Unmögliche Aufträge: Zwei Thriller. Alfred Bekker
verdammt, dachte er. Ausgerechnet Hubers, an denen auch ihm etwas lag. Hätte er angerufen, hätte er vom Flughafen direkt hinfahren können. »Entschuldige«, sagte er.
»Ach, schon gut.« Sie wandte sich um und bot ihm den Anblick ihres schlanken Rückens. »Irmgard wird dich vermissen.«
»Du, hör auf!« Irmgard Huber, groß, rothaarig und ungemein unzufrieden, machte ihm seit langem schöne Augen. Und nicht nur das. Wenn Irmgard wusste, dass er allein zu Hause war, rief sie ihn an. Sie würde sich mit ihm in München treffen, wenn er sie darum bäte. Für ihn würde sie sogar Ludwig, ihren Mann, laufenlassen.
»Du musst wieder weg?«, erkundigte sich Heike.
»Ja, gleich morgen früh.«
»In der letzten Zeit lässt du dich wieder ganz schön herumhetzen.«
»Wir haben Probleme in Bilbao.«
Sie drehte sich um und sah ihn ängstlich an. »Du musst wieder nach Spanien?« Ihr schmales Gesicht wurde von langem, dunklem Haar eingerahmt. Sie sah immer noch wie Ende Zwanzig aus, ihre Figur war schlank, der Körper biegsam, und er liebte sie, wenn auch nicht mehr mit der Glut der ersten Jahre, dafür mit einer Beständigkeit, die ihn selbst am meisten wunderte. Und trotzdem war irgendetwas mit ihnen geschehen. Immer seltener fanden sie sich zu einem Gespräch, zu einem wirklichen Dialog.
Sie erzählte von ihren Erlebnissen im Tennisclub und von den Schwierigkeiten mit den Kindern, und wenn er von seiner Arbeit sprach, gab sie vor, zuzuhören, um bei der erstbesten Gelegenheit auf ein ihr genehmeres Thema zurückzukommen. Er bezweifelte, dass sich irgendetwas ändern würde, wenn er jeden Tag zu Hause wäre. Die Krise würde sich verschärfen, offen zutage treten, und sie würden schneller auseinanderdriften.
»Ich brauche nicht sofort nach Spanien«, sagte er, um sie zu beruhigen. »Zuerst muss ich nach Belgien.«
Das hörte sich plausibel an. In Namur wurden in einem Zweigwerk seiner Firma die komplizierten mechanischen Elemente der Bandstraße für das Werk des Kunden in Bilbao hergestellt, und es gehörte zu seinen Aufgaben, sich über den Fortschritt der Arbeiten in Namur an Ort und Stelle zu informieren.
Wenn er das Werk in Namur besuchte, flog er meistens bis Köln und nahm dort einen Leihwagen. Deshalb war er auf den Gedanken verfallen, Heike eine Reise nach Namur vorzutäuschen. Falls ihn jemand in Köln oder Bonn sähe und Heike davon erführe, hätte er weniger Schwierigkeiten, ihr eine plausible Erklärung zu geben, als wenn er erzählt hätte, er sei wieder in Bilbao. Denn auch ohne Mehrländers Anweisung, Heike aus der Geschichte herauszuhalten, hatte er nicht die Absicht, mit ihr über das abenteuerliche Unternehmen zu reden.
Er hoffte, nie mit einem Außenstehenden darüber reden zu müssen.
»Wie lange dauert es diesmal?«
»Das kann ich noch nicht sagen«, antwortete er. Er fühlte sich unbehaglich. »Auf jeden Fall bin ich am Wochenende nicht da.«
»Am Samstag findet das Sommerfest in Udos Schule statt. Er wird ein physikalisches Experiment vorführen.«
Er biss sich auf die Lippen. Ausgerechnet Udo, der seine Aufmerksamkeit dringend brauchte. »Es geht nicht«, sagte er niedergeschlagen.
»Dein Job geht vor. Sag es ihm.« Sie rührte in einem Topf. »Du kannst von dem Gulasch haben, ich wollte es einfrieren für Sonntag. Es dauert noch ein paar Minuten. Sag Gerd, er soll reinkommen.«
Er trat auf die Straße hinaus und rief nach Gerd, der sofort mit Geheul angeprescht kam. Er schloss die Haustür hinter dem Jungen und ging in sein Arbeitszimmer.
