Handover. Alexander Nadler

Handover - Alexander Nadler


Скачать книгу
Blick forscht in Claudes Augen nach Antworten. „Ein dunkelgrüner Mercedes Benz, Kennzeichen F-DP 274.“ Eine Frage oder eine Feststellung, Claude registriert es jedenfalls als Letzteres, nimmt einen weiteren vorsichtigen Schluck des noch immer glühheißen Kaffees zu sich.

      „Was uns jedoch am meisten Kopfzerbrechen bereitet ist die Vermutung, dass Ihr Bruder seinen Mörder mit größter Wahrscheinlichkeit gekannt haben muss. Denn wir haben weder an Türen noch Fenstern irgendwelche Spuren von Gewaltanwendung gefunden. Das bedeutet, Ihr Bruder muss ihn selbst in die Wohnung gelassen haben … außer er besaß einen Zweitschlüssel. Der Schuss in den Hinterkopf spricht jedenfalls dafür, dass Ihr Bruder seinem späteren Mörder traute.“

      „Möglicherweise war Ihr Bruder doch in irgendwelche krummen Dinge verwickelt“, wirft Mihailovic als These dazwischen.

      „Ich verbiete Ihnen, so über meinen Bruder zu sprechen!“, braust Claude scharf auf, kaum dass die Andeutung ausgesprochen ist, mit stechendem Blick den Kommissar in die Schranken weisend. „Hätten Sie meinen Bruder gekannt, dann wüssten Sie, wie lächerlich derartige Beschuldigungen sind!“

      Noch gibt sich Mihailovic aber nicht zufrieden: „Aber sagten Sie nicht selbst, jeder sei käuflich, wenn nur die Summe stimme?“

      Mihailovics lakonische Art missfällt Claude zutiefst, kränkt ihn geradezu angesichts der Charakterstärke seines getöteten Bruders, der möglicherweise ein Opfer seiner Aufrichtigkeit und Willensstärke geworden ist, die es ihm stets verboten, zugunsten eines eventuellen persönlichen Vorteils wegen auch nur einen Schritt von dem von ihm einmal eingeschlagenen Weg abzuweichen. Und dass diese Wege nicht immer die leichtesten waren, weiß er aus jahrelangen gemeinsamen Bemühungen, mit denen sie im Kreise ihrer Freunde versuchten dem Leben anderer Menschen neuen Sinn zu geben, andere Menschen vor der Selbstzerstörung oder Ausrottung zu bewahren.

      „Wir müssen jeder Möglichkeit nachgehen, Sie verstehen. Und da es sich um keinen Raubmord im klassischen Sinn zu handeln scheint, müssen wir auch Derlei mit in Betracht ziehen. Ich verstehe Ihr Erzürnen, mein Beruf hat mich jedoch gelehrt, auch die abwegigsten Vermutungen nicht außer Acht zu lassen. Verstehen Sie den Hinweis meines Kollegen bitte nicht als Affront, sondern lediglich als das Erwägen von Möglichkeiten.“

      Krügers Bemühungen Claudes Verärgerung zu beschwichtigen, bleiben nicht ohne Erfolg. Claudes Stimme klingt schon wieder viel ruhiger, als er sich an den Hauptkommissar wendet: „Wann kann ich in die Wohnung meines Bruders?“

      „Das wird noch ein paar Tage dauern, zwei oder drei vermutlich. Wir lassen es Sie wissen. Sie bleiben doch, wo Sie jetzt wohnen?“

      „Natürlich, für die paar Tage lohnt es sich nicht, sich etwas anderes zu suchen, außerdem liegt es nicht weit von Philipps Wohnung.“ Das Folgende kommt ihm nur zögernd über die Lippen: „Und wann wird mein Bruder zur Bestattung freigegeben?“

      „Auch da müssen Sie sich noch etwas gedulden. Vermutlich Ende der Woche.“

      Als Claude wenige Minuten später wieder auf die Straße tritt, kündigen dunkle Wolken und einsetzender leiser Nieselregen einen regnerischen Nachmittag an, der ihm Zeit für weitere Überlegungen und einen Besuch bei Philipps ehemaliger Nachbarin, Frau Bernadetti, lassen sollte.

      18:23 Uhr

      Nach zwei vergeblichen Versuchen am frühen Nachmittag ist Claudes dritter Versuch endlich von Erfolg gekrönt, sachte öffnet sich die Wohnungstür einen Spalt, in dem Florine Bernadettis von weitausholenden Locken gerahmtes Gesicht sichtbar wird, die in dunklem Kastanienbraun glänzen. „Ja, bitte?“

      „Frau Bernadetti?“ Claude wertet das sachte Nicken als Bejahung. „Ich bin Claude Duchamp, Philipps Bruder. Sie wissen sicherlich, was mit meinem Bruder passiert ist. Wenn es Ihnen nichts ausmacht und Sie Zeit haben, hätte ich Ihnen gerne ein paar Fragen gestellt.“

      „Oh ja, natürlich, kommen Sie nur herein.“ Die Tür schwingt auf und gibt den Blick frei auf einen weiß getünchten Flur, dessen Wände fast über und über mit Katzenbildern zugehängt sind. „Aber bitte, gehen Sie nur weiter.“ Der ausgestreckte Arm weist in Richtung Flurende, wo sich das Wohnzimmer befindet, in dem Claude als erstes die modernen Grafiken auffallen, die die Wände zieren. Seine musternden Blicke bleiben der Wohnungsinhaberin nicht verborgen: „Ich bin Grafikerin. Gefallen Ihnen die Arbeiten?“

      „Hm, ja doch. Besonders diese da.“ Der Gefragte deutet auf eine überwiegend in Blau und Grün gehaltene Komposition neben dem Fenster zum Balkon. Stehend lässt er noch einmal seine Blicke durch den Raum schweifen, ehe er aufgefordert wird, sich zu setzen.

      „Darf ich Ihnen etwas zum Trinken anbieten. Ich habe mir gerade einen Kaffee gemacht, wenn Sie möchten, können Sie auch eine Tasse haben, oder natürlich etwas anderes.“

      „Danke, eine Tasse Kaffee wäre jetzt genau das Richtige.“

      Während er Frau Bernadetti in der Küche mit Geschirr hantieren hört, legt sich Claude schon einmal gedanklich die an sie zu stellenden Fragen zurecht. Mit einem leichten inneren Schmunzeln registriert er bei der Rückkehr der Gastgeberin, dass diese nach typisch weiblicher Manier die Gelegenheit genutzt hat, sich kurz die Haare zu frisieren und etwas Rouge aufzulegen, wodurch sie, dies muss er sich im Stillen allerdings offen eingestehen, noch attraktiver aussieht als sie dies angesichts ihrer wohlproportionierten Figur und jugendhaften Ausstrahlung ohnehin tut. ‚Sie und Philipp’, schießt es ihm dabei durch den Kopf, ‚kein schlechtes Paar.’ Seine wohlwollende Musterung ist nicht unbemerkt geblieben, wie Claude aus der leicht unsicher gewordenen Stimme herauszuhören glaubt, als sie ihm die Tasse vorsetzt, der jenes behagliche Kaffeearoma entströmt, das nahezu zwangsläufig an einen sorglosen Feierabend denken lässt.

      Es fällt Claude nicht leicht, sie mit seinen zum Teil sehr persönlichen Fragen zu belästigen, trotzdem kommt er nach einem ersten Schluck direkt zur Sache: „Seien Sie mir bitte nicht böse, Frau Bernadetti, wenn ich Ihnen einige Fragen stellen möchte, die mitunter auch recht persönlicher Natur sind, doch versuche ich lediglich, Licht in die mysteriöse Angelegenheit, das heißt den Mord an meinem Bruder zu bringen. Wie ich von Schröders erfahren habe, mochten Sie meinen Bruder. Waren Sie da nicht, entschuldigen Sie, wenn ich Sie dies so offen frage, nicht enttäuscht, als Sie erfuhren, dass er eine Freundin, eine Verlobte hatte?“

      Claude hat die Befragte richtig eingeschätzt, denn nach einem kurzen verlegenen Blick zur Seite gibt sie - ihm in die Augen blickend - unumwunden zu: „Ja, und ob. Richtig wütend war ich zunächst, auf ihn und seine Verlobte. Eifersüchtig. Ich bin ihnen aus dem Weg gegangen, habe wochenlang nicht mit ihm gesprochen. Doch dann hat er eines Abends bei mir geklingelt und wir haben die Sache bereinigt, so wie es sich für vernünftige Menschen gehört, auch wenn mir dies damals nicht ganz leicht gefallen ist, wie ich offen gestehen muss. Dafür war Ihr Bruder viel zu attraktiv, nicht nur rein äußerlich meine ich, vor allem auch charakterlich, von der Lebenseinstellung her war er eine irgendwie faszinierende Persönlichkeit, die man nicht so einfach vergisst oder ziehen lässt. Danach sind wir uns noch einige Male begegnet, wie gute Freunde. Was blieb mir anderes übrig, er hatte seine Wahl getroffen.“ Der noch immer nicht gänzlich abgeklungene Schmerz ob des zu akzeptierenden Verlustes schwingt in Frau Bernadettis leicht säuerlicher Stimme deutlich mit.

      „Was wissen Sie von Philipps Verlobter? Schröders konnten mir nicht allzu viel von ihr sagen, nur dass sie Thailänderin gewesen sei.“

      „Ja, stimmt. Ihr Name ist Jinda Bhirasri. Wie und wo Philipp sie kennengelernt hat, weiß ich nicht. Er hat mit mir nicht darüber geredet. Nur dass er sehr in sie verliebt sei, was auch nicht weiter Wunder nimmt, denn dass sie eine schöne Frau ist, daran gibt es keinen Zweifel. Haben Sie sie schon gesehen, ich meine ein Bild von ihr?“

      Der unverblümten Bewunderung der neben ihm Sitzenden kann Claude, dem das wandfüllende Poster in Philipps Wohnung gedanklich vor Augen rückt, nur zustimmen, denn um wen anderes als um Philipps Verlobte sollte es sich auf dem Bild handeln. Welcher


Скачать книгу