Marie, Putin und das fünfte Gebot. Maxi Hill

Marie, Putin und das fünfte Gebot - Maxi Hill


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Zweifelsfall milde urteilen, umso vernichtender darf das Strafmaß ausfallen, wenn alle Befürchtungen schließlich doch eintreten. Und sie werden eintreten, wie bei jedem anderen Mann. Es ist ja kein Zufall, dass es nur Schnee-Männer gibt, keine Schnee-Frauen. Beim ersten heißen Blick einer Frau schmelzen sie und dann sind sie hin. Bei den -Blicken einer gewissen Marie Neumeyer ist das freilich anders. Daran bleibt kein Mann lange kleben.

      Im Moment steckt bei ihr sowieso der Teufel im Detail. Was macht sie nur immer falsch? Sie hatte das ganze Wochenende frei, sie hatte eine vortreffliche Minestrone gekocht mit viel Tomaten und zartem Kohl, ganz ohne eine Faser Fleisch. Sie hat für Putin Löwenzahnblätter gerupft, sich von der weißen Milch die gute weiße Hose beschmutzt. Nach ihrer bisherigen Meinung quillt das klebrige Zeug nur aus den hohlen Blütenstängeln, aber die hat sie bewusst nicht angerührt. Trotzdem ist die Hose hin. (Wieso macht weiße Milch so hässlich braune Flecken?) Sie hat die Wohnung geputzt und den Balkon entrümpelt, für Putin neue Streu in den Stall gegeben und sie hat ihrem treuen Gefährten mehr Zuwendung geschenkt als je einem Zweibeiner. Er wird sie nie enttäuschen, das ist nach Adam Riese jedenfalls nicht zu erwarten. (Adam Riese gebraucht sie aus Vorliebe, um gegen Evas Philosophen-Manie einen greifbaren Gegenpart zu liefern. Immerhin kennt sie sich in Philosophie nicht aus und immerhin sind die Naturwissenschaften - und die Mathematik im Besonderen – schulische Pflichtfächer, was man von der Philosophie glücklicherweise nicht sagen kann.)

      Sie hat also an diesem elternabstinenten Wochenende alles richtig gemacht, warum ging es ihr dann so verdammt schlecht? Die Einsamkeit ist es, da hilft auch der strapazierte Selbstbetrug a la Wilhelm Busch nicht: Wer einsam ist, der hat es gut, weil keiner da, der ihm was tut.

      Die Einsamkeit wäre für sich genommen ideal, wenn man nur die Macht darüber behielte, von wem man sie beenden lässt.

      Jetzt schlägt die Haustür zu und es ist, als hört sie ein Kichern auf der Treppe. Auf nackten Füßen schleicht sie durch den Flur, ohne eine Lampe anzuknipsen. Geräuschlos schiebt sie die kleine Klappe von dem Guck-Dings beiseite. Im Treppenhaus ist es hell – dank Bewegungsmelder. Das Bild ist sehr verzerrt, erkennen kann sie dennoch, was sich da tut.

      Die Schritte auf dem Beton vor dem Haus stammten von jenen High Heels, die neben Jonas einher stöckeln. Das Kichern kommt aus kirschroten Lippen, die vermutlich die ganze Nacht an ihm herumknabbern werden. Kann ein Mann neben einer solchen Frau auch nur ein Auge zumachen? Hallo. Morgen ist Montag …!

      Die Frau hat einen Koffer dabei! Einen Koffer! Den trägt ganz selbstverständlich Jonas. Ein Stich geht durch ihre Brust. Jonas stellt den Koffer auf den Abtreter, legt seinen Arm um die Frau, schaut verstohlen zu ihrer Tür herüber, dann schiebt er dieses Flittchen über seine Schwelle und verhindert wohl auf diese Weise, dass die Fremde nicht schon auf dem Flur über ihn herfällt. Kira ist es zum Glück nicht, aber weil es Kira nicht ist, hat Marie für Montagmorgen einen Trumpf im Ärmel. Bei bester Gelegenheit wird sie einen Spruch ablassen, welchen, das steht noch nicht fest. Wahrscheinlich aber in der Richtung wie: Dein Knackarsch will immer nur das Eine, aber jeden Tag von einer anderen Frau.

