Handover. Alexander Nadler

Handover - Alexander Nadler


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Herr Zhang, was Strelow wiederum hinter dem genannten Namen notiert, woraufhin er sich schließlich den letzten Namen vornimmt: „Sing Fai. Ist das der in Marburg?“ Ein Kopfnicken des hinter ihm Stehenden bestätigt seine Vermutung. „Genauere Adressen haben Sie nicht zufällig?“

      „Nein, tut mir leid. Aber Bing müsste sie haben.“

      Claude kann sich nicht erinnern ein Adressbuch oder etwas Ähnliches in Wang Bings Zimmer gesehen zu haben, ebenso scheint es dem Kommissar zu gehen, der dies auch kundtut: „In Herrn Wangs Zimmer habe ich nichts Entsprechendes gefunden, kein Adressenverzeichnis oder so. Da müsste ich noch einmal meine Frankfurter Kollegen anrufen, ob die etwas bei dem Toten gefunden haben“, weist er - Claude anblickend - auf eine weitere mögliche Quelle hin, bei der er fündig werden könnte. „Noch eine Frage zum Abschluss, Herr Zhang: Kennen Sie einen Herrn Sung Ning aus Frankfurt?“

      „Nie gehört, wer soll das sein?“

      „Das ist der Besitzer des Wagens, mit dem Ihr Freund verunglückt ist, darüber hinaus war er der Bürge von Herrn Wang.“

      „So...?“ In der Stimme des Chinesen schwingt ein nicht zu überhörender zweifelnder Unterton mit, der die Aufmerksamkeit des Kriminalbeamten weckt, dessen Frage Herr Zhang allerdings zuvorkommt: „Mir hat er einmal gesagt, dass er von der chinesischen Regierung geschickt worden sei und mehr oder weniger seine Familie für ihn hafte.“

      „Sind Sie sich da ganz sicher?“, möchte sich Strelow die offensichtlich erste Widersprüchlichkeit, auf die sie gestoßen sind, noch einmal bestätigen lassen.

      „Ja klar, darüber sprechen wir Chinesen untereinander doch mit als erstes, denn jeder will wissen, wie es der andere geschafft hat herauszukommen.“

      „Fast hätte ich es vergessen“, schiebt der Kommissar noch eine Frage nach: „ Haben Sie eine Ahnung, wo Herr Wang zuletzt gejobbt hat?“

      „In oder bei Frankfurt, vermute ich. Er hat mir bei unserem letzten Treffen nur gesagt, dass er am nächsten Morgen wieder nach Frankfurt fahren müsse.“

      „Tja, ich denke, das wäre im Moment alles. Oder haben Sie noch eine Frage, Herr Duchamp?“ Da dies nicht der Fall ist, verabschiedet er sich zusammen mit Strelow von dem jungen Chinesen, letzterer nicht ohne den Hinweis, im Falle weiterer Fragen nochmals wiederzukommen.

      Stickige Luft schlägt ihnen beim Öffnen des in der prallen Sonne parkenden Wagens entgegen. Der Blick auf die Armbanduhr verrät Strelow, dass es Zeit ist an die Mittagspause zu denken: „Kommen Sie, ich zeige Ihnen ein nettes Lokal in der Innenstadt, da können wir etwas essen und trinken, und dabei Bilanz ziehen.“

      La Brasserie, das Lokal, von dem der Kommissar sprach, liegt an Erlangens Hauptstraße, die in diesem Bereich Fußgängerzone ist. Aufgrund des schönen Wetters wählen sie einen Tisch im Freien, von dem aus sich das geschäftige Treiben ringsum, die flanierenden, ihren Einkäufen nachgehenden Passanten sowie die sich durch sie hindurchschlängelnden Radfahrer recht gut beobachten lassen. Trotz des großen Andrangs, dessen sich die bistroartige Gaststätte erfreut, wird ihre Bestellung schnell aufgenommen, woraufhin sie sich nach einem ersten kräftigen Schluck daran machen, den Vormittag aufzuarbeiten, wobei sie sich schließlich einig sind, dass sie insgesamt nicht sehr viel weiter gekommen sind, die einzige wirkliche Ungereimtheit die unterschiedlichen Angaben bezüglich des Bürgen ist.

      Mit der spärlichen Ausbeute nicht so recht zufrieden, muss Claude, während beide sich jeweils einen knackig frischen Salatteller schmecken lassen, endlich eine Frage los werden, die ihn bereits seit dem Vortag bedrückt und ihn emotional aufwühlt, die er sich bis zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht getraut hat zu stellen, aus Angst für hysterisch gehalten zu werden: „Glauben Sie eigentlich, dass ich in Gefahr schwebe, dass es Herr Wang unter Umständen auf mich abgesehen hatte?“ In der Art wie Strelow die Augen nach oben schlägt, erkennt Claude, dass er ins Schwarze getroffen hat.

