Das Blut des Sichellands. Christine Boy

Das Blut des Sichellands - Christine Boy


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einzige Heiler, der noch Zutritt zu ihrem Gemach hatte, musste nach seinem täglichen, stets recht kurzem Besuch immer ratlos von dannen ziehen und er konnte dem Shaj, der erwartungsvoll auf dem Flur wartete immer nur dasselbe berichten:

      "Es ist bald soweit. Ich kann nichts für sie tun."

      Immer, wenn dies geschah, fragte sich Cureda, wie oft sie noch diese gedämpften Worte durch die Tür hindurch vernehmen musste. Sie kämpfte nicht nur gegen das Unwohlsein, die Schmerzen und die Erschöpfung, sondern auch gegen ihren Stolz, denn all die Vernunft, mit der sie beschenkt worden war, schrie danach, das Gespräch mit ihrem Gemahl zu suchen, das sie nun nicht mehr länger hinauszögern konnte.

      Gerade schlüpfte wieder der Diener durch die Tür. Er brachte Wasser und eine Schale mit getrockneten Blüten, die einen angenehmen Duft verströmten.

      "Welcher Tag ist heute?" fragte sie matt.

      "Der neunte Tag des Rin, hohe Herrin."

      Sie nickte schwach und mühte sich, nicht auf den Druck in ihrem Unterleib zu achten, der seit diesem Morgen immer stärker wurde. Jetzt ging gerade die Sonne unter und sie fühlte sich nicht mehr in der Lage, sich auch nur aufzusetzen.

      "Ich möchte Saton sehen..." sagte sie leise.

      "Sehr wohl, Herrin. Habt ihr noch weitere Wünsche?"

      "Nein... nur Saton. Ich will ihn sprechen."

      Der Diener verneigte sich kurz und verschwand.

      Erstaunlich schnell ertönte das von ihr ersehnte und doch zugleich gefürchtete Klopfen. Es gab kein Zurück mehr. Sie musste es tun. Jetzt.

      Unter Satons Augen lagen dunkle Schatten. Einen Moment lang stellte sie sich vor, dass sie gewiss noch mehr von der Anstrengung gezeichnet sein musste, doch es war ihr gleich. Die Zeiten, in denen sie die Sorgen von ihrem Mann hatte fernhalten können, waren nun endgültig vorüber.

      "Wie fühlst du dich?" fragte der Shaj, setzte sich auf die Bettkante und ergriff ihre Hand.

      "Ich muss dir einige Dinge sagen." erwiderte sie, ohne auf die Frage zu antworten. "Dinge erklären."

      Saton runzelte die Stirn.

      "Ich möchte nicht, dass du dich anstrengst. Alles, was du mir zu sagen hast, hat doch Zeit. Wenn erst einmal unsere Tochter.."

      "Hör mir zu." unterbrach sie ihn bestimmt. "Wir haben keine Zeit. Ich habe keine. Ich muss es dir sagen. Bevor sie geboren wird."

      Ein Schauer kroch über Satons Haut. Er hatte Cureda noch nie so ernst, noch nie so unerbittlich gesehen. Was immer sie auch auf dem Herzen hatte, es belastete sie mehr, als er hatte ahnen können.

      "Geht es... um den Grund, weshalb du in den letzten Monaten manchmal so traurig warst?"

      Sie nickte.

      "Saton... es gibt... vieles, was du nicht weißt. Ich hätte es dir nicht verschweigen dürfen, aber ich ... ich konnte es dir auch nicht sagen. Das war mein Fehler. Ich war so egoistisch. An dem Tag, als wir uns zum ersten Mal begegneten, wusste ich, dass du der einzige Mann in meinem Leben sein wirst. Und schon damals wollte ich dir alles erklären. Aber dann bist du mir zuvor gekommen und... und ich hatte nicht mehr den Mut dazu."

      "Dir zuvorgekommen?"

      "Du wirst mir vielleicht niemals verzeihen, wenn du die Wahrheit erfährst. Du wirst mir nicht verzeihen, dass ich dich so lange... belogen habe. Denn die Wahrheit zu verschweigen, kommt einer Lüge gleich..."

      "Verzeihen? Cureda... es gibt nichts auf dieser Welt, was ich dir nicht verzeihen würde..." Er strich ihr lächelnd über das Haar. "Was auch immer du mir sagen willst, du brauchst keine Angst zu haben. Es wird nichts ändern, verstehst du?"

      "Es wird alles ändern. Wenn du... wenn du mir helfen willst, dann erlaube mir, zu dir zu sprechen, bis ich alles gesagt habe. Stell keine Fragen. Unterbrich mich nicht. Und ... und berühre mich nicht."

      "Ich soll dich nicht...?"

      "Ich könnte es nicht ertragen, wenn deine Hand vor mir zurückweicht, aus Entsetzen oder Wut. Nimm sie von mir, solange ich dich noch darum bitten kann. Damit machst du es mir leichter. Und verzeih, wenn ich dich nicht ansehe, während ich rede."

      Widerstrebend ließ Saton seine Hand auf ihre Schulter sinken, strich ihr kurz darüber und zog sie dann zurück.

      "Nun... gut. Wenn du mich darum bittest... und wenn es dir hilft. Ich verspreche dir, ich werde dir zuhören, was auch immer du mir zu sagen hast und ich werde mein Wort erst wieder erheben, wenn du es mir gestattest. Und wenn du möchtest, werde auch ich dich nicht ansehen."

      Sie nickte.

      Dann richtete sie ihren Blick auf die schmucklose Wand gegenüber ihres Bettes und begann.

      "Ich bin Cureda Ac-Zyr. Ich kannte meine Eltern nicht, denn sie starben als ich klein war und ich wurde großgezogen von einer alten Frau im Dorf Bara-Im. Sie erzählte mir die Geschichte meiner Herkunft, aber auch wenn sie es nicht getan hätte, hätte ich davon erfahren. Als ich alt genug war, einer Säule beizutreten, entschied ich mich für den Weg des Himmels und besuchte die Tempelschulen in Zarcas und Semon-Sey. Aber bald schon sagte man mir, ich müsse nach Yto Te Vel gehen, denn dort würden die reinen Batí gelehrt und ich war eine von ihnen. Also verließ ich Bara-Im und meine Ziehmutter. Sie weinte, weil sie mich verlor, aber sie war auch froh, dass ich meine Bestimmung gefunden hatte.

      In Yto Te Vel war ich glücklich. Es war meine Heimat, vielleicht mehr als es Bara-Im jemals gewesen war und ich liebte den Tempel und die Priester und den Dienst an Ash-Zaharr. Eines Tages kam Mondor zu mir und sagte, der Shaj der Nacht wäre auf dem Weg zu uns, denn er müsse sich einer Reinigung unterziehen, die nur im Batí-Tempel vollzogen werden kann. Natürlich war ich nervös. Ich hatte nie zuvor einen Shaj gesehen. Und dann... dann kamst du. Und ich wusste nicht, wie mir geschah. Nie zuvor hat mich ein Mensch so gefesselt, allein durch seinen Blick und seine Anwesenheit. Und als ich erfuhr, dass du dasselbe von mir dachtest, da... schwebte ich geradezu vor Glück. Du fragtest mich, ob ich mit dir mitkommen wolle, nach Semon-Sey. In deine Stadt. In deine Burg Vas-Zarac. Ob ich an deiner Seite bleiben wolle, mein Leben lang. Und ich konnte mir kein schöneres Leben vorstellen als eines, das ich mit dir teilen durfte.

      Und ich ging mit dir. Eines Tages besuchte ich meine Ziehmutter und sie freute sich für mich und auch darüber, dass sie mich nun wieder öfter sehen konnte, denn Bara-Im war nicht weit von Semon-Sey und alle... alle waren glücklich. Und ich dachte, dass es nun an der Zeit sei, dir mein Geheimnis zu offenbaren und ich war mir sicher, dass es eigentlich unwichtig sei und dass es keinen Einfluss auf unser Leben haben könne. Aber dann... dann hast du mir ein Geheimnis verraten. Das Geheimnis deines Blutes. Du hast mich zu einer der Drei gemacht, nachdem Assa-Pal gestorben war. Das Blut der Sarr. Das Blut Ash-Zaharrs. Du, mein Gemahl, der Shaj der Nacht. Einer der Blutsträger. Der Erbe der Nacht. Von diesem Moment an... konnte ich dir nicht mehr die Wahrheit sagen. Du hast mir die Geschichte der Erben erzählt. Dass sie immer nur ein Kind zeugen, dass das Blut fortgeführt werden muss. Und mir war klar, dass du gar nicht anders konntest. Auch du wolltest dieses Kind. Nicht nur wegen deiner Linie, nicht nur wegen des Bluterbes. Du hast es dir so sehr gewünscht.

      Also bin ich nach Yto Te Vel gegangen. Das war vor einem Jahr. Du hast dich immer gefragt, was ich dort getan habe. Und wahrscheinlich hast du mir meine Ausreden nie so recht glauben wollen. Mondor zu besuchen, die Priester wiederzusehen, meine Riten zu vollziehen. Nein, Saton. Das waren nicht die Gründe. Ich bin dorthin gegangen, weil ich eine Antwort brauchte. Ich habe eine Frage gestellt und eine Antwort erhalten. Ich wollte wissen, ob ich dir den Nachkommen schenken kann, nachdem du dich so sehnst. Und ...nach dem auch ich mich gesehnt habe."

      Sie atmete mehrmals tief durch und wieder verstärkte sich der schmerzhafte Druck in ihrem Leib.

      "Und ich traf eine Entscheidung. Es war ein Fehler, denn ich hätte es niemals allein tun dürfen. Ich hätte mit dir sprechen müssen. Ich habe es getan, weil ich dir... uns diesen Wunsch erfüllen wollte, ganz gleich, wie hoch der Preis sein mochte. Doch ich habe die Gefahren, die Konsequenzen, ausgeblendet. Ich habe


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