Er schloss den Schrank auf, in dem er seine Fotoausrüstung, den Diaprojektor und die Diakästen aufbewahrte. Er machte nur noch Dias, alles andere war ihm zu aufwendig. Die vier Alben mit den Papierbildern, den besten Fotos aus seiner Jugendzeit, standen in einer Reihe mit älteren gesammelten Zeitschriften und einigen Lehrbüchern, die er noch gelegentlich benutzte Er spürte ein kaltes Gefühl, das langsam seinen Rücken hinaufkroch und seinen Nacken erfasste. Seit er selbst vergrößerte, hatte er seine besten Fotos nach Themen geordnet und gesammelt. Landschaften, Architektur, Technik und Menschen.
Das dicke Album mit dem grünen Lederrücken stand nicht mehr an seinem Platz.
III
Es war voll gewesen mit den Fotos seiner Mitschüler und Lehrer, seiner Freunde und Freundinnen seiner Sportkameraden Er hatte zu fotografieren begonnen, als er in die Untertertia kam. Ein Jahr später hatte er sich von dem Lohn eines Ferienjobs eine Vergrößerungsanlage gekauft. Er hatte sogar während des Unterrichts Fotos gemacht. Schnappschüsse von den Lehrern in den für sie typischen Haltungen.
Und natürlich immer wieder Jochen, Jutta und Rainer. Jochen auf dem Schulhof, Jochen und Jutta mit dem kleinen Paddelboot auf dem Mittellandkanal. Eine Radtour mit Jochen und Jutta, bei einem Sportfest, Jochen und Rainer, Jochen nach der Beerdigung seiner Mutter...
»Volker! Hörst du nicht?«
Heikes Stimme klang scharf. Er fuhr herum.
»Verzeih, ich habe gerade an etwas gedacht.«
»Dein Essen ist fertig.«
Er war nicht bei der Sache. Er musste den ganzen Schrank absuchen. Irgendwo musste das Album ja sein.
»Hast du mal das grüne Album in der Hand gehabt?«, fragte er, als sie nach dem Essen einen Kaffee tranken.
»Das grüne? Ist es das mit den Schulfotos?«
»Ja.«
»Nein. Ich nehme überhaupt keins von den Alben in die Hand. Ich gehe nicht an den Schrank, weil ich weiß, wie du dich immer anstellst.«
Das kalte Gefühl stellte sich wieder ein. Fragen drängten sich auf, die er zurückhalten musste, wenn er Heike nicht beunruhigen wollte Gerd kam hereingestürmt, um gute Nacht zu sagen. Seine Kaffeetasse kippte um, und Heike schimpfte laut.
»So, du Ungeheuer, jetzt ins Bett! Los, ab!«
»Bringst du mich morgen zur Schule, Papa?« Gerd klammerte sich an Schaakes Hals fest.
Schaake drückte seinen Sohn an sich. »Klar tue ich das«, sagte er weich.
Gerd besuchte die Realschule in Haar. Weil es sich kaum lohnte, den Bus zu benutzen, fuhr Gerd zum Leidwesen seiner Mutter am liebsten mit dem Fahrrad. Heike hatte sich jetzt daran gewöhnt, aber wenn sie die Zeit irgendwie aufbringen konnte, brachte sie Gerd immer noch mit ihrem Wagen zur Schule und holte ihn mittags wieder ab. Jetzt lächelte sie.
»Dann darf ich ihn wohl abholen, weil du zum Flughafen weiterfährst?«
Gerd stürmte hinaus und polterte nach oben. Udo schlenderte herein und setzte sich aufs Sofa.
»Kann ich den Rockerfilm sehen?«, fragte er.
»Du bist wohl übergeschnappt! Rockerfilm!«
Udo hob die Schultern, warf die Fernsehzeitschrift weg und zog wieder ab.
»Erlaubst du ihm solche Filme?«, fragte Schaake
»Natürlich nicht. Aber manchmal, wenn du weg bist, ist es eben nicht so einfach, ihm alles abzuschlagen.«
»Ach komm, setzen wir uns.« Er zog sie auf seinen Schoß und fasste ihre Brüste an. Sie stieß seine Hand zurück.
»Nicht! Udo kommt doch gleich wieder. Und außerdem muss ich das Gulasch noch umfüllen.«
Er seufzte. »Hattest du in der letzten Zeit Besuch?«
»Ich? Besuch? Wen denn?«
»Das frage ich dich ja.«
»Außer Uschi und Irmgard kommt nur Frau Teschner manchmal nach dem Tennis auf ein zweites Frühstück mit. Ich bin die klassische Grüne Witwe. Wenn der Richtige anklopft...«
»Und sonst? Ich meine, waren schon mal Handwerker hier?