Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski

Die Brüder Karamasow - Fjodor Dostojewski


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beweisen, daß ich mit diesem alten Satyr, diesem Possenreißer und Clown nichts gemein habe und wie sie alle in diese Sache hineingeraten bin ...‹ Das umstrittene Recht des Holzschlagens im Wald und des Fischfangs beschloß er ihnen endgültig abzutreten, ein für allemal, gleich heute, zumal das alles sehr geringen Wert besaß. Was es mit diesen Rechten auf sich hatte und wo überhaupt sie auszuüben waren, wußte er ohnehin nicht. Und er beschloß ferner, alle gerichtlichen Klagen gegen das Kloster zurückzuziehen.

      In diesen guten Absichten wurde er noch bestärkt, als sie das Speisezimmer des Vaters Abt betraten. Ein Speisezimmer hatte er eigentlich gar nicht, denn er bewohnte in Wirklichkeit nur zwei Zimmer des Gebäudes, allerdings geräumigere und bequemere als die des Starez. Aber die Einrichtung der Zimmer war ebenfalls nicht sonderlich komfortabel. Die Mahagonimöbel waren nach der Mode der zwanziger Jahre mit Leder bezogen, die Dielen sogar ungestrichen; dafür war alles blitzblank und sauber, und auf den Fensterbrettern standen viele kostbare Blumen. Den Hauptluxus bildete in diesem Augenblick natürlich der üppig ausgestattete Tisch (wobei auch dies nur relativ gemeint ist). Das Tischtuch war rein, das Geschirr glänzte, auf dem Tisch lagen drei verschiedene Sorten vorzüglich gebackenes Brot, außerdem standen dort zwei Flaschen Wein, zwei Flaschen prächtiger Klostermet und eine große gläserne Kanne Klosterkwaß1, der in der ganzen Gegend berühmt war. Branntwein gab es nicht. Rakitin berichtete später, es sei diesmal ein Essen aus fünf Gängen zubereitet gewesen: Sterletsuppe2 mit Fischpastetchen, dann ein besonders vorzüglich angerichteter gekochter Fisch, dann Störkoteletts, Gefrorenes und Kompott und schließlich noch eine säuerliche Mehlspeise, ähnlich wie Blancmanger3. Alles das hatte Rakitin herausspioniert, er hatte sich nicht enthalten können, eigens zu diesem Zweck einen Blick in die Küche des Abtes zu werfen, wo er ebenfalls seine Verbindungen hatte. Er hatte überall seine Verbindungen und war in der Lage, sich überall Auskunft zu verschaffen. Er hatte ein unruhiges, neidisches Herz. Seiner bedeutenden Fähigkeiten war er sich bewußt, und vor lauter Eigendünkel überschätzte er sie noch. Er wußte, daß er auf seine Weise einmal ein tüchtiger Mensch sein würde; Aljoscha jedoch, der sehr an ihm hing, quälte der Umstand, daß sein Freund Rakitin unehrlich und sich dessen allerdings gar nicht bewußt war. Im Gegenteil: da er von sich wußte, daß er kein Geld von einem Tisch stehlen würde, hielt er sich tatsächlich für höchst ehrlich. Daran konnte weder Aljoscha noch sonst jemand etwas ändern.

      Rakitin, als untergeordnete Person, hatte nicht zu dem Essen eingeladen werden können; dafür waren Vater Jossif und Vater Paissi und noch ein Priestermönch geladen. Sie warteten bereits in dem Speisezimmer des Abtes, als Pjotr Alexandrowitsch, Kalganow und Iwan Fjodorowitsch eintraten. Etwas abseits wartete auch der Gutsbesitzer Maximow. Der Vater Abt trat in die Mitte des Zimmers, um die Gäste zu begrüßen. Er war ein hochgewachsener, hagerer, aber noch kräftiger alter Mann, mit schwarzem, schon stark mit Grau vermischtem Haar und einem langen, würdevollen, etwas wichtigtuerischen und förmlichen Gesicht. Er verbeugte sich schweigend vor den Gästen, die nun vortraten, um den Segen zu empfangen. Miussow wollte ihm schon die Hand küssen, doch der Abt zog sie zurück, und der Kuß kam nicht zustande. Dafür ließen sich Iwan Fjodorowitsch und Kalganow diesmal in aller Form segnen, das heißt mit einem treuherzigen, hörbaren Handkuß nach Art des einfachen Volkes.

      »Wir müssen sehr um Entschuldigung bitten, Hochehrwürden«, begann Pjotr Alexandrowitsch mit einem liebenswürdigen Lächeln, aber in würdigem, respektvollem Ton, »daß wir allein erscheinen, ohne unseren ebenfalls geladenen Gefährten Fjodor Pawlowitsch. Er sah sich genötigt, Ihrem Tisch fernzubleiben, und das nicht ohne Grund. In seinem unseligen Hader mit seinem Sohn ließ er sich in der Zelle des ehrwürdigen Vaters Sossima zu einigen ganz unpassenden ... kurz gesagt, zu ganz unanständigen Äußerungen hinreißen!« Und, mit Blick auf die Priestermönche: »Was Euer Hochehrwürden bereits bekannt sein dürfte ... Von Schuldgefühl und aufrichtiger Reue erfüllt, schämte er sich. Und da er dieses Gefühl nicht überwinden konnte, bat er uns, mich und seinen Sohn Iwan Fjodorowitsch, Ihnen sein aufrichtiges Bedauern, seinen Kummer und seine Reue auszudrücken. Kurz, er hofft und beabsichtigt, später alles wiedergutzumachen; jetzt aber erfleht er Ihren Segen und bittet Sie, das Vorgefallene zu vergessen ...«

      Miussow schwieg. Bei den letzten Worten seiner Tirade angelangt, war er mit sich äußerst zufrieden, und zwar dermaßen, daß in seiner Seele von der früheren Gereiztheit auch nicht die Spur zurückgeblieben war. Er liebte die Menschen jetzt wieder aufrichtig.

      Der Abt, der ihn würdevoll angehört hatte, neigte leicht den Kopf und erwiderte: »Ich bedauere sein Nichterscheinen von ganzem Herzen. Vielleicht hätte er uns beim gemeinsamen Mahl liebgewonnen, ebenso wie wir ihn. Haben Sie nun die Güte zu speisen, meine Herren!«

      Er trat vor das Heiligenbild und begann laut ein Gebet zu sprechen. Alle neigten ehrfurchtsvoll die Köpfe, und der Gutsbesitzer Maximow trat besonders weit vor und legte aus besonderer Andacht die Hände mit den Innenflächen vor der Brust zusammen.

      Und ausgerechnet in diesem Augenblick erlaubte sich Fjodor Pawlowitsch seinen letzten Streich. Es sei bemerkt, daß er tatsächlich wegfahren wollte und tatsächlich empfand, wie unmöglich es wäre, nach seinem schmählichen Benehmen in der Zelle des Starez nun zum Abt zum Essen zu gehen, als ob nichts geschehen wäre. Nicht daß er sich besonders geschämt und schuldig gefühlt hätte, vielleicht war sogar das Gegenteil der Fall; aber er spürte doch, daß es sich einfach nicht gehörte, jetzt an dem Mittagessen teilzunehmen. Kaum war jedoch sein klappernder Wagen vor der Tür des Gasthauses vorgefahren, als er, schon im Begriff einzusteigen, auf einmal innehielt. Ihm waren seine eigenen Worte vor dem Starez eingefallen: ›Wenn ich irgendwo unter Leuten bin, scheint es mir immer, als sei ich gemeiner als sie, als hielten mich alle für einen Possenreißer. Und dann sage ich mir: Also gut, spiele ich eben den Possenreißer, ich fürchte mich nicht vor eurem Urteil, ihr seid doch allesamt gemeiner als ich!‹ Er bekam Lust, sich an allen für seine eigene Niedertracht zu rächen. Er erinnerte sich bei dieser Gelegenheit, wie er einmal, schon vor langer Zeit gefragt worden war: ›Warum hassen Sie den und den so?‹ und wie er damals in einem Anfall seiner possenreißerischen Schamlosigkeit geantwortet hatte: ›Ich will Ihnen sagen, warum. Er hat mir zwar nichts getan, aber dafür habe ich eine gewissenlose Gemeinheit gegen ihn begangen, und kaum hatte ich die begangen, fing ich sofort an, ihn zu hassen.‹ Als ihm jetzt diese Erinnerung kam, lächelte er, kurz nachdenkend, leise und boshaft vor sich hin. Seine Augen funkelten, und seine Lippen zuckten. ›Wenn man eine Sache einmal angefangen hat, so muß man sie auch zu Ende führen‹, sagte er sich plötzlich. Sein geheimstes Gefühl in diesem Augenblick hätte man mit folgenden Worten ausdrücken können: ›Rehabilitieren kann ich mich jetzt doch nicht mehr – da will ich sie wenigstens schamlos verhöhnen; zeigen will ich ihnen: Ich schäme mich vor euch nicht! Weiter nichts!‹

      Er befahl dem Kutscher zu warten; er selbst kehrte mit schnellen Schritten zum Kloster zurück und begab sich geradewegs zum Abt. Er wußte noch nicht recht, was er tun würde; aber er wußte, daß er sich nicht mehr in der Gewalt hatte, und daß er, sobald nur ein Anstoß erfolgte, augenblicklich bis zur äußersten Grenze der Gemeinheit gehen würde; daß er jedoch nur eine Gemeinheit begehen würde – und keineswegs ein Verbrechen oder sonst eine unzulässige Handlung, für die er gerichtlich bestraft werden könnte. In dieser Hinsicht wußte er sich immer zu beherrschen, darüber wunderte er sich manchmal selbst.

      Er erschien in dem Speisezimmer des Abtes, als das Gebet gerade zu Ende war und sich alle zu Tisch begaben. Er blieb auf der Schwelle stehen, ließ seinen Blick über die Versammelten schweifen und brach in ein langes, boshaftes Lachen aus; dabei sah er allen dreist in die Augen.

      »Und die dachten, ich wäre weggefahren! Aber da bin ich!« rief er, daß es durch den ganzen Saal schallte.

      Einen Augenblick starrten ihn alle schweigend an. Man fühlte plötzlich, daß sofort etwas Widerwärtiges, Sinnloses geschehen, daß es zweifellos einen Skandal geben würde. Pjotr Alexandrowitsch verfiel aus seiner edelmütigen Stimmung augenblicklich in Wut. Alles, was in seinem Herzen schon erloschen und besänftigt war, wurde mit einem Schlag wieder lebendig und brach heraus.

      »Nein, ich kann das nicht ertragen!« schrie er. »Das kann ich absolut nicht ... Unter keinen Umständen!«

      Das Blut war ihm in den Kopf geschossen.


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