Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski

Die Brüder Karamasow - Fjodor Dostojewski


Скачать книгу
Kerl.«

      »Sie sind nicht schlecht, nur Ihre Seele ist entstellt«, sagte Aljoscha lächelnd.

      »Hör mal, ich wollte diesen rohen Menschen, den Mitka, heute schon einsperren lassen, und ich weiß auch jetzt noch nicht, wie ich mich entscheide. Zwar ist es heutzutage üblich, den Respekt vor Vater und Mutter für einen überholten Standpunkt zuhalten, doch nach dem Gesetz ist es auch jetzt, glaube ich, noch nicht erlaubt, bejahrte Väter in ihrem eigenen Haus an den Haaren zu ziehen, auf den Boden zu werfen, ihnen mit dem Stiefelabsatz in die Visage zu treten und sich zu rühmen, man werde wiederkommen und sie ganz totschlagen, und das alles vor Zeugen! Ich könnte ihn, wenn ich wollte, sofort einsperren lassen und ihn gehörig in Verlegenheit bringen!«

      »Sie wollen ihn also nicht verklagen?«

      »Iwan hat mir abgeraten. Ich würde mich ja nicht um Iwans Rat kümmern, aber ich habe da meine eigenen Gedanken.« Zu Aljoscha hinübergebeugt, fuhr er fast flüsternd fort: »Wenn ich ihn einsperren lasse, den Schuft, erfährt sie es und läuft gleich zu ihm. Wenn sie aber heute hört, daß er mich schwachen alten Mann halbtot geschlagen hat, wird sie sich vielleicht von ihm abwenden und mich besuchen ... Siehst du, so ist nun mal ihr Charakter, sie handelt oft nur den Leuten zum Trotz. Ich kenne sie durch und durch! Na, wie ist es, trinkst du nicht einen Kognak? Nimm doch ein bißchen kalten Kaffee, ich gieße dir ein viertel Gläschen Kognak dazu, das bessert den Geschmack, mein Lieber.«

      »Nein, danke, nicht nötig. Aber dieses Brötchen werde ich mitnehmen, wenn Sie erlauben«, sagte Aljoscha, nahm ein Dreikopekenbrötchen und steckte es in seine Kuttentasche. »Kognak sollten auch Sie nicht trinken«, sagte er behutsam und schaute dem Alten ins Gesicht.

      »Da hast du recht, er reizt nur, anstatt zu beruhigen. Na, nur ein einziges Gläschen ... Ich will mir aus dem Schränkchen gleich mal ...«

      Er schloß das »Schränkchen« auf, goß sich ein »GIäschen« ein, trank es aus, schloß das Schränkchen wieder zu und steckte den Schlüssel in die Tasche.

      »Und damit basta, von einem Gläschen krepiere ich nicht.«

      »Sie sind ja jetzt auch ruhiger geworden«, sagte Aljoscha lächelnd.

      »Hm! Dich liebe ich auch ohne Kognak, doch den Schuften gegenüber bin ich auch ein Schuft. Iwan fährt nicht nach Tschermaschnja. Warum? Er will spionieren, ob ich Gruschenka viel gebe, wenn sie zu mir kommt. Alle sind sie Schufte! Und Iwan erkenne ich überhaupt nicht an, ich kenne ihn gar nicht. Wo hat er nur sein Wesen her? Das ist gar nicht unsere Denkungsart. Und dem soll ich etwas hinterlassen? Ich werde überhaupt kein Testament hinterlassen, das könnt ihr euch merken. Und Mitka werde ich zerdrücken wie eine Schabe. Ich zerquetsche die schwarzen Schaben nachts immer mit dem Pantoffel, das knackt nur so, wenn man drauftritt. So wird auch dein Mitka einmal knacken. Ich sage dein Mitka, weil du ihn so liebst. Siehst du, du liebst ihn, aber ich fürchte mich deswegen nicht. Nur wenn Iwan ihn lieben würde – dann hätte ich Angst um mich. Aber Iwan liebt niemanden, er ist von anderer Art als wir. Menschen wie Iwan, mein Lieber, sind anders als wir, sind Staub, der sich erhebt. Wenn aber der Wind bläst, verweht der Staub ... Gestern, als ich dir sagte, du möchtest mich heute besuchen, hatte ich einen dummen Gedanken. Ich wollte durch dich etwas über Mitka erfahren. Nämlich: wenn ich ihm jetzt tausend oder, sagen wir, zweitausend Rubel auszahle, ob er dann wohl, ein Bettler und Lump, wie er ist, bereit wäre, sich von hier wegzuscheren, auf fünf Jahre oder besser auf fünfunddreißig, aber ohne Gruschenka, jetzt und für immer?«

      »Ich werde ihn fragen ...«, murmelte Aljoscha. »Wenn es dreitausend wären, würde er vielleicht ...«

      »Unsinn! Jetzt brauchst du ihn überhaupt nicht mehr zu fragen, es ist nicht mehr nötig! Ich habe es mir anders überlegt. Mein gestriger Einfall war eine Dummheit. Nichts werde ich geben, gar nichts, ich brauche mein Geld allein!« sagte der Alte und machte eine energische Handbewegung. »Auch ohne das werde ich ihn wie eine Schabe zerquetschen. Sag ihm nichts, sonst macht er sich noch vergebliche Hoffnungen. Und auch du hast jetzt nichts mehr bei mir zu suchen. Mach, daß du wegkommst! Seine Braut Katerina Iwanowna, die er die ganze Zeit ängstlich vor mit verborgen hat, wird die ihn heiraten? Du bist ja wohl gestern bei ihr gewesen?«

      »Sie will um keinen Preis von ihm lassen.«

      »Na ja, diese Sorte von zartfühlenden Frauen liebt ja gerade solche Männer, die Wüstlinge und Schufte sind. Dumm sind sie, diese blassen Fräulein, das sage ich dir! Na, wenn ich seine Jugend hätte und mein Gesicht von damals – ich sah mit achtundzwanzig besser aus als er jetzt –, würde ich ebensolche Eroberungen machen wie er. Er ist eine Kanaille! Aber Gruschenka bekommt er doch nicht, die soll er nicht haben! Zu Dreck werde ich ihn machen!«

      Bei den letzten Worten war er wieder in Wut geraten.

      »Mach, daß du wegkommst! Du hast hier nichts mehr zu schaffen«, sagte er barsch.

      Aljoscha trat zu ihm, um sich zu verabschieden, und küßte ihn auf die Schulter.

      »Warum das?« fragte der Alte erstaunt. »Wir werden uns ja noch wiedersehen. Oder meinst du, wir werden uns nicht mehr wiedersehen?«

      »Durchaus nicht. Ich habe es ohne besondere Absicht getan.«

      »Na, ich habe auch nur so gefragt ...«, sagte der Alte und sah ihn an. »Hör mal«, rief er ihm nach, »komm bald mal wieder! Zur Fischsuppe. Ich werde Fischsuppe kochen lassen, eine besondere, nicht so wie heute, komm bestimmt! Komm gleich morgen, hörst du, komm morgen!«

      Kaum war Aljoscha aus der Tür, ging der Alte wieder zum »Schränkchen« und goß sich noch ein »Gläschen« hinter die Binde.

      »Mehr trinke ich jetzt nicht!« murmelte er, räusperte sich, schloß das Schränkchen wieder zu und steckte den Schlüssel in die Tasche. Dann ging er in sein Schlafzimmer und sank kraftlos aufs Bett, wo er im nächsten Augenblick einschlief.

      3. Er gibt sich mit Schulknaben ab

      ›Gott sei Dank, daß er mich nicht nach Gruschenka gefragt hat!‹ dachte Aljoscha, als er vom Vater herauskam und die Richtung nach dem Haus von Frau Chochlakowa einschlug. ›Sonst hätte ich ihm am Ende von der gestrigen Begegnung mit Gruschenka erzählen müssen?‹ Aljoscha sagte sich betrübt: ›Gewiß haben die beiden Kämpfer über Nacht neue Kraft gesammelt und ihre Herzen wieder verhärtet. Der Vater ist in gereizter, zorniger Stimmung, er hat sich etwas ausgedacht und bleibt dabei. Und wie steht es mit Dmitri? Der wird sich gleichfalls über Nacht noch mehr verhärtet haben. Sicher ist er auch gereizt und zornig und hat sich auch etwas ausgedacht. Jedenfalls muß ich ihn heute noch aufsuchen! ...‹ Aljoscha fand nicht die Möglichkeit, darüber lange nachzugrübeln. Er hatte plötzlich ein Erlebnis, das zwar bedeutungslos schien, ihn aber doch stark erregte. Kaum hatte er nämlich den Marktplatz überquert und war in eine Gasse eingebogen, um zur Michailowskajastraße zu gelangen, einer ParalleIstraße der Bolschajastraße, von ihr nur durch einen Graben getrennt –, unsere ganze Stadt ist von Gräben durchzogen –, da sah er an der keinen Brücke eine Gruppe Schulknaben von höchstens neun bis elf Jahren. Sie waren auf dem Heimweg von der Schule; die einen hatten ihre Ranzen auf dem Rücken, andere trugen Lederbeutel an Riemen über der Schulter, manche waren nur in Jacken, andere hatten kleine Mäntel an, einige auch hohe Stiefel mit Faltschäften, in denen die Jungen von wohlhabenden Eltern besonders gern umherstolzierten. Sie redeten lebhaft über etwas und schienen untereinander zu beraten. Aljoscha konnte an Kindern nie teilnahmslos vorübergehen, auch in Moskau hatte er das nicht gekonnt; und obgleich er etwa dreijährige Kinder am meisten mochte, hatte er auch etwas übrig für Schulknaben von zehn oder elf. Trotz aller Sorgen kam ihm doch auf einmal die Lust an, zu ihnen zu gehen und sich in ein Gespräch einzulassen. Als er näher kam und ihre rotbäckigen erregten Gesichter sah, bemerkte er, daß jeder Junge einen Stein in der Hand hatte, manche auch zwei. An einem Zaun, jenseits des Grabens, etwa dreißig Schritt von der Gruppe entfernt, stand noch ein Junge, auch ein Schüler und auch mit einem Bücherbeutel an der Seite, der Statur nach etwa zehn oder noch jünger, ein blasses, kränkliches Bürschlein mit funkelnden schwarzen Augen. Er beobachtete gespannt die Gruppe der sechs Schüler, offenbar seine Kameraden, die mit ihm zusammen die Schule verlassen


Скачать книгу