Angst in Nastätten. Ute Dombrowski
in ihre kühle Wohnung zurückziehen. Lene war schon voller Energie aufgesprungen und räumte das Geschirr ab. Sie schnaufte.
„Es ist noch so früh und trotzdem ist die Hitze schon unerträglich. Gestern sah es eigentlich aus, als wenn ein Gewitter kommen würde, aber dann haben sich die Wolken doch wieder verzogen.“
„Dass der Juni so heiß ist, ist sehr ungewöhnlich. Ich denke, wir bekommen einen Jahrhundertsommer. Also, liebe Damen, ich fahre jetzt nach Holzhausen. Drückt mir die Daumen, dass der Kerl mich nicht frisst.“
Jennifer verließ den Hof durch den Garten.
6
Reiner war am Samstag um acht Uhr aufgestanden. Er hatte geschlafen wie ein Stein. Jetzt saß er mit zwei aufgebackenen Brötchen an seinem kleinen Küchentisch und dachte an Undine. Sie hatten sich nicht wieder verabredet und nun überlegte er, ob sie erwartete, dass er sich zuerst meldete.
„Keine Ahnung“, sagte er zu seiner Kaffeetasse. „Was weiß ich, wie Frauen ticken.“
Er dachte: Melde ich mich zu schnell, denkt sie womöglich, ich sei aufdringlich – melde ich mich zu spät, denkt sie, ich habe kein Interesse.
„Ich rufe sie heute Nachmittag mal an und frage, wie es ihr geht.“
Der Kaffee nickte in der Tasse, also fühlte sich Reiner bestätigt und trank ihn aus. Danach räumte er den Tisch ab und saugte die kleine Wohnung. Er stellte die Waschmaschine an und fuhr einkaufen. Als er wieder zuhause war, legte er sich mit der Zeitung auf die Couch. Alle Fenster standen offen, aber die Hitze hatte sich bis in den letzten Winkel der kleinen Wohnung breitgemacht. Gelangweilt blätterte er die raschelnden Seiten durch.
„Ob sie mit mir Eis essen geht?“
Reiner schaute auf die Uhr. Es war erst zwei, aber er hatte keine Lust mehr, allein in der heißen Wohnung zu sitzen. Innerlich musste er grinsen, als er dachte: Jetzt habe ich tatsächlich Interesse an einem gemeinsamen Nachmittag mit einer Frau. Das war bis vor kurzem undenkbar gewesen. Er hatte sich nach der Arbeit immer schnell verkrochen, so lange, bis er es nicht mehr gewohnt war, sein Leben mit jemand anderem zu planen, geschweige denn zu teilen. Aber es fühlte sich nicht schlecht an, sich nach der Gesellschaft von Undine zu sehnen.
Entschlossen griff er nach seinem Handy und wählte ihre Nummer. Enttäuscht ließ er das Gerät auf die Couch fallen, weil niemand dran ging. Wo war sie denn bei der Hitze? Schwimmen? Mit Freundinnen Eis essen? Mit wem konnte er sich sonst verabreden? Mussmutig stellte er fest, dass es außer seiner Arbeit und den Kollegen niemanden gab, der zu seinem Leben gehörte.
Unruhig lief Reiner zum Fenster und schaute hinaus.
„Ach was!“, knurrte er. „Ich brauche niemanden.“
Er trommelte mit den Fingern auf dem Fensterbrett und sah draußen fröhliche Menschen bei einem Spaziergang, andere schleppten ihre Einkäufe ins Haus, wieder andere gingen mit ihren Hunden spazieren. Nicht mal ein Haustier habe ich, ging es ihm durch den Kopf. Vielleicht konnte er Undine später nochmal anrufen?
Reiner hielt es nicht mehr aus, er musste raus aus dieser Enge und Hitze. Sein Weg führte ihn an den Fähranleger. Die Luft hatte zwischen den Häusern gestanden, aber hier am Rhein wehte ein laues Lüftchen, was es gleich angenehmer machte. Im Café, in dem er seine wenigen freien Nachmittage verbrachte, machte er es sich gemütlich, bestellte einen großen Eisbecher mit Erdbeeren und einen Topf Kaffee. Er beobachtete die Leute, löffelte das Eis und war plötzlich rundum zufrieden. War es möglich, dass er sich langsam an die Gesellschaft der Menschen gewöhnte?
In dem Moment klingelte sein Handy. Es war Undine.
