Sehnsucht. Heidi Oehlmann
frage ich.
»Die Lichtmaschine ist hinüber, das habe ich schon während der Probefahrt bemerkt. Der Blick unter die Haube hat meinen Verdacht bestätigt.«
»Oh je. Was bedeutet das? Ich muss den Wagen stehen lassen, oder?«
»Ich würde Ihnen raten mit dem Auto so keinen Meter mehr zu fahren. Ich kann eine neue Lichtmaschine einbauen. Die muss aber erst bestellt werden und wird vor Dienstag nicht hier sein.«
»Oh nein, was mache ich jetzt? Wie komme ich zu meiner Cousine?«
»Wo wollen Sie denn hin?«
»Nicht weit. Sie wohnt hier in Potsdam. Dann werde ich mir ein Taxi bestellen und mein Gepäck umladen müssen.«
»Wenn es hier in der Stadt ist, kann ich Sie gern hinbringen«, bietet Adrian an.
»Wirklich? Das ist echt nett von Ihnen. Danke!«
»Kein Problem. Ich habe sowieso noch etwas gut zu machen, so rührend, wie Sie sich vorhin um Zoey gekümmert haben.«
»Ach, das war doch nichts.«
»Na doch. Wer weiß, was die Kleine ohne Sie angestellt hätte.« Adrian schenkt mir ein Lächeln, was mich zum Schmelzen bringt und dafür sorgt, dass ich erröte.
»Wollen wir los?«, fragt er.
»Ja, von mir aus gerne.«
»Gut, dann lassen Sie uns aufbrechen!«
»Okay. Ich muss wie gesagt nur meine Sachen aus dem Auto holen.«
»Das kriegen wir schon hin«, sagt Adrian und macht Anstalten das Gebäude zu verlassen.
Ich erhebe mich und strecke Brand Senior meine Hand entgegen. Als er sie nimmt, sage ich: »Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen. Auf Wiedersehen!«
»Auf Wiedersehen, junge Frau!«, antwortet er grimmig.
Puh, geschafft, denke ich, als ich draußen vor der Tür stehe und den alten Mann los bin. Bei der Verabschiedung sah er mich so komisch an. Das machte mir ein bisschen Angst. Ich bin mir sicher, ihn mit meinen Ansichten verärgert zu haben, aber das ist mir momentan gleichgültig. Mit etwas Glück sehe ich ihn nie wieder und brauche mir keine Gedanken mehr darüber zu machen.
Mit kleinen Schritten gehe ich um das Gebäude auf den Hof. Adrian steht an seinem Wagen, der direkt neben meinem parkt, und hat bereits den Kofferraum geöffnet. Lässig lehnt er an der Fahrertür und wartet. Der Anblick gefällt mir. Ich schaffe es kaum, den Blick von ihm abzuwenden.
»Ich bin schon da!«, rufe ich und erhöhe mein Tempo.
Ich haste zum Heck meines Autos. Erst hole ich den Koffer und dann die Tüten heraus, um sie in Adrians Wagen zu verstauen. Er macht keine Anstalten mir zu helfen. Stattdessen beobachtet er mich, wie ich die Gepäckstücke umschichte.
Als ich die letzte Tüte verstaut habe, fragt er: »Fertig?«
»Ja. Ich muss nur noch meinen Wagen abschließen. Sie haben noch den Schlüssel, oder?«
Adrian wühlt in der Brusttasche seines Blaumanns und zieht den Autoschlüssel hervor.
»Moment, ich muss noch die Kofferraumklappe schließen«, sage ich, während ich zu meinem Fahrzeug gehe und die Klappe herunterdrücke. »So, jetzt können Sie abschließen!«
»Gut.« Adrian verschließt mit der Fernbedienung meinen Wagen und steigt in seinen ein.
Ich eile auf die Beifahrerseite und steige ebenfalls ein.
»Wo soll es genau hingehen?«
Mist, wo habe ich Maries Adresse? Vor der Abreise habe ich sie eingesteckt, da bin ich sicher.
Ich denke einige Sekunden nach und kann aus den Augenwinkeln sehen, dass Adrian ungeduldig auf eine Antwort wartet.
In der Hosentasche!
