Fleischpflanzerl. Jonas Scotland

Fleischpflanzerl - Jonas Scotland


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hier denkt doch, Hans ist im Krieg gefallen.«

      »Na, das ist auch gut so«, erwidert Anton melancholisch nachdenklich. »Wohnt der Neffe auch allein drüben?«

      »Bis jetzt: ja. Er ist noch nicht lange da, erst ein paar Monate. Was der im Garten zu arbeiten hat! Das ist ja alles ganz verwildert. Kein Wunder, nachdem das Haus so lange leer stand. Ich versuche ja jeden Kontakt mit ihm zu vermeiden, damit er mir nicht zu viele Fragen stellt.«

      »Kennst du den Spruch?:

      "Das Leben ist wie eine Hühnerleiter, man kommt vor lauter Scheiß nicht weiter."

      — Hat mir ein Kamerad in Russland beigebracht.«

      Sie kritisiert: »Na, also weist du! Wenn der Junge das hört! Du musst doch ein bisschen gebildet sein.«

      Nach einem Augenblick des Schweigens erinnert sich Anton an einen Gedanken, welcher ihm seinerzeit anlässlich der ungewollten Einziehung kam: »Stell dir mal vor, Hilde, mir wäre damals, als ich meinen Einberufungsbefehl bekommen habe, das Beil beim Hühnerschlachten abgerutscht, wie ich die Idee hatte. Dann hätte das alles nicht passieren können. Ich wäre immer bei dir gewesen und nicht in Gefangenschaft geraten.«

      »Man hätte dir niemals geglaubt. Das hab’ ich dir doch schon damals gesagt. Ausgerechnet beim Einberufungsbefehl! Da sieht doch ein Blinder mit ‘nem Krückstock, dass was faul ist.«

      »Mag sein. Ach, ja«, stöhnt er, »als wenn vierzehn/achtzehn für den Kaiser nicht gereicht hätte. Da hat mein Frauchen noch in die Windeln gemacht.«

      »Andere Männer mussten auch ran, nicht nur du!«

      So redet man und Anton trinkt bis tief in die Nacht hinein. Er hat sich das erste Mal nach dem Krieg betrunken. Auf wackeligen Beinen schwankt er ins Bett.

      Am nächsten späten Vormittag geht er durch den Garten, welcher sich von seiner schönsten Seite zeigt. Es ist wieder einmal Mai. Die Apfelbäume blühen, und die meisten Blumen haben bereits ihre bunten Blüten geöffnet. Ein launischer Wind weht, mal heftig, dann wieder ganz sanft.

      Langsam, mit ungutem Gefühl, nähert er sich der Stelle, wo er seinerzeit die Leiche vergraben hat. Je mehr Gras über die Sache gewachsen ist, desto mehr bereut er, was er damals getan hat und meint: Es hätte völlig genügt, wenn ich ihm dafür die Zähne eingeschlagen hätte. Aber so was ... Der ebene Boden lässt auch nicht das Geringste, von dem was er verbirgt, erahnen. Hier vor dem Gebüsch muss es gewesen sein, denkt sich Anton. Heute ragen einem dort sträucherartige Gebilde entgegen. Als er näher hinsieht, stutzt er: »Kirschen!«

      Einen Moment später kommt seine Ehepartnerin dazu, und er stellt sie aufgeregt zur Rede: »Wie konntest du da nur Kirschbäume pflanzen, ausgerechnet an dieser Stelle?«

      »Mensch, fahr mich doch nicht so an! Warum soll ich denn nicht?!«

      »Hilde, wir haben doch damals extra noch darüber gesprochen, dass man nichts zum Essen da einpflanzen sollte. Du weißt doch, wegen des Leichengiftes!«

      »Ach, du alter Doofkop’! Glaubst du wirklich, dass man nie mehr etwas Essbares da pflanzen darf! Ja, in der ersten Zeit! Aber das heißt doch nicht für immer! Zuerst hatte ich Fliedersträucher da. Die Kirschbäumchen sind ja noch nicht lange dort! Kapiert?«, entfährt ihr provokant.

      »Ist ja schon gut, Hilde«, lenkt er demzufolge ein.

      »Diese Kirschen schmecken sogar besonders köstlich. Sie gedeihen richtig prächtig. Du kannst ja probieren, wenn du mir nicht glaubst.«

      Doch Anton verzieht abwertend das Gesicht vor Abscheu und erwidert aufs energischste: »Nein. Nein, ich will das nicht.«

      Sie schüttelt verständnislos den Kopf und findet: »So ein Angsthase! Na, vielleicht später mal.«

      »Nein, Hilde.«

      »Also, so was Feiges!«

      An einem Sonntagnachmittag findet einer der raren Augenblicke statt, an welchem die Familie zusammen im Wohnzimmer sitzt. Der Heimgekehrte sinniert über das Leben, während er ab und zu genüsslich einen Schluck Schnaps seine Kehle hinuntergluckern lässt: »Scheiß-Krieg — hat alles kaputtgemacht. Elender Scheiß-Krieg! Ich sag’ dir: Wenn der nicht gewesen wäre, hätt’ das nie passieren können!«

      »Das hast du nun schon dreißigmal gesagt. Mann, laber doch nicht immer dasselbe rum!«, beschwert sich seine nervgeplagte Vermählte. Anschließend ist es einen Moment ruhig.

      Dann kommt von Anton: »Kolberg ... hm, Kolberg. Hilde, hast du mal einen Film gesehen, der "Kolberg" heißt?«

      »Nein. Was soll denn das? Denkst du vielleicht, ich bin die ganze Zeit nur im Kino gewesen? Ich muss putzen gehen, damit ich was zu Essen habe. Von der Wohlfahrt allein kann man doch nicht leben.«

      »Ich habe da mitgemacht.«

      »Wo, Vater?«, fragt der Sprössling höflich.

      »Im Osten.

      "Im Osten geht die Sonne auf,

      im Süden ist ihr Mittagslauf,

      im Westen muss sie untergeh’n,

      im Norden ist sie nie zu seh’n"«, schiebt der Antwortende ein Gedicht dazwischen, bevor er genauer informiert: »In der Schorfheide bei Berlin war das. Da haben sie einen Farbfilm gedreht. Der hieß "Kolberg". Und da bin ich mitmarschiert.«

      »Der Alte spinnt sich was zurecht«, behauptet Frau Brunisch.

      »Nein Hilde, das ist wahr! Ein Propagandafilm. Dein Führer hat alles kaputtgeführt. Scheiß-Führer!«

      »Jetzt reiß dich aber zusammen, Mann! Was soll denn der Junge von dir denken?«

      »Du glaubst wohl immer noch an deinen Führer, was?«, hat Anton den Eindruck.

      »Hör mir doch bloß mit dem Unsinn auf!«

      Da meldet sich Hermann abermals zu Wort: »Guck mal, Mutter: Vater hat graue Haare und rote Haare. Krieg ich später auch mal rote Haare?«

      »Hahaha...!«, bricht der Angetrunkene daraufhin in lauthalses Gelächter aus.

      »Nein, Junge. Wahrscheinlich nicht«, entgegnet die Gefragte.

      »Warum nicht?«, will Hermann weiter wissen.

      »Manche Sachen vererben sich eben und manche nicht. Du hast meine blonden Haare geerbt.«

      Der wiedergekehrte Herr des Hauses grölt dazu: »Ha! Was du ererbt von deinen Vätern ...! Hahahaha...!«

      Völlig ahnungslos, kann der Nachkömmling nicht verstehen, was Anton auf einmal so lustig findet: »Warum lacht Vater so?«

      »Ach, deinem Vater ist heute nicht gut. Und jetzt frag nicht weiter!«

      Hermann kommt Antons Verhalten komisch vor. Er merkt natürlich, dass dieser betrunken ist. Nur, warum der Mann sich betrinkt, das kann er nicht verstehen. Aber er spürt, dass die Sache seiner Mutter peinlich ist und dass er gehorchen muss.

      Herr Brunisch versucht, sich an die Umstände zu gewöhnen, so schwer es ihm auch fällt. Aber er schafft es nicht. Das Schreckliche, was hinter ihm liegt; zusätzlich die nach all dem, ihm unfreundlich gesinnte Ehefrau; und dann auch noch dieses Kind, welches seinem leiblichen Vater von Tag zu Tag ähnlicher wird. Dies alles ist zu viel für den vom Leben enttäuschten Menschen. Er flüchtet sich immer mehr in den Alkohol. Das führt häufigerweise zu Unstimmigkeiten zwischen den in den Jahren auseinander gelebten Eheleuten:

      »Jetzt ist aber Schluss, du alter Säufer! Den ganzen Tag nur rumsitzen und saufen! Das ist alles, was du noch kannst! Anstatt dich mal um eine Arbeit zu bemühen!«

      »Lohnt sich doch gar nicht mehr. Ich beantrage meine Rente.«

      »Das hat man davon, wenn man sich von einem älteren Mann einfangen lässt! Die Männer wollen sich immer nur bedienen lassen! Noch einmal jung sein mit dem Verstand von heute. Nie wieder würde ich heiraten!« Mit diesen Worten nimmt


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