Handover. Alexander Nadler

Handover - Alexander Nadler


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Hintergrund zu treten haben, aus purem Überlebenswillen, wenn nicht aus schlimmeren Beweggründen heraus.

      „Da wären wir ja schon“, reißt ihn der Kommissar aus dem sich düster vor seinen Augen aufbauenden Zukunftsszenario, dem entgegenzusteuern er auch nach dem Todes seines Bruders sich bemühen wird, so sein Vorsatz. Mit wenigen Worten erklärt Strelow der Dame hinter dem Schalter, worum es geht, bittet sie, in der Datei Zhangs Adresse ausfindig zu machen.

      „Wir haben hier dreimal Zhang“, kommt nach kurzem Warten die erste Meldung. „Zhang Wen, Philosophie, Sinologie und Geographie ... das dürfte nicht Ihr Mann sein. Dann habe ich hier Zhang Jing, Germanistik, Anglistik und Vergleichende Sprachwissenschaften ... scheint auch nicht der Gesuchte zu sein. Und schließlich noch Zhang Bao, Germanistik und Betriebswirtschaftslehre, 4. Semester ... das dürfte er sein."

      „Könnten Sie mir bitte seine Adresse aufschreiben?“ Was die Dame unverzüglich tut. „Vielen Dank“, nimmt Strelow ihr den Zettel aus der Hand, leise vorlesend: „Zhang Bao, Haagstraße 17, Erlangen. Na also. Dann wollen wir unser Glück da einmal versuchen.“

      Bedingt durch die zahlreichen Einbahnstraßen im innerstädtischen Bereich, lernt Claude aufgrund des zu fahrenden Umweges die alte Hugenottenstadt besser kennen, findet bestätigt, was ihm Strelow bezüglich des vielen Grüns gesagt hat, das durch seine frühlingshaft frische Saftigkeit seinen positiven Eindruck noch verstärkt, zumal es die Sonne an diesem Tag gut meint und alles in ein nur von einzelnen dünnen Wölkchen zart verschleiertes Licht taucht, wodurch Claudes photographische Instinkte geweckt werden und er Dutzende fotogener Motive und Perspektiven ausmacht, obgleich die Fahrt kaum fünf Minuten dauert.

      Die Reihen der Namensschilder neben den dazugehörigen Klingelknöpfen durchgehend, sucht der Kommissar nach dem Namen von Wangs Kommilitonen, bis er ihn schließlich in der dritten Reihe ausfindig macht. „Zimmer 110“, lässt er verlauten, gleichzeitig den entsprechenden Knopf mehrfach drückend.

      „Ja, bitte, wer ist da?“, schallt es nach dem dritten Versuch aus der Gegensprechanlage entgegen.

      „Herr Zhang Bao?“, erkundigt sich Strelow sicherheitshalber bei dem unsichtbaren Antwortgeber.

      „Ja. Wer spricht bitte?“

      „Ich bin Kommissar Strelow. Ich möchte Ihnen gerne ein paar Fragen stellen. Würden Sie mich bitte hineinlassen.“ Leises Sirren gibt die elektronische Türverriegelung frei, so dass Strelow und Claude das Haus betreten können, in dessen erstem Stock sie der junge Chinese Mitte zwanzig an der Flurtür erwartet.

      „Guten Tag“, empfängt er sie höflich und mit akzentfreiem Deutsch, „Sie sind Herr Schelow?“, wendet er sich an den vorausgegangenen Kommissar.

      „Strelow“, korrigiert ihn dieser, die zum Gruß entgegengestreckte Hand schüttelnd. „Und dies ist Herr Duchamp“, stellt er Claude dem schmächtigen Asiaten ohne weitergehende Angaben zur Person vor.

      „Guten Tag, Herr Duchamp“, begrüßt Zhang Claude mit asiatischer Höflichkeit, will meinen, einer wohldosierten Verbeugung. „Doch bitte, kommen Sie weiter“, dirigiert er sie in sein Zimmer, das kaum weniger spartanisch eingerichtet ist als dasjenige von Wang Bing und darüber hinaus sogar noch ein Stück kleiner als jenes ist, wobei es im Vergleich dazu weniger aufgeräumt ist, das Bett ungemacht herumliegt und Bücher, Schreibutensilien und anderer Krimskrams sich wild im Zimmer verstreuen. „Warten Sie bitte einen Moment, ich hole nur rasch noch einen Stuhl aus dem Fernsehraum.“ Claude bleibt kaum Zeit, sich einmal richtig im Zimmer umzusehen, ehe der quirlig wirkende junge Mann mit der versprochenen Sitzgelegenheit zurückkehrt und die Zimmertür hinter sich schließt.

