Heine hardcore II - Die späten Jahre. Freudhold Riesenharf

Heine hardcore II - Die späten Jahre - Freudhold Riesenharf


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Antlitz umgekehrt von oben her, beide Unterarme über dem Kopf, nicht aber so wie Chrisis – oder Goyas Maja – beide Arme unterm Kopf verschränkt, sondern sie seitlich so ans Gesicht gelehnt, dass die Hände mit den Innenflächen auf ihrer Stirn liegen. Auch sieht man auf der gesamten Leinwand nur ihr Gesicht, mit geschlossenen Lidern und geöffnetem Mund mit sichtbaren weißen Oberzähnen ganz ihrer Lust hingegeben. Nach einer Reihe schweratmender, diskret stoßartiger Erschütterungen wird der Moment ihres Höhepunkts punktgenau daran erkennbar, dass sie plötzlich beide Unterarme zusammenschließt und so aneinanderfügt, dass nunmehr ihr Gesicht, das man sich dann nur noch vorstellen kann, darunter verschwindet. Wie wenn ihr in dem Moment die Sinne schwänden. Außerdem fällt im selben Augenblick ein Stück ihrer zerrissenen Perlenkette – Symbol zerrissener Jungfernschaft, wenn sie nicht schon verheiratet wäre– mit den kullernden Klunkern auf den flauschigen Bettvorleger.

      An Machatys Regie wäre allenfalls zu bekritteln, dass Becces Musik auch im Moment ihres Orgasmus relativ harmlos bleibt – anstatt wie etwa in Wagners Tristan und Isolde oder bei Tschaikowskijs Schwanensee anzuschwellen und in einen orgiastischen Höhepunkt zu münden. Danach sieht man Hedys Hand, wie sie schlaff neben der Bettkante herunterhängt. Dabei raucht sie in lässiger Erlöstheit eine Zigarette.

      Der Vorgang, der eigentlich doch der allergewöhnlichste und landläufigste von der Welt ist, ist nur deswegen so skandalös, weil die Schamhaftigkeit und Prüderie der Zeit so groß oder die Kiesler so gottverdammt schön ist. Vielleicht aber auch noch aus einem anderen Grund. Zum ersten Mal nämlich wie gesagt sieht der staunende Zuschauer in Großaufnahme einen weiblichen Orgasmus. Er sieht in Cinemascope, dass es beim Geschlechtsakt auch so etwas gibt wie den weiblichen Orgasmus! Ist das nicht der sichtbare Beweis dafür, dass auch die Frauen beim Geschlechtsakt einen Höhepunkt haben? Das ist nicht selbstverständlich, da man bisher meist davon ausging, dass die Frauen für die Lust der Männer da sind. Oder sollten wir, vorsichtiger ausgedrückt, sagen, dass auch die Frauen unter günstigen Umständen einen Orgasmus haben können? Außerdem ist das für den Zuschauer insofern erhellend, als er solcherart sicher sein kann, dass auch seine eigene Geliebte beim Geschlechtsakt einen Orgasmus hat. Oder haben kann. Er freut sich dann ganz persönlich und ist geschmeichelt, dass er, der gebenedeite unter den Männern, imstande ist, ihr einen solchen zu verschaffen.

      In Wahrheit ist das natürlich keineswegs sicher. Der Zuschauer geht nämlich der Leinwand auf den Leim und nimmt alles, was er sieht, für bare Münze. Dabei ist neuerdings dieLeinwand genauso geduldig wie bislang nur das Papier. Der Zuschauer denkt in diesem entscheidenden Moment nicht daran, dass Evas Orgasmus ja nur, wenn auch sehr überzeugend, gespielt ist, dabei aber keineswegs echt sein muss, so dass es noch in keiner Weise ein wirklicher Beweis dafür ist, dass sie oder irgendeine andere Frau beim Koitus einen Orgasmus hat. Diese Zweideutigkeit ist vielleicht, wie das Publikum unbewusst spürt, der eigentliche Skandal der Szene!

      Und doch ist Hedys gespieltes Gehabe so überzeugend, dass sie wirklich wissen muss, was ein Orgasmus ist, andernfalls sie es gar nicht so überzeugend darstellen könnte. Das ist richtig, die neunzehnjährige Eva Kiesler alias Hedy Lamarr hatte mit Sicherheit schon einen Orgasmus, wahrscheinlich sogar mehr als einen. Dem Zuschauer ist in dem Moment aber nicht bewusst, und er denkt einfach nicht daran, dass diese Orgasmen nicht notwendiger Weise vom Geschlechtsakt mit einem Mann hergekommen sein müssen und daher vielleicht mitnichten auch gekommen sind.

      Vorehelicher Geschlechtsverkehr? Unwahrscheinlich. Der Film ist 1933 schon in den Kinos, während Hedy ihren ersten Ehemann Mandl erst am 10. August desselben Jahres ehelicht. Auch macht der Mandl nicht den Eindruck eines Mannes, der einer Frau einen Orgasmus verschaffen könnte. Und doch muss sie schon ihre Orgasmen gehabt haben, ansonsten sie sie nicht so überzeugend auf der Leinwand verkörpern könnte. Woher können sie dann also stammen?

      Eigentlich nur von ihrer jungmädchenhaften Selbstbefriedigung her! Hedy hat sich bisher wie alle Welt sexuell selbst befriedigt, und jetzt beim filmischen Geschlechtsakt spielt sie ihren Orgasmus haargenau so, wie sie ihn aus ihrer Selbstbefriedigung kennt. Der unbedarfte Zuschauer aber wird auf ungeahnt subtile Weise hinters Licht geführt. Er nimmt jetzt nämlich, wenn Eva in Augenblik ihrer Ekstase die Ellenbogen überm Kopf zusammenschlägt, automatisch an, die Frauen erlebten beim Geschlechtsakt mit einem Mann geradeso denselben Orgasmus, wie sie ihn aus ihrer weiblichen Selbstbefriedigung kennen. Das sieht man daran, wie sie vor schamhafter Lust vergehend wie Moses auf dem Berg Sinai vor Gott das Antlitz verhüllt. In Wahrheit hat sie ihr Publikum vielleicht einfach nur getäuscht. In Wahrheit hat sie beim Geschlechtsakt vielleicht gar keinen Orgasmus, und mit ihrem Mandl schon gleich gar nicht. Sondern überhaupt nur in ihrer Selbstbefriedigung. Leinwand ist geduldig, und der ist Film eine Illusion. Ist das vielleicht der eigentliche Skandal, der das Publikum rund um den Globus aus seinem Kinosessel reißt?

      Im nationalsozialistischen Deutschland jedenfalls wird Ekstase sofort verboten. Erst 1935, nach Kürzungen durch die Nazis, wird der Film unter Tumulten in einigen wenigen deutschen Kinos gezeigt, versehen mit der Warnung: „Dieser Film ist jugendverderbend.“

      Jugendverderbend? Warum das? Sollen die Jugendlichen nicht wissen, dass Frauen einen Orgasmus haben? Sollen sie nicht durch das verruchte Vorbild sexuell erregt und, da sie die Leinwandszenen kaum nachmachen können, zur Onanie verführt werden? Oder sollen sie nicht auf die beschriebene Art hinters Licht geführt werden? Hedwig heiratet 1933 den reichen Wiener Industriellen Fritz Mandl, einen 14 Jahre älteren herrschsüchtigen und eifersüchtigen Mann, der ihr das Filmen sogleich verbietet. Beim ehelichen Verkehr mit ihm hat sie bestimmt keinen Orgasmus, so dass ihr die Leinwandillusionen sowieso vergehen. Das soll aber wie gesagt nicht heißen, dass sie überhaupt keinen mehr hat. Gelegentlich der Hochzeit in der Wiener Karlskirche verlangt Mandl, Sohn eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter, dass sie vom jüdischen zum katholischen Glauben konvertiert. Dass die schönsten Weiber, denkt Harry, immer die ekelhaftesten Männer kriegen müssen!

      Der eifersüchtige Gatte hält sie besonders an seinem feudalen Landsitz, der Villa Fegenberg auf dem 2.054 Hektar umfassenden Gut Schwarzau im Gebirge, wie eine Gefangene. Sie verlässt ihn, vier Jahre zu spät, 1937. In London wird sie von Louis B. Mayer unter Vertrag genommen. Gleichzeitig gibt er ihr in direkter Anspielung auf die berühmte Barbara La Marr, seinerzeit The Girl Who Was Too Beautiful, den Künstlernamen Hedy Lamarr. Metro Goldwyn Mayer vermarktet jetzt sie als die „schönste Frau der Welt“. Ihre Mitwirkung in dem Film Algiers 1938 an der Seite von Charles Boyer wird eine Sensation. Viele Schauspielerinnen kopieren ihre Mittelscheitel-Frisur, und die brünette Haarfarbe wird zur Modefarbe der späten 1930er. Die schöne Joan Bennett treibt die Nachahmung so weit, dass sie für den Streifen Trade Winds ihre bislang blonden Haare à la Lamarr färbt und für den Rest ihrer Karriere nicht mehr ändert. Gleichzeitig bewirkt Hedy eine Renaissance des Hutes als Accessoire für Schauspielerinnen. Als Kopfbedeckungen trägt sie Turbane, Schals, Schleier und sogar an Pagoden erinnernde mehrstöckige Kreationen. Ihr größter kommerzieller Erfolg ist Samson und Delilah unter der Regie Cecil B. DeMille's, bei dem sie ihrem Filmpartner Victor Mature die Haare abschneidet: „Zwischen glühender Liebe und abgrundtiefem Hass“, so ein zeitgenössischer Kommentator, „vollzieht sich ihr Schicksal im Kontext jüdischer Historie bis zum berühmtesten Katastrophenspektakel der Filmgeschichte, dem Einsturz des Philisterpalastes.“ Harry hätte was drum gegeben, an ihrer Seite den Samson zu spielen, doch könnte er, wie er neidlos erkennt, Victor wohl kaum das Wasser reichen. Der Komiker Groucho Marx, nachdem er den Film gesehen hat, lästert: das sei der einzige Film, den er kenne, bei dem der Hauptdarsteller größere Titten hat als die Hauptdarstellerin.

      Hedy ist sechs Mal verheiratet, daneben hat sie zahlreiche Affären, auch mit Frauen. Sie kriegt drei Kinder.

      Es ist indes, als würde das visuelle Potenzial des erotischen Film noch immer nicht ganz ausgeschöpft, oder ausgereizt. Es ist wie bei der Aufführung des Fliegenden Holländers in Amsterdam in seinen Memoiren des Herren von Schnabelewopski. Es ist, bemerkt Harry, eine Zeit, in der solche Szenen wie zu allen Zeiten zwar ständig und überall passieren, filmisch aber nicht salonfähig sind. Diese Liebesfilme handeln meistens von einer bestimmten Sache und steuern mit unbeirrbarer Zielstrebigkeit auf ihren Höhepunkt zu. Ist dann nach manchem Hin und Her der Punkt aber tatsächlich erreicht, blenden


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