Handover. Alexander Nadler

Handover - Alexander Nadler


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alle bundesdeutschen Behörden rausgeschickt, allerdings noch keinerlei positive Rückmeldung erhalten. Tut mir leid.“

      Sicherlich hätte ihm der Kriminalbeamte jedwede positive Entwicklung in dieser Richtung von sich aus mitgeteilt, mutmaßt Claude, dennoch drückt dessen wenig Hoffnung machende Aussage zusätzlich auf sein Gemüt. „Schade. Aber vielen Dank für Ihre Bemühungen.“ Die Tür sachte hinter sich schließend, wird Claude augenblicklich von dem lauthallenden Getrampel und Stimmengewirr umfangen, die die Korridore füllen, durch die er zielstrebig dem Freien entgegen strebt, das ihn mit mittäglicher Frühlingsluft empfängt.

      Dienstag, 29. April 1997, 9:14 Uhr

      „Hier wären wir.“ Den Mercedes sachte abbremsend zum Stehen bringend, verkündet der Taxifahrer mit diesen Worten das Ende der Fahrt. „Macht neun Mark zwanzig."

      Claude kramt zehn Mark aus seinem Portemonnaie, die er dem Fahrer nach vorne reicht: „Passt so.“

      „Danke schön, und noch einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.“

      „Ja, danke, Ihnen auch“, verabschiedet sich Claude aus dem Fond des Taxis steigend. ‚Mein Gott', schießt es ihm durch den Kopf, als er seine Aufmerksamkeit dem rehbraunen Ziegelsteinkomplex zuwendet, dessen abschreckend wirkendes Äußeres ihn an Fabrikhallen aus den zwanziger und dreißiger Jahren erinnert, ‚was für eine architektonische Geschmacklosigkeit, Unverschämtheit haben sie denn da wieder hingestellt. Das sieht ja aus wie ein Gefängnis.’ Eine Meisterleistung architektonischer Phantasie ist das neue Erlanger Polizeihauptquartier wahrlich nicht zu nennen, eher lässt sein derbes Äußeres vermuten, dass sein Planer mit diesem Entwurf eine noch offene Rechnung mit der Justiz begleichen wollte.

      „Wo finde ich Kommissar Strelow?“, erkundigt er sich an der Pforte nach jenem Beamten, den ihm tags zuvor Krüger als Ansprechpartner hat mitteilen lassen.

      „Zweiter Stock, Zimmer 204“, erhält Claude von dem Mann an der Pforte nach einem kurzen Blick in das alphabetische Verzeichnis die gewünschte Auskunft. Kurz dankend setzt er seinen Weg fort, orientiert sich im Hauptgebäude an den Hinweisschildern, die ihn mühelos zu dem ihm genannten Zimmer geleiten, neben dessen Tür das Namensschild des Gesuchten prangt. Nachdem sein Klopfen auch beim dritten Mal unbeantwortet bleibt, wendet er sich an einen großgewachsenen jungen Mann Anfang Dreißig, in dem er aufgrund des Aktenbündels, das er unter dem Arm trägt, einen im Hause Arbeitenden und somit Ortskundigen vermutet: „Entschuldigen Sie bitte, können Sie mir vielleicht sagen, wo ich Kommissar Strelow finde? In seinem Zimmer ist er nicht, ich habe schon mehrfach geklopft.“

      Trotz dieses Hinweises öffnet der Angesprochene die Tür zu Strelows Zimmer und überfliegt mit einem kurzen Blick den menschenleeren Raum. „Tut mir leid, das kann ich Ihnen nicht sagen, aber warten Sie einen Moment. He, Krause“, schreit er den Gang hinunter in Richtung einer sich langsam nähernden Gestalt, „weißt du, wo Strelow ist?“

      „Strelow“, schallt es fragend hohl zurück. „Den habe ich vorhin weggehen sehen.“

      „Weißt du, wohin?“

      „Nein, keine Ahnung. Warum?“

      „Hier ist ein Herr, der zu ihm will.“ Und sich an Claude wendend: „Haben Sie einen Termin?“

      „Nein, nicht direkt. Ich bin gestern Abend aus Frankfurt gekommen. Einer ihrer Kollegen von dort, Herr Krüger, hat Herrn Strelow zwar von meinem heutigen Kommen unterrichtet, allerdings ohne konkrete Zeitangabe, da ich noch nicht wusste, ob ich schon gestern oder erst heute hierher kommen würde.“

      „Hm, ... leider kann ich Ihnen auch nicht sagen, wann Strelow zurückkommt. Wenn Sie sonst nichts vorhaben, können Sie gerne warten.“

      „Wird wohl das Beste sein. Schönen Dank auf jeden Fall auch.“

      Besonders glücklich ist Claude über die in Aussicht stehende Warterei nicht, da er es jedoch versäumt hat, einen Termin zu vereinbaren, findet er sich mit dem Unvermeidlichen ab. Im Stillen indes ärgert er sich, dass er sich von Krüger nicht Strelows Telefonnummer hat geben lassen. Doch nun ist es zu spät.

