Das Blut des Sichellands. Christine Boy

Das Blut des Sichellands - Christine Boy


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Wagnis."

      "Es könnte auch ein großer Erfolg sein."

      "Aber sich auch ins Gegenteil verkehren."

      "Die Gefahr ist gering. Verschwindend gering."

      "Der Weg ist weit."

      "Was sind schon Entfernungen?"

      Ungeduldig pochte Saton mit seinen Fingerknöcheln auf die Sessellehne.

      "Warum jetzt, Mondor? Warum hat es nicht Zeit? Ein paar Wochen, ein paar Monate, kommt es darauf wirklich an? Hier sitzt meine Frau, sie erwartet unser erstes gemeinsames Kind. Und wir alle, die hier sitzen, wissen, dass es unser einziges sein wird. Nur wir und Wandan kennen die Wahrheit. Ihr seid die Drei. Du, Cureda und Wandan. Ich habe immer Respekt gehabt vor deinen Pflichten und Cureda versteht dich wohl noch besser als ich. Aber ich bin auch nur ein Mensch. Ein Mann, der in Kürze den wohl glücklichsten Moment seines Lebens zu erwarten hat. Ist es zuviel verlangt, dass ich mich nur darauf konzentrieren möchte?"

      "Keineswegs, mein Freund. Ich bitte dich nur, mein Ansinnen nicht ganz zu vergessen. Wenn deine Tochter erst einmal geboren ist, wirst du stolz nach Semon-Sey zurückkehren, du wirst sie deinem Volke zeigen und ihr all deine Aufmerksamkeit widmen. Und das sollst du auch. Aber für mich bist du dann nicht mehr greifbar und es gibt Dinge, die ich lieber mit dir persönlich kläre als über einen Boten, egal wie zuverlässig er auch sein mag."

      "Niemand zwingt dich, hierzubleiben. Du könntest nach Semon-Sey kommen. Allein deine Sturheit bindet dich an Yto Te Vel, aber das heißt noch lange nicht..."

      "Hört auf zu streiten." warf Cureda leise ein. Sie war noch blasser als sonst und augenblicklich vergaß Saton die Diskussion mit Mondor.

      "Verzeih. Das war rücksichtslos von uns. Fühlst du dich nicht wohl? Komm, ich bringe dich hinein, dann kannst du dich hinlegen."

      Diesmal widersprach sie nicht. Als er ihr ihren Arm anbot, stützte sie sich darauf und es schien, dass sie ohne diese Hilfe kaum hätte gehen können.

      Es dauerte lange, bis Saton in den Garten zurückkehrte, wo Mondor immer noch geduldig wartete und an seinem Tee nippte. Er ließ sich nichts anmerken und überließ es seinem Freund und Shaj, das Gespräch wieder aufzunehmen.

      "Sie verweigert die Schmerzmittel." erklärte Saton plötzlich und es klang schon fast entschuldigend. "Die Heiler bieten ihr Tees und Pulver, aber sie will nichts davon nehmen. Sie meint, es würde eher schaden als nützen."

      "Damit könnte sie recht haben." nickte Mondor. "Mit der Heilkunst der Cycala ist es nicht weit her. Und wer eine so schwere Schwangerschaft durchsteht, sollte nicht riskieren, die Probleme noch zu vergrößern."

      "Ich fühle mich schuldig. Manchmal glaube ich, dass ich sie zu sehr gedrängt habe. Dass ich mir dieses Kind zu sehr gewünscht habe."

      "Ich dachte, ihr wolltet es beide?"

      Saton zuckte die Achseln. "Ja, so ist es ja auch. Zumindest sagt sie das. Aber ich habe immer mehr das Gefühl, dass sie sich längst nicht so freut wie ich. Sie würde das nie sagen. Und es liegt auch nicht an ihren Beschwerden. Es war von Anfang an so. So, als hätte sie irgendwelche Befürchtungen oder Ängste, die ich nicht kenne."

      "Ängste? Vor dem, was in ihr wächst?"

      "Sie liebt unsere Tochter. Ebenso wie ich. Das ist nicht das Problem."

      "Dann sprichst du nicht von dem, was in ihr ist, sondern eher, was in eurem Kind ist, nehme ich an?"

      "Das klingt, als wäre es etwas Schlechtes. Nein, Mondor, das ist es nicht. Das Blut der Sarr ist nicht böse oder gar eine Last. Es ist etwas Besonderes. In ihm ruht eine Spur des Großen, reiner als in dem aller Batí. Aber muss man davor Angst haben? Ich trage es mein Leben lang in mir. Und ja, es bescherte mir Momente, die ich keinem anderen aufbürden möchte, am wenigsten meinem eigenen Kind. Aber ich kann es nicht verhindern. Und ich habe eine Pflicht. Die Pflicht, dieses Erbe weiterzugeben. Und Cureda wird eine unsagbare Ehre zuteil. Das weiß sie. Ich habe ihr versprochen, dass sie vor meinem Blut keine Angst haben muss. Und ich hätte es ihr nicht versprochen, wenn ich mir nicht sicher wäre."

      "Vielleicht hat sie auch Angst vor dem, was dein Kind erwartet. Du sagtest selbst, dass manche Momente..."

      "Sie wird stark sein. Unsere Tochter wird so stark wie ihre Mutter und vielleicht um einiges stärker als ich selbst. Sie wird diese Last tragen können. Ertragen können. Und dieses Erbe ist nicht nur eine Bürde, es ist auch ..."

      "Ein Segen?"

      "So weit würde ich nicht gehen. Aber sieh, Mondor. Ich bin der oberste Gebieter der Nacht. Der Herr der Krieger. Vielleicht wird sie einmal den gleichen Weg einschlagen. Und vielleicht wird sie auch den Thron erhalten. Ehrlich gesagt, dieses Schicksal ist wohl weit grausamer als das Bluterbe selbst. Aber wenn es sie ereilt, dann wird ihr Blut ihr helfen, es anzunehmen. Da bin ich sicher."

      Am dritten Tag des Monats des Rin erwachte Cureda lange vor Sonnenaufgang. Ihr war es, als wäre sie eben erst eingeschlafen, doch wie schon in all den Nächten zuvor war es nicht ihre Entscheidung, wann die Ruhe ein Ende hatte.

      Ihr Laken war schweißdurchtränkt und obwohl draußen ein eisiger Wind pfiff, glaubte sie, vor Hitze zu zergehen. Auslöser war ein glühendes Pochen in ihrem Bauch.

      Das Baby bewegte sich nicht, aber es fühlte sich beinahe so an, als ob allein sein Herzschlag die Schmerzen auslöste. Cureda kannte dieses Gefühl bereits seit einiger Zeit, doch nie war es so unerträglich gewesen wie jetzt.

      Sie legte eine Hand auf die Stelle, als ob sie sie damit beruhigen oder kühlen konnte, doch sie wusste, dass es keine Linderung verschaffen würde.

      "Wie lange noch?" fragte sie leise. "Wie lange müssen wir noch warten? Wie lange wirst du dich noch gegen diese Gefangenschaft wehren? Wie lange lässt er das noch zu?"

      Sie klammerte sich an einen Bettpfosten und stand auf. In den letzten Tagen hatte sie ihr Schlafzimmer so gut wie nicht verlassen und die meiste Zeit liegend auf ihrer Schlafstatt verbracht. Und allein gestern hatte sie zweimal geglaubt, das Kind wolle plötzlich nach draußen drängen, ohne Wehen, ohne weitere Verzögerung. Doch noch ehe sie nach Saton oder auch nur einem Diener hätte rufen können, war der Moment vorüber.

      Saton.

      Sie musste mit ihm reden. Nichts war wichtiger, aber immer, wenn sie glaubte, der rechte Zeitpunkt sei gekommen, hatte er sie wieder angelacht und seine Freude über das nahende Ereignis kundgetan. Sie brachte es nicht über sich, ihm diese Gefühl zu nehmen und ihn mit der Wahrheit zu konfrontieren, die mit der Geburt einherging.

      Mit schweren Schritten tastete sie sich zum Fenster. Es hatte wieder geschneit. Nicht viel, nur eine dünne, weiße Pulverdecke lag auf den Bäumen und der immer noch gefrorenen Erde. Es hatte nichts zu bedeuten. Noch zwei Tage zuvor war es so warm gewesen, dass alle geglaubt hatten, der Frühling hätte gesiegt. Das Wetter wechselte beinahe täglich und man war leicht versucht, in Hoffnung oder Trübsinn zu verfallen, um schon wenige Stunden später eines Besseren belehrt zu werden.

      Etwas regte sich in ihr.

      Der brennende Herzschlag schwand etwas, dafür begann das Mädchen jetzt, vehement zu strampeln. Cureda sank stöhnend auf einen Hocker, der am Fenster stand.

      "Warte noch..." flüsterte sie ihrem Bauch mit bebender Stimme zu. "Ich muss es ihm erst sagen..."

      Beinahe eine ganze Woche verstrich und mit jedem Tag wurden die Stunden, die Cureda außerhalb ihres Bettes verbrachte, weniger. Auf ihren Wunsch hin kam nur ein einziger Diener zu ihr, der das Essen und Getränke brachte, das Bettzeug wechselte und das Zimmer reinigte. In diesen Augenblicken biss sie die Zähne zusammen und tat, als wäre sie nur müde, denn sie wollte nicht, dass der Untergebene Saton berichtete, wie sehr sie sich quälte.

      Der Shaj selbst besuchte sie, so oft er konnte. Am liebsten wäre er unentwegt bei ihr geblieben, doch sie bat ihn um Ruhe. Nicht, weil sie ihn nicht gern bei sich hatte. Es tat ihr weh, ihn fortzuschicken, aber noch unerträglicher war ihr der Gedanke, dass er zusah, wie sie mit schmerzverzerrtem Gesicht


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