      „Um ehrlich zu sein, Herr Duchamp, dies können wir nicht ausschließen. So einiges deutet zumindest in diese Richtung, allerdings bräuchten wir einfach nur mehr Angaben zur Person von Herrn Wang. Wie mir mein Frankfurter Kollege mitgeteilt hat, hat er sich diesbezüglich ja bereits mit dem Auswärtigen Amt in Verbindung gesetzt. Vielleicht können uns aber auch seine anderen chinesischen Freunde weiterhelfen. Ich werde deswegen gleich nach dem Mittagessen meine Kollegen in Hamburg, München und Marburg anrufen. Vermutlich wird es jedoch ein wenig dauern, bis ich mehr weiß. Vorher werde ich aber noch Frankfurt von dem informieren, was ich heute Morgen erfahren habe. Möglicherweise wissen die zwischenzeitlich auch schon wieder mehr.“

      All die vom Kommissar genannten Möglichkeiten, an zusätzliche Informationen zu gelangen, befriedigen Claude nicht wirklich, dieses Herumtappen im Dunkeln, dieses Sich- Klammern an vage Hoffnungsschimmer nervt ihn, obgleich er genau weiß, dass sie gegenwärtig keine Alternative haben, Geduld angesagt ist. „Hoffentlich“, bringt er seine von Ungeduld gespeiste Stimmungslage kurz und bündig auf den Punkt.

      „Bleiben Sie noch in Erlangen?“ Claude nickt. „Ja? Gut! Dann spannen Sie heute Nachmittag ein bisschen aus, schauen Sie sich die Stadt an. Ich werde später noch einmal mein Glück im Wohnheim versuchen, und vielleicht bekomme ich ja noch im Laufe des Tages Informationen von meinen Kollegen. Wenn Sie möchten, können Sie morgen Vormittag im Präsidium vorbeischauen, aber rufen Sie besser vorher an. Hier haben Sie meine Rufnummer.“ Rasch kritzelt Strelow sie auf ein aus seinem Notizblock gerissenes Blatt Papier und schiebt dieses Claude über den Tisch zu. „Ich muss jetzt los. Wir sehen uns dann morgen, ja.“

      „In Ordnung“, verabschiedet sich Claude, sich nach dem Gehen des Kriminalbeamten wieder niederlassend, um sich behaglich im Sessel zu strecken und noch einen Cappuccino zu bestellen, der seinen träger werdenden Geist beleben, fit machen soll für den Nachmittag, den er mit einem Bummel durch die Fußgängerzone zu beginnen und, falls ein guter Film läuft, in einem Kino abzurunden beschließt.

      Mittwoch, 30. April 1997, 11:00 Uhr

      Pünktlich auf die Minute, exakt zur vereinbarten Zeit erscheint Claude bei Kommissar Strelow, der ihn mit einem kräftigen Handschlag begrüßt. „Na, hatten Sie einen schönen Nachmittag?“, erkundigt sich dieser bei dem Eingetretenen.

      „Ja, danke, das Wetter war aber auch überaus schön zum Bummeln.“ Den frühabendlichen Kinobesuch verschweigt er. „Und, haben Sie noch etwas erreicht?“

      „Leider nicht allzu viel. Ich war gestern am späten Nachmittag und auch heute früh noch einmal im Studentenwohnheim, habe aber weder Frau Lochner noch Herrn Hirsemann angetroffen. Und von meinen Kollegen habe ich bislang auch noch keine Rückmeldung erhalten, lediglich Kollege Krüger hat sich vor knapp einer Stunde bei mir gemeldet. Er scheint ein Stückchen weitergekommen zu sein. Und zwar geht es um den Wagenhalter, diesen...“ Strelow muss auf einem seiner Notizblätter am Schreibtisch nachschauen, „...diesen Herrn Sung Ning. Dieser besitzt seit fast zwanzig Jahren in Frankfurt ein allem Anschein nach gutgehendes Restaurant namens Bambusgarten. Allerdings muss es in der Vergangenheit gelegentlich schon ins Blickfeld der Polizei geraten sein, und zwar wegen illegalen Glücksspiels. Bedauerlicherweise hat mein Kollege den Inhaber gestern nicht angetroffen, angeblich ist er momentan in Hong Kong, soll aber in wenigen Tagen zurückkehren. Außer dem Lokal betreibt Herr Sung auch noch eine Import- und Exportgesellschaft, die Lebensmittel, Textilien und Kunsthandwerkliches aus China einführt und vor allem elektronische Geräte dorthin ausführt. Mehr, glaube ich, war nicht.“

      „Und das Auswärtige Amt hat sich noch nicht gerührt?“

      „Mein Kollege hat mir nichts davon gesagt, erfahrungsgemäß lassen die sich aber oft ziemlich viel Zeit, und die Chinesen sind in der Regel auch nicht die Allerschnellsten,“ mischt Strelow dem zweiten Teil der Antwort einen deutlich sarkastischen Unterton bei.

      „Glauben Sie es macht Sinn, noch einmal ins Studentenwohnheim zu gehen?“, versucht sich Claude Klarheit darüber zu verschaffen, wie es weitergehen, er


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