      Während er sie auffordert Platz zu nehmen, schwirren Herrn Zhangs Blicke nervös und verunsichert zwischen Claude und dem Kriminalbeamten hin und her, was Strelow zum Anlass nimmt, ihm zunächst einmal die Furcht zu nehmen: „Keine Angst, Herr Zhang, wir kommen nicht Ihretwegen, sondern wegen Herrn Wang, Herrn Wang Bing. Er ist doch ein Kommilitone und Freund von Ihnen, nicht wahr?“

      „Wang Bing? Ja, wir studieren zusammen Germanistik und BWL. Er ist zwar ein Semester hinter mir, aber wir besuchen einige Vorlesungen und Seminare gemeinsam. Was ist mit ihm?“

      „Gleich. Zunächst noch eine Frage: Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?“

      „Wann ich ihn zum letzten Mal gesehen habe?“ Mit der Wiederholung der an ihn gerichteten Frage versucht der junge Chinese, dessen dichtes schwarzes Haar aussieht, als sei es nur mit Mühe zu bändigen, ein wenig Zeit zum Nachdenken und zur Einschätzung der Frage zu gewinnen, aus der er sich noch keinen Reim machen kann. „Das ist schon eine Weile her, während der Semesterferien sehen wir uns nicht so oft, vor allem weil Bing in den Ferien immer arbeitet. Irgendwann Anfang April war ich das letzte Mal bei ihm. Aber warum fragen Sie mich das? Ist ihm etwas zugestoßen?“

      Wieder fällt Strelow die lästige, ungeliebte Pflicht zu, schlechte Nachricht überbringen zu müssen: „Ja ... Ihr Freund ist tot.“ Die schmalen Augenschlitze des Chinesen weiten sich zu kaum für möglich gehaltener Weite, der eher schüchterne Blick, der es bis zu diesem Augenblick tunlichst vermieden hat, den beiden Fremden direkt in die Augen zu schauen, starrt mit einem Schlag den Kommissar unvermittelt an, wobei aufsteigender feuchter Glanz die schwarzen Pupillen noch dunkler erscheinen lässt als sie ohnehin sind. „Er kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben, allerdings bei keinem gewöhnlichen.“ Wortlos, aufmerksam bis in die Haarspitzen, lauscht Herr Zhang den folgenden Ausführungen des Kommissars, dessen Worte mit den Augen geradezu aufsaugend, wobei er mit seinen Fingern nervös an seinen Hosenbeinen herumzupft, sich dadurch ein Ventil für seine unübersehbare Anspannung verschaffend. „Das wäre alles, was wir bislang von Ihrem Freund wissen“, schließt Strelow seine Ausführungen, „aber vielleicht können Sie uns ja noch etwas erzählen.“

      Ungläubig: „Ich? Was wollen Sie wissen? … Fragen Sie mich.“

      „Wussten Sie, dass Herr Wang eine Waffe besaß?“

      „Nein, ich habe nie eine bei ihm gesehen, und er hat auch nie eine erwähnt. Durfte er denn überhaupt eine besitzen?“

      „Nein, das ist ja das Problem. Ich weiß, die Frage mag Sie überraschen, möglicherweise sogar unsinnig erscheinen. Trotzdem: Können Sie sich vorstellen, dass Herr Wang in irgendwelche illegalen Geschäfte verwickelt war?“

      Unfähig länger sitzen zu bleiben, müht sich der schmächtige, fast zierlich zu nennende Chinese, den Raum mit weitausholendem Schritt durchmessend, seiner Gedanken Herr zu werden: „Bing, ... nein, ... nein, das kann ich mir nicht vorstellen.“

      „Kennen Sie seine anderen chinesischen Freunde?“

      „Ja, ich bin ihnen gelegentlich begegnet, letztes Jahr beim Chinesischen Neujahrsfest haben wir sogar einmal die ganze Nacht durch zusammen gefeiert.“

      „Wissen Sie, wo sie wohnen?“

      „Zwei von ihnen studieren in München, einer in Marburg, und einer in Hamburg.“

      „Kennen Sie ihre Namen?“ An und für sich eine überflüssige Frage.

      „"Selbstverständlich. Soll ich sie Ihnen aufschreiben?“

      „Das wäre sehr nett.“ Noch ehe Herr Zhang anfangen kann nach Stift und Papier auf seinem Schreibtisch zu suchen, reicht ihm der Kommissar einen kleinen Notizblock und Kugelschreiber, die er beide aus seiner Jackeninnentasche gezogen hat. Um Leserlichkeit bemüht, schreibt jener die vier Namen in Druckbuchstaben untereinander auf den Block. „Liu Dong, Li Chang,...“, beginnt der Kriminalbeamte sie auf dem zurückgereichten Notizblock zu entziffern.

      „Das sind die beiden, die in München wohnen", unterbricht ihn der Chinese, der ihm über die Schultern schaut.

      Strelow vermerkt die letzte Aussage hinter den beiden Namen, ehe er sich den beiden anderen zuwendet: „Hu Peng, richtig?“ Mit aufwärts gewandtem Blick


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