Das Blut des Sichellands. Christine Boy

Das Blut des Sichellands - Christine Boy


Скачать книгу
Hand strich vorsichtig über Racyls Schulter. Die Haut hatte die Farbe feinsten Porzellans und war dabei weich wie Samt.

      Über den Rücken.

      Das Seidenlaken glitt zur Seite und gab den Blick auf den feingliedrigen, schmalen Körper frei, der jetzt erschauerte.

      "Es ist kalt." flüsterte Racyl, ohne die Augen zu öffnen.

      Widerstrebend zog Lennys das Laken wieder über ihre Schultern.

      Racyl drehte sich zur Seite und der Sonnenstrahl verschwand aus ihren Haaren, um irgendeine nichtssagende Stelle auf den Kissen zu beleuchten.

      "Bist du schon lange wach?"

      Lennys schüttelte den Kopf.

      "Es ist zu hell zum Schlafen."

      "In den Kasernen ist es heller."

      "Mag sein." Mit einem Ruck sprang Lennys aus dem Bett und warf sich ein dünnes Morgengewand über. "Gefällt es dir dort besser?"

      "Nein. Es ist sehr schön hier in Vas-Zarac. Du musst wirklich glücklich sein, hier wohnen zu dürfen."

      "Es geht. Eigentlich habe ich darüber nie nachgedacht. Ich finde, es gibt Wichtigeres als ein großes Bett oder silberbeschlagene Türen."

      Racyl lachte leise.

      "Sicher gibt es das." Sie schwang nun ebenfalls ihre langen Beine über die Bettkante, bedeckte ihren Körper aber mit dem Seidenlaken. "Aber schön ist es trotzdem."

      "Ansichtssache. Ich bin lieber draußen. Nachts. Nur ich und meine Sichel. Eigentlich müsste es dir genauso gehen."

      "Mir? Aber... ich habe doch noch gar keine Sichel."

      "Du bist doch eine Kriegerin, oder nicht? Wir denken alle so! Die Batí natürlich besonders, aber auch die anderen. Und du bist zumindest eine halbe Batí."

      Verlegen zupfte Racyl an einem Zipfel des Lakens.

      "Ich.. ich habe die Säulenprüfung noch nicht gemacht. Erst dann bin ich wirklich eine Kriegerin."

      "Ja, und? Willst du es dir vielleicht nochmal anders überlegen?" Lennys lachte spöttisch. "Am Ende willst du wohl noch Priesterin werden? Vergiss das mal ganz schnell wieder. Wer einmal den Säbel in die Hand nimmt, der lässt ihn nie wieder los. Das gilt auch für dich."

      "Aber ich bin nicht so wie du. Es macht mir Spaß, ja, aber... irgendwie..."

      "Spaß?" Zu Racyls Überraschung sah Lennys ein wenig ärgerlich aus. "Das hat doch nichts mit Spaß zu tun! Wie könnten wir je etwas anderes tun? Es gehört zu unserem Leben, so wie das Atmen! Wir wollen das Blut der Feinde trinken, wollen ihnen beim Sterben in die Augen sehen, wollen sie ausmerzen - jeden Einzelnen! Weil es unsere Bestimmung ist! Unser Wille! Unser Verlangen! Nenn es nicht Spaß! Es ist kein Spaß! Es ist viel mehr!"

      Bei diesen Worten überkam Racyl erneut ein Schauer. Immer, wenn Lennys über das Kämpfen sprach, machte ihr die Wandlung in der Gefährtin Angst. Es war, als würde ein eiskaltes Feuer in ihr schwelen und manchmal glaubte sie, in ihren Augen die des Dämons zu erkennen, wie er nach Blut lechzte und danach gierte, seine Feinde zu zerreißen.

      Zugleich aber erregte sie diese Gefährlichkeit und obwohl sie sich selbst in solchen Momenten schwach und unwürdig vorkam, fühlte sie sich wie magisch davon angezogen. Denn sie hatte gelernt, diesen Hauch des Dämons, zweifellos begründet im reinen Batíblut, der in Lennys schlummerte, zu zügeln. Sie erhob sich vom Bettrand, ließ das Laken fallen und ging - vollkommen nackt - auf Lennys zu.

      "Es gibt noch andere Dinge, die weit mehr sind als Spaß..." hauchte sie und legte ihre Hände auf Lennys' Schultern. Die Wirkung trat sofort ein. Das Eisfeuer in den pechschwarzen Augen erlosch und ihre Muskeln entspannten sich. Das Morgengewand glitt zu Boden.

      "Vergiss nicht, was du bist." sagte die Tochter des Shajs, klang aber dabei eine Spur sanfter. "Priester sind schwach. Willst du schwach sein?"

      Obwohl diese Worte sie verletzten, lächelte Racyl.

      "Manchmal bin ich es, auch wenn ich es nicht will. Kennst du dieses Gefühl nicht?"

      "Nein. Nichts geschieht gegen meinen Willen."

      Racyls Mundwinkel zuckten. In der Tat schien das Leben ganz nach Lennys' Vorstellungen zu verlaufen, aber eigentlich hatte die angehende Cas es sich in letzter Zeit abgewöhnt, darauf hinzuweisen. Inzwischen verbrachte sie ungewöhnlich viele Stunden allein, zurückgezogen von den Kriegern und den geselligen Treffen hinter Kasernenmauern oder Rosenhecken. Sie sprach mit niemandem darüber, was sie in dieser Zeit tat, aber Racyl vermutete, dass sie heimlich lernte. Denn wann immer jemand eine Frage stellte, sei es zu den Fremdländern, zur Landespolitik, zu den Tempeln oder zu den Minenerträgen - Lennys kannte stets die Antwort. Und das, obwohl sie im Unterricht nicht gerade durch Anwesenheit glänzte.

      'Wahrscheinlich', so dachte Racyl weiter, 'will sie einfach nicht zugeben, dass es sie interessiert. Wahrscheinlich will sie nicht als lerneifrig und ehrgeizig gelten. Alle sollen denken, der Unterricht wäre ihr egal.'

      Doch sie machte nicht den Fehler, sie danach zu fragen. Lennys war leicht aufbrausend und sie hasste es, wenn sich irgendjemand allzu neugierig in ihre Angelegenheiten mischte. Vielleicht war dies auch der Grund, warum sie Racyls Nähe häufig zuließ - denn die Schwester des inzwischen hoch angesehen Rahor Req-Nuur zeichnete sich durch Verschwiegenheit und Stille aus. Sie plapperte nicht wie andere Mädchen ihres Alters unaufhörlich vor sich hin und zugleich hatte sie ein schon beinahe unheimliches Gespür dafür, wann die Tochter des Shajs alleingelassen werden wollte.

      Racyl machte sich nichts vor. Sie glaubte zu wissen, dass Lennys nicht alle Nächte allein verbrachte, auch wenn sie nicht da war. Natürlich gab es niemanden, der ihr davon berichtet hätte, aber keine Dienerstochter, keine Dorfdirne und auch kein Säbelschüler oder Krieger war klug genug, diese heimlichen Treffen vor ihr zu verbergen. Manche machten sogar vage Andeutungen, halb stolz, halb enttäuscht und verletzt und diese Mischung verriet Racyl mehr als alles andere, dass die Stunden mit Lennys für sie mehr als nur ein Wunschtraum gewesen waren.

      Nur sie durfte wiederkommen.

      Sehr zu Rahors Missfallen, denn er sah das Treiben seiner kleinen Schwester überhaupt nicht gern. Mehr als einmal hatte er Racyl schon zur Seite genommen. An eine dieser Unterredungen erinnerte sie sich besonders genau.

      Es war noch nicht lange her. Genaugenommen am Tag nach ihrem ersten Besuch in der Burg, gleich nachdem sie wieder die Kaserne erreicht hatte. Rahor hatte sie schon erwartet und um ein Wort unter vier Augen gebeten.

      "Ich weiß, was du mir sagen willst." war sie ihm zuvor gekommen. "Es gefällt dir nicht, dass ich mich mit Lennys treffe. Und das auch noch in Vas-Zarac."

      Und er hatte es bestätigt.

      "Du hast recht. Es gefällt mir nicht. Ihr passt nicht zueinander, sie und du. Du... du bist liebenswürdig, rücksichtsvoll, sensibel. Das genaue Gegenteil zu ihr. Früher oder später wird sie dir wehtun und das möchte ich nicht. Warum sie? Warum ausgerechnet die Tochter Satons? Warum suchst du dir nicht einen netten Jungen oder meinetwegen auch ein nettes Mädchen, das zu dir passt?"

      "Man kann sich so etwas nicht aussuchen." hatte sie lächelnd geantwortet. "Aber bis jetzt gab es doch keine Probleme. Und deine Angst... ich kann sie ja verstehen. Sie ist eben so. Und ich weiß das. Sie kann mich nicht damit verletzen, dass sie auch hin und wieder... mit anderen zusammen ist. So gut kenne ich sie schon. Es gehört eben dazu. Und ich kann das akzeptieren. Vielleicht... kannst du es auch."

      "Es fällt mir schwer. Es ist nicht in Ordnung, was sie tut. Sie kann natürlich machen, was sie will, aber mir wäre es lieber, wenn nicht ausgerechnet du das ausbaden müsstest. Aber erzähle es um Himmels Willen nicht unserem Vater."

      Ja, das war Rahors größte Sorge gewesen. Erzähle deinem Vater nicht, dass du das Bett mit Satons Tochter teilst.

      Celdros war ein großzügiger, toleranter Mann, ein Krieger, den so leicht nichts aus der Fassung brachte. Und er glühte vor Ehrfurcht vor seinem Shaj. Vor Feinden hatte


Скачать книгу