„Hallo Reiner, ich bin noch mit Lene unterwegs und habe deinen Anruf nicht mitbekommen. Was war denn?“
„Ach, ich wollte dich eigentlich zu einem Eis einladen, aber nun bin ich allein in ein Café gegangen und genieße den Tag.“
„Oh, da habe ich ja etwas Wichtiges verpasst. Wie wäre es denn, wenn du heute Abend um sieben kommst und wir grillen ein bisschen?“
Grillen? Undine? Den Abend genießen? Ein schönes Glas Wein? Gute Gespräche?
„Das hört sich gut an. Ich komme gerne. Was soll ich mitbringen?“
„Eine Flasche Rotwein und gute Laune. Alles andere haben wir im Haus. Es macht dir doch hoffentlich nichts aus, wenn Jasmin und Lene mit uns essen?“
„Aber nein!“, rief Reiner und dachte: Aber ja. „Dann bringe ich lieber mal zwei Flaschen Wein mit.“
„Sehr gut“, lobte ihn Undine, „bis später. Ich freue mich.“
„Ich mich auch.“
So einfach war das. Sie hatten eine Verabredung und mit einem Mal waren alle negativen Gedanken wie ausgelöscht. Vielleicht bekam er doch nochmal eine Chance, sein Leben neu einzurichten, mit einer Frau an seiner Seite, die ihm das Wasser reichen konnte, die einen eigenen Kopf hatte.
„Herr Ober, ich möchte zahlen!“
Der junge Mann kam und nahm das großzügige Trinkgeld mit einem freundlichen Lächeln entgegen. So kannte er den alten Griesgram gar nicht, der oft am Wochenende hier saß, ewig an einer Tasse Kaffee nippte und aus dem Fenster starrte. Er bedankte sich und wünscht seinem Gast einen schönen Abend.
„Den werde ich haben“, erwiderte Reiner und lief leichten Schrittes heim.
Dort duschte er noch einmal, denn es war nun auch noch schwül geworden. Ein Gewitter war mehr als nötig, aber noch war der Himmel blau und wolkenlos. Nach dem Rasieren betrachtete er sich im Spiegel und fand sich ganz ansehnlich. Er kämmte sich die Haare und setzte sich ins Wohnzimmer. Noch über drei Stunden, dachte er. Er schaltete den Fernseher ein und las ein bisschen im Videotext. Die Bauern beklagten die Trockenheit, in einigen Regionen brannten die Wälder und die Kinder sehnten die Ferien herbei, damit sie endlich den ganzen Tag im Schwimmbad sein konnten. Kranke Menschen litten unter der Hitze und es hatte schon einige Todesfälle gegeben, denn besonders bei den Alten, die zu wenig tranken, versagte oft der Kreislauf. Deutschland stöhnte und ächzte bei den Temperaturen und im Rhein war schon bedenklich wenig Wasser.
Um fünf Uhr machte sich Reiner nochmal auf den Weg und kaufte im Supermarkt einen Strauß gelber Rosen. Zuhause entfernte er die Folie, ging dann in den Keller und suchte im Weinregal, das er im Winter regelmäßig auffüllte, nach Rotwein. Er fuhr immer im November am Rhein entlang und kaufte bei den Winzern Kisten mit Wein, denn der ließ sich auch sehr gut verschenken.
Er zog sich um, kontrollierte noch einmal sein Äußeres im Spiegel und ging dann kopfschüttelnd zum Auto.
„Jetzt mache ich mich schon wegen einer Frau zum Affen und gucke dreimal am Tag in den Spiegel. Was macht die mit mir?“
Reiner fuhr langsam nach Nastätten und parkte kurz vor sieben am Lohbach. Bei Aussteigen fiel sein Blick auf die Stelle, wo der Tote des letzten Falles gelegen hatte. Nichts erinnerte mehr an den Mord. Er seufzte und betrat den Hof durch den Garten. Unter der Remise saßen die drei Frauen und hatten die Füße hochgelegt. Als Zorro ihm schwanzwedelnd entgegenkam, sah Undine hoch und lächelte.
„Schön, dass du da bist.“
Sie erhob sich und kam ihm entgegen. Barfuß war sie noch kleiner als sonst und Reiner beugte sich herunter, um sie zur Begrüßung zu umarmen.
„Guten Abend, die Damen“, grüßte er freundlich, als er Undine losgelassen hatte. „Der ist für dich.“
Er streckte Undine unbeholfen den Rosenstrauß entgegen.
„Danke, setz dich doch in den Schatten. Ich hole mal eine Vase.“
„Hallo, Herr Kommissar“, sagte Jasmin ehrfürchtig.
„Sagen Sie doch Reiner, heute bin ich nicht dienstlich hier.“
Lene sagte: „Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Und da Sie außer