STRANGERS IN THE NIGHT. Jon Pan
schreiben. Kaempfert hat ihm das dann im richtigen Moment ermöglicht. Nimmt diese Tatsache den ganzen Vorfällen ein bisschen den Schrecken? Ich meine: Strangers In The Night ist der SinatraHit überhaupt. Auch wenn das Sinatra selber nie richtig zugab (es störte ihn, dass die Nummer aus deutscher Hand kam). Aber Strangers ist eine der berühmtesten Nummern in der Unterhaltungsmusik.«
»Es schaffte ihn dermaßen ...« Ruth wirkt nachdenklich. »Er konnte das Ding nicht mehr hören, ›diese Scheißnummer‹, wie er sagte.«
»War es denn wirklich die Geschäftspolitik der Amerikaner, die Kaempfert in diese Rolle drängte?«, will ich wissen.
»Die wollten eben eine Kaempfert-Filmmusik und keine Rehbein-Filmmusik. Und für Herbert war es natürlich eine einmalige Chance, eine Filmmusik zu schreiben. Da hat doch kein Mensch an Sinatra oder gar einen Hit gedacht. Das lief einfach und kam völlig anders heraus.«
»Kaempfert ist im entscheidenden Moment aber nicht für seinen Freund eingestanden«, werfe ich ein.
»Fips hielt Herbert bewusst materiell dumm, wenn man das so sagen kann«, fährt Ruth fort. »Er nutzte gezielt seine Schwächen aus. Musikalisch, literarisch und in vielen anderen Dingen war Herbert Fips total überlegen.«
»Was waren diese Schwächen, die Kaempfert ausnutzte?«
»Herberts Desinteresse an materiellen Dingen«, erklärt Ruth. »Wenn unser Konto leer war, sagte er: ›Na ja, es kommt ja wieder was herein.‹ Es interessierte ihn auch nicht, wie viel Geld ich jeweils abhob. Er ging einmal zur Bank, um eine kleinere Summe für ein Weihnachtsgeschenk abzuheben. Da ihn dort niemand kannte, musste er seinen Pass zeigen. Das war ihm zu viel, und er sagte zu mir: ›Auf diese Bank gehe ich nie mehr.‹ So war das einfach. «
»Das war seine Mentalität«, sage ich, »wie ich sie auch an ihm erlebt habe. Geschäftliche Sachen interessierten ihn nicht.«
»Er hätte einfach nicht die Kraft gehabt, sich mit den Leuten aus der harten Geschäftswelt herumzuschlagen. Fips konnte das, er war wie geschaffen dafür. Wäre Fips selber nicht so clever gewesen, hätten ihn andere – zum Beispiel Hal Fein – beschissen.«
»Das war Herbert zu profan?«
»Es war unwichtig für ihn. Er dachte nicht so. Das zeigt sich auch darin: Wenn ich ihm mal sagte, ›Wasch doch das Auto‹, antwortete er: ›Was soll das! Bring den Wagen zum Waschen. In dieser Zeit schreibe ich eine Nummer.‹ Diese alltäglichen Dinge waren für ihn Nebensächlichkeiten. Und wenn das jemand weiß, kann er das natürlich bewusst ausnutzen.«
»Die erste Begegnung zwischen Herbert und Kaempfert ist ja bezeichnend für ihr späteres Verhältnis.«
»Richtig«, bestätigt mir Ruth. »Diese erste Begegnung ist typisch. Kaum war der Krieg vorbei, hatte Fips schon ein Motorrad. Herbert kam mit dem Geigenkasten an. Fips: ›Mensch, wo musst denn du hin? Komm, kannst aufsitzen.‹ Dort zeigte sich schon alles. Herbert sitzt hinten, den Geigenkasten unter dem Arm, Fips sitzt vorne am Steuer. So ging das mit den beiden ein Leben lang weiter, denn Fips saß immer am Steuer und ließ es nie los.«
»Es war ein hoher Preis, den Rehbein für diese Abhängigkeit zahlte.«
»Hanne sagte mir einmal«, erinnert sich Ruth, »dass Herbert ihr eigentlich den Mann weggenommen habe. Verstehst du, was ich meine? Fips war in gewisser Weise mehr daran interessiert, diese führsorgende Stellung bei Herbert als bei seiner Frau einzunehmen. In diesem Bereich fühlte er sich seinem Freund gegenüber sehr verpflichtet.«
»Und was war deine Rolle in diesem Spiel?«, frage ich Ruth.
»Ich darf sagen, dass ich Herbert vor einigen Situationen bewahrt habe. Er konnte sich manchmal für jemanden begeistern, und ich spürte intuitiv, dass ein solcher Kontakt gefährlich werden könnte. Da sagte ich ihm dann: ›Pass auf!‹«
»Warum bei Kaempfert nicht?«
»Weil das eben alles nicht vorhersehbar gewesen ist. Obwohl es Situationen gab, in denen ich klar erkannte, was gespielt wurde. So auch bei der Sache mit Strangers In The Night. Und trotzdem kam dann alles so, wie es wohl hat kommen müssen.«
Gib dem Menschen eine Uniform ...
Herbert Rehbein, geboren am 15. April 1922 in Hamburg, wuchs in einer bürgerlichen Umgebung auf, liebevolle Mutter, Vater Polizeibeamter, ein jüngerer Bruder. Schon früh hatte er den Wunsch, ein Instrument zu spielen. Ein Klavier, das er gerne gehabt hätte, war zu teuer. Er bekam eine Geige. Die Auflage lautete: Schule an erster Stelle, dann erst die Musik! Rehbein schaffte prompt das Abitur nicht. Dafür erhielt er ein Stipendium und fing im Vogtschen Konservatorium in Hamburg ein Musikstudium an.
Damit war der Weg zur brotlosen Kunst eingeschlagen. Für Rehbein gab es ohnehin nur Musik, also dachte er nicht an Brot. Er sang zusätzlich im Kirchenchor, die Matthäuspassion in der St.-Michaelis-Kirche. Dann kam die Hitlerjugend.
Er schummelte sich durch, ließ diejenigen machen, die es machen wollten. Einer der Jungen, der ihn mochte, stellte sich schützend vor ihn. Rehbein quittierte mit kleinen Gefälligkeiten. Sämtliche Ideologien stießen ihn ab, so dachte er schon in jungen Jahren: »Gib dem Menschen eine Uniform, und du lernst ihn erst wirklich kennen!« Für diese Welt war er nicht gemacht.
In der Welt der Musik hingegen fühlte er sich wohl. Das entsprach seinem Wesen. Er übte täglich Geige, oft bis zu zehn Stunden. Alles oder nichts. Zusätzlich nahm er Privatunterricht bei Professor Gerstekamp, einem Mann aus der Philharmonie. Rehbeins Begabung blieb dem Professor nicht verborgen. Die beiden mochten sich. Gerstekamp verstand, wie er mit Rehbein umzugehen hatte. Kein Zwang, sondern subtile Förderung der Begabung.
Draußen zog eine Fratze am Horizont auf: Krieg! Zehntausend Geigen hätten dem Donnern der Gewalt nicht standhalten können. Die Nazis wüteten schon lange, Hitler schürte eine Krankheit, die sich bald über ganz Europa, bis hin nach Afrika, ausbreiten sollte. Der Klang der Geige verstummte. Wehrmacht hieß es für Rehbein. Junge, unverbrauchte Männer waren gefragt. Rehbein wollte zum Musikkorps. Als Geiger hatte er da natürlich keine Chance, also stieg er für diesen Zweck auf Klarinette um. Er musste in Lübeck einrücken. Kasernendrill. Die Ausbildung ging schnell. Rehbein kam nach Kreta
Der Krieg tobte. Kreta blieb vorerst verschont. Rehbein verschrieb sich auch dort voll und ganz der Musik. Doch die Strenge der Klassik ließ ihm zu wenig Raum, engte ihn ein, obwohl er das Orchestrale liebte. Er gründete ein Tanzorchester, dem er als Kapellmeister und Geiger vorstand. Sehr schnell machte er sich unter den Soldaten einen Namen. Er brauchte diese Sonderstellung, um zu überleben.
Aus einem Brief eines ehemaligen Kriegskameraden an Rehbein:
»Die 22. I. D., bzw. das 16. Infanterie-Regiment, lag mit seiner Stabskompanie auf Kreta in den Ortschaften Rethimnon, zuletzt in Neapolis. Unser Kommandeur war Oberstleutnant Haag und später Major Bruns. Ich z.B. war im Zugtrupp des Pak-Zuges bei Leutnant Giesel und Sie in der Regimentskapelle, die mit ihrem Tanzorchester an so manchem Abend im Soldatenheim für Stimmung sorgte. Wie oft habe ich zu Hause von dieser Zeit gesprochen und dabei von der Eroberung der italienischen Instrumente und Noten erzählt. Kamen dabei doch so tolle Sachen wie der › Schwarze Panther ‹ und › Mary Lou ‹ zum Vorschein. Was waren das für schöne Stunden, als Sie als Kapellmeister mit dem Tanzorchester diese beiden Hits immer wieder spielen mussten. Den Alltag auf Kreta verbrachten Sie oft bei uns im Pak-Zug, und dadurch lernten wir uns näher kennen. Sie sprachen damals schon von moderner Musik und meinten, dass man sich eines Tages damit auseinandersetzen müsste. Sie spielten in der Regimentskapelle schon eine besondere Rolle.«
Eines Nachts musste Kreta Hals über Kopf geräumt werden. Flug nach Athen. Von dort aus folgte ein Gewaltsmarsch durch Jugoslawien, der »Wandernde Kessel« genannt. Eine ganze Division bewegte sich mühsam vorwärts, über Pässe, ständigen Angriffen und Überfällen von Partisanen, russischen Bombern und Tieffliegern ausgesetzt. Sämtliche Musikkorps