»Ähm, Moment. Ich habe die Adresse in der Tasche.«
Statt auszusteigen, wühle ich sitzend in meiner viel zu engen Hosentasche, bis ich den Zettel zwischen den Fingern spüre und rausziehe. Ich reiche die zerknautschte Notiz an Adrian weiter. Er schaut drauf und sagt: »Ah ja. In weniger als zehn Minuten sind wir da.«
Dann gibt er mir das Stück Papier zurück, startet seinen Wagen und fährt los.
Adrian starrt voll konzentriert auf die Straße, ohne mich zu beachten. Heimlich beobachte ich ihn aus den Augenwinkeln. Ich muss zugeben, er gefällt mir. Nur traue ich mich nicht, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Mir fällt kein geeignetes Thema ein, über das ich mit ihm sprechen kann. Es ist aber nicht unangenehm. Ich fühle mich wohl in Adrians Nähe und wünsche mir, die Fahrt geht nie zu Ende. Ich könnte stundenlang so sitzen und mit ihm durch die Gegend fahren.
9. Kapitel - Adrian
Mit voller Kraft trete ich auf die Bremse, als die Ampel von Grün auf Gelb springt. Ruckartig kommt der Wagen zum Stillstand. Mein Blick wandert zu meiner Beifahrerin. Sie scheint die Vollbremsung wenig gestört zu haben. Zumindest zeigt sie keine Reaktion. Stattdessen starrt sie nach vorn auf die Straße. Ich nutze den Stopp, um sie genauer zu betrachten. Sie ist verdammt hübsch. Ihr zusammengebundenes Haar lässt sie ein bisschen streng wirken. Das ist sie aber nicht. Immerhin ist Zoey zu ihr gegangen. Im gleichen Moment kommt mir das Bild in den Kopf, wie meine Tochter mit Lisa - ihren Namen habe ich aus den Fahrzeugpapieren, die unter der Sonnenblende klemmten - zusammen auf der Couch saß. Die beiden wirkten so vertraut miteinander, so als würden sie sich schon ewig kennen.
»Es ist grün!«, reißt mich Lisa aus den Gedanken.
»Ja.« Ich trete sanft aufs Gaspedal. Wenn es nach mir ginge, könnte die Fahrt noch eine Weile dauern. Zu meinem Bedauern kommen wir dem Ziel mit jeder Sekunde ein Stück näher. Es dauert nicht mehr lange und ich bin die schöne Beifahrerin los.
»Haben Sie eine Visitenkarte dabei? Ich meine, damit ich weiß, wo ich am Dienstag hin muss.«
Eine Visitenkarte? Daran habe ich in der Hektik nicht gedacht.
»Nein. Ich kann Sie übermorgen gegen Abend wieder abholen, wenn Sie wollen. Dann brauchen Sie sich kein Taxi rufen oder den Bus nehmen.«
»Das ist nett. Ich möchte Ihnen aber keine Umstände machen. Ich werde meine Cousine fragen, ob sie mich bringen kann.«
»Das ist kein Problem. Ich hole Sie gerne wieder ab.«
»Das brauchen Sie nicht. Ich bräuchte wie gesagt nur noch Ihre Adresse, damit ich die Werkstatt wiederfinde.«
»Ich habe leider keine Visitenkarten dabei«, wage ich einen Versuch, um Lisa umzustimmen.
»Das macht nichts. Sie können mir die Straße gleich aufschreiben.«
»Okay.«
Schade! Es wäre zu schön gewesen, aber wenn sie nicht will …
Wieder habe ich das Bild im Kopf, wie Zoey mit Lisa auf der Couch sitzt. Ich frage mich die ganze Zeit, was an dieser Frau so anders ist. Warum ging meine Tochter so offen auf sie zu? Es muss doch einen Grund dafür geben. Ich habe Zweifel, ob ich jemals eine Erklärung bekommen werde.
»So, da sind wir!«, sage ich und versuche die Enttäuschung zu verbergen.
»Haben Sie einen Stift? Dann können Sie mir die Adresse der Werkstatt auf die Rückseite des Zettels hier schreiben«, sagt Lisa und hält mir den zerknautschten Schmierzettel, auf dem die Anschrift ihrer Cousine steht, entgegen.
»Einen Stift? Hm. Ich muss mal schauen.«
»Wenn nicht, ich habe ein gutes Gedächtnis.«
»Moment, ich glaube, im Handschuhfach habe ich einen Kuli«, sage ich, während ich mich rüber beuge, um nachzuschauen. Dabei steigt mir ein