      Sie liegt wach. Hellwach. Hinter ihrem Kopfende befindet sich die Wand, hinter der wiederum sein Schlafzimmer liegt … Erst jetzt fällt es ihr ein: Wo ist diese Dobermann-Rottweiler-Boxer-Töle? Hat er seinen Hund verstoßen, damit er eine ungestörte Nacht verbringen kann? Armes Tier! Ein rechter Tierfreund ist das. Womöglich hat er Barack im Tierheim abgegeben und holt ihn erst wieder ab, wenn …

      Sie sieht die Bilder hinter der Wand ganz deutlich vor sich und ihre Erregung wird stärker, als es ihr lieb ist. Nein, sie ist ihr ja lieb, sehr sogar. Nur die wellenförmige Hitze in ihrem Leib passt gar nicht zur schwülen Nacht nach dem Regen am Tag. In ihrer inneren Not stellt sie sich vor wie es wäre, wenn er sie so über die Schwelle geleitet hätte. Wenn sie jetzt in seinen Armen läge … Das Wort schwellen löst etwas in ihr aus, was sie erschreckt und zugleich die ganze Wut vergessen lässt, die sie auf Jonas hatte. Sie stellt sich ausgerechnet ihren ärgsten Widersacher vor, wie er eindeutige Blicke auf ihren Körper wirft, wie er die Knöpfe an ihrer Bluse öffnet und sie ihm das Signal der Bereitschaft sendet, es auch zu wollen. Unbedingt und unverzüglich.

      Und dann beginnt sie mit ihrer Vorstellung noch einmal von vorn – Blicke, Hände, Haut, Brust, Lenden, Schenkel und … Wieso küsst er sie nicht. Hat sie vielleicht Mundgeruch? Wieso küsst dieser Arsch sie nicht!

      Zuerst läuft sie zur Toilette, dann kniet sie am Kopfende ihres Bettes und drückt ein Ohr fest an die Wand. Dumpf klingen ein paar Wortfetzen gegen den Ziegel, aber sie hört keine ekstatischen Schreie oder ein Stöhnen oder was sie sich noch alles gar nicht vorstellen kann.

      Jetzt hasst sie ihn wieder und noch mehr als zuvor, aber zugleich beherrscht sie das schizophrene Gefühl, mit ihm schlafen zu wollen. Sie wünscht es sich auf einmal so sehr, dass sie schon ziemlich erfinderisch sein muss, um nicht verrückt zu werden. Ob sie es sich nur von ihm wünscht oder von einem Mann generell, darüber denkt sie nicht nach. Entscheidend ist das Bild, das sie gesehen hat, und das gönnt sie diesem Flittchen mit den High-Heels und mit den knallrot geschminkten Lippen nicht.

      Es gibt nun mal Frauen, die mit High-Heels ein Wettrennen machen können. Und es gibt Marie Neumeyer, die sich in ihren roten Hauspantoffeln mit Häkelbommel den Fuß verstaucht.

      Was ist das bloß für ein Tag, was für ein Wochenende, was für eine Woche? Sie hatte für sich beschlossen, lieber allein zu leben und tun und lassen zu können was sie möchte und was sie für richtig hält. Und nun bringt ihr ein Blick durch den heimischen Spion die Verlockung in ihren Schoß, in diesem Moment mit ihm zu schlafen oder wenigstens neben ihm einzuschlafen. Ihre Lieblingsausrede, allein leben zu wollen, ist schon ein Akt für sich. Ein Akt des Verrats, der Untreue, des abnormen Lasters.

      Gefühlte vier Stunden lässt sie ihr Ohr an der Wand. Schon fürchtet sie eine Mittelohrentzündung zu provozieren, als ihr eine Idee kommt. Sie hatte ihn schon einmal beobachtet, als er seine Töle wieder beruhigte. Das war noch gar nicht lang her, und seit damals würde er sich keine Vorhänge angeschafft haben. Männer brauchen solche Dinge nicht. Und sie brauchen Licht bei dem, was sie am liebsten tun und worauf ihr Sinn einzig ausgerichtet ist. Das zumindest weiß sie aus Erfahrung, und es war jene Erfahrung, die sie mit diesem einen Mann gar nicht hätte machen wollen und weshalb sie nie wieder eine feste Bindung eingegangen ist. Sie ist ja kein Affe im Käfig, den man in allen Verrenkungen begaffen kann. Ihr Körper ist ihr Eigentum und sehr intim. Wozu also braucht ein Mann soviel Licht, wenn doch die entscheidenden Organe die Passform auch im Dunklen finden.

      Kurz vor Ende der Nacht fehlt Marie etwas Entscheidendes, das sie zu gerne wüsste. Ist er der Mann, der es im Dunklen tut? Dann wäre er für sie wie geschaffen. Jedenfalls ist überall in seiner Wohnung das Licht aus und Marie zieht sich endlich auch zurück. Weder enttäuscht noch erleichtert. Gegen ihre Einsamkeit braucht sie jetzt Putin. Er sträubt sich wegen der nächtlichen Störung, aber er hat keine Chance. Irgendwer muss all ihre aufgestaute Liebe jetzt zu spüren bekommen. Nicht irgendwer. Einer, der es sich verdient … Freilich. Auch verdiente Liebe gehört zum Glück.

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