit Hunden patrouillierten vor einem Stacheldrahtzaun. Am Gatter wurden die Papiere kontrolliert. Michael zeigte seinen Urlaubsschein und durfte passieren. Auf dem Platz vor dem Bahnhof standen Lastwagen. Michael reichte einem Kameraden seinen Seesack herauf, kletterte dann selbst auf die Pritsche und suchte sich einen Platz auf den Holzbänken. Die Männer waren noch müde und sehnten sich nach einem Frühstück und nach heißem Kaffee. Die Pritschenklappe wurde heftig zugeschlagen, der Lastwagen setzte sich mit dröhnendem Motor in Bewegung. Es ging durch die Altstadt. Die Fahrt dauerte keine zwanzig Minuten. Der Geschmack salziger Luft drang durch die offene Plane. Der Lastwagen fuhr langsamer, ratterte über Schienen und unebene Betonplatten. Sie fuhren an einem großen Schuttberg vorbei, aus dem rußgeschwärzte Metallstangen hervorstachen. An einer Stelle musste der Laster eine Kuhle passieren, einen Bombenkrater in der Fahrbahn, der nur notdürftig ausgebessert worden war. Weitere Schutthügel, ein ausgebrannter Kübelwagen, durch die Hitze von Brandbomben geschmolzene Stahlträger, Absplitterungen in den Bunkerwänden. Dies alles waren noch die Folgen eines schweren Luftangriffs, den es Ende November auf den Hafen von Lorient und auf die deutschen Bunkeranlagen gegeben hatte. Der Lastwagen hielt vor dem riesigen Bunkerkomplex des Kéroman I. Einer der Männer hatte die Pritschenklappe geöffnet. Sie sprangen heraus, geordnet, das geordnete Leben hatte wieder begonnen. Im Bunker wurde Brot, Butter, Wurst, Käse verteilt und endlich auch Kaffee. Michael aß im Stehen. Er sah auf die Uhr, noch zehn Minuten. Um sechs musste er sich an Bord melden. Er spülte noch das Essgeschirr aus, verstaute es wieder und schulterte dann seinen Seesack. Er würde seine Sachen erst am Nachmittag in den Wohnbunker bringen. Seine Schritte halten. Wachposten ließen ihn passieren. Noch hatte er niemanden von der Mannschaft getroffen. Die Lords mussten ohnehin erst zur dritten Wache um acht Uhr antreten. Michael betrat die lange Bunkerröhre, U-810 lag in Trockenbox fünf. Der Bug war instandgesetzt, die Schweißnähte der Außenverkleidung glänzten im Scheinwerferlicht der Deckenbeleuchtung, der Schutzanstrich war noch nicht aufgetragen. Restarbeiten, die in den nächsten Tagen zu erledigen waren. Die Männer an Deck von U-810 gehörten nicht zur Besatzung, Werftpersonal. Im Turm stand Leutnant Landenberger, der zweite Wachoffizier. Landenberger blickte hinüber zur Trockenbox sechs, die ebenfalls belegt war. An Deck des anderen Bootes standen die beiden Kommandanten.

      »Emmermann ist heute früh eingelaufen.«

      Michael zuckte zusammen, als er plötzlich von der Seite angesprochen wurde. Neben ihm stand Funk-Maat Norbert Greimel.

      »Die hatten ganz schön geflaggt, mindestens fünfzigtausend Tonnen, mindestens. Mal sehen, was der Alte nachher erzählt. Kuhnke war natürlich auch schon da, hat die Mannschaft persönlich begrüßt, die waren ja auch fast fünf Monate unterwegs. U-172, der Stolz der 10.-Flotille.«

      Michael gab Greimel die Hand.

      »Und sonst, die Tage gut überstanden?«

      Greimel nickte. »Ging so, ich bin schon seit gestern wieder auf unserer treuen Seekuh. Wir müssen uns ranhalten, wenn der ganze Elektrokram bis zum Auslaufen funktionieren soll.«

      »Ach, gibt’s schon einen Auslauftermin?«, fragte Michael überrascht.

      »Nee, das nicht, also nichts was ich weiß, aber ich denke, mehr als zehn Tage haben wir nicht mehr. Ich musste schon jede Menge Bestellungen raushauen.«

      »Weißt du auch schon, wann meine Torpedos kommen?«

      Greimel schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, der neue I WO ist ja auch noch nicht da.«

      »Was, immer noch nicht. Der Herr Oberleutnant Rath ist doch schon seit fast einem Monat weg, da wird’s doch eigentlich langsam Zeit. Der Neue muss sich schließlich noch zurechtfinden. Wie denken die sich das eigentlich?«

      Greimel zuckte mit den Schultern und verzog das Gesicht. »Der Rath hatte es über Weihnachten bestimmt richtig gut. In Paris und dann mit den hohen Herren.«

      Michael nickte. Er musste jetzt zusehen, sich an Bord zu melden. Mit Greimel konnte er später noch reden. Er trat vor die Stelling, blieb stehen und salutierte. Leutnant Landenberger wandte sich ihm zu.

      »Ober-Mechaniker-Maat Stromm meldet sich auf dem Boot zurück.« Michaels Worte klangen scharf und militärisch.

      Landenberger salutierte ebenfalls und erst jetzt betrat Michael die Stelling und ging aufs Deck von U-810.

      »Sie haben Pech, Herr Obermaat, Gefreiter Zimmer fällt vorerst aus. Hat sich das Bein gebrochen.«


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