      Auf einem der Stühle vor Strelows Zimmer Platz nehmend, stellt er sich zum x-ten Mal seit seinem Gespräch mit Hauptkommissar Krüger die Frage, wie das Foto mit seinem Porträt in den Besitz des verunglückten Chinesen gekommen ist, dessen Person, das spürt er, in der Tat noch etliche Rätsel aufgeben dürfte. Antworten auf die ein oder andere Frage hofft er hier und heute zu finden. ‚Wenn nur Strelow endlich käme’, versucht er, alle paar Minuten einen Blick auf die Armbanduhr werfend, seiner Ungeduld Herr zu werden.

      Doch scheint ihm das Schicksal an diesem Tage gewogen zu sein, denn kaum dass er fünfzehn Minuten gewartet hat, nähert sich ein etwas untersetzter Mittfünfziger mit stark gelichtetem silbergrauem Haar Zimmer 204, dessen Tür er zielstrebig öffnet und in das einzutreten er sich sodann anschickt.

      „Entschuldigen Sie bitte“, wendet sich Claude im Aufstehen an den in Jeans und dunkelblaues Sakko Gekleideten, „sind Sie Herr Strelow?“

      Mitten in der Tür stehen bleibend, dreht sich der Angesprochene um: „Ja.“

      „Mein Name ist Duchamp, Claude Duchamp. Ich komme aus Frankfurt. Hauptkommissar Krüger hat Sie gestern von meinem Kommen verständigt.“

      „Ah ja, richtig, Herr Duchamp. Kommen Sie herein“, fordert Strelow seinen Gast mit einladend ausgestrecktem Arm auf einzutreten, die andere Hand noch immer am Türgriff. „Haben Sie schon lange auf mich gewartet?“

      „Eine Viertelstunde.“

      „Tut mir leid, aber ich wusste nicht, wann Sie kommen, und ich hatte noch etwas Dringendes zu erledigen. Aber bitte, nehmen Sie doch Platz.“ Die Tür schließend, bietet er Claude einen leer stehenden Stuhl neben seinem Schreibtisch an, hinter dem sich Strelow selbst niederlässt. „Kollege Krüger hat mich gestern Nachmittag davon informiert, dass Sie kommen werden. Dabei hat er mir auch von Ihrem Fall, ich meine die Ermordung Ihres Bruders, und Ihrem gestrigen Gespräch mit ihm berichtet. Scheint ja eine recht merkwürdige Geschichte zu sein das Ganze.“

      „Stimmt. Haben Sie zwischenzeitlich schon mehr herausbekommen, über das Unfallopfer meine ich, den Chinesen?“

      „Offen gesagt, nein, allerdings habe ich seit dem letzten Anruf meines Kollegen nicht weiter nachgeforscht, da er mir signalisierte, dass Sie kommen würden und mir eventuell bei den weiteren Ermittlungen helfen könnten. Und ist Ihnen noch irgendetwas eingefallen, das ein Licht ins Dunkel bringen könnte?“

      „Leider nein, zumindest nichts Konkretes, alles nur wirre Spekulationen. Ich denke, wir sollten zunächst einmal versuchen herauszufinden, wer dieser Wang Bing eigentlich genau war.“

      „Richtig. Aus den Unterlagen, die ich mir gestern aus dem Einwohnermeldeamt und von der Universitätsverwaltung habe kommen lassen, geht hervor, dass er seit knapp eineinhalb Jahren in Erlangen gemeldet war und an der hiesigen Universität Germanistik und Betriebswirtschaftslehre studierte. Zwar habe ich dahingehend noch keine weiteren Nachforschungen angestellt, doch dürfte er entweder aus sehr wohlsituiertem Elternhaus oder aber aus einer politisch besonders linientreuen Familie stammen, denn er ist nicht von staatlicher Seite aus zum Studium nach Deutschland geschickt worden, sondern auf Einladung eines Herrn Sung Ning aus Frankfurt, der für ihn auch die Bürgschaft übernommen hat … und ihn möglicherweise finanziell unterstützt. Ich habe gestern Abend in Absprache mit meinem Kollegen in Frankfurt über das Auswärtige Amt Kontakt mit den Behörden in Shanghai aufzunehmen versucht, bislang von dort jedoch noch keine Antwort auf meine Anfrage erhalten. Schließlich müssen wir seine Eltern ausfindig machen. Ebenso hat sich Kollege Krüger mit Herrn Grunewald vom BKA in Verbindung zu setzen bemüht, doch habe ich noch keine Meldung darüber, ob ihm dies gelungen ist.“ Strelow stockt, bemüht sich offensichtlich, sich an etwas zu erinnern, was ihm nach wenigen Sekunden auch gelingt: „Ja richtig, der Wagen, ich


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