Genesis IV. Alfred Broi

Genesis IV - Alfred Broi


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Treiben und durch einige größere Bäume gut geschützt. Dort stoppte er ab, stieg aus und trat vor eine unscheinbare Tür. Während er eine Codekarte aus seiner Jacke fischte, schaute er sich verstohlen um, doch er konnte niemanden entdecken. Bevor er die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz steckte und somit die Verriegelung der Tür deaktivierte, schloss er seine Augen und atmete einmal tief durch. Nachdem er sich mindestens zweimal selbst verflucht hatte, überwog wieder die Angst in ihm und er trat zügig in das Innere des Gebäudes.

      Der Geruch von Schweiß und Blut, gepaart mit großer, trockener Hitze schlug ihm sofort entgegen und er musste einen Brechreiz unterdrücken. Er befand sich hier in der Wäscherei des Schlachthauses, wo die Kleidung und sonstigen Stoffe der Arbeiter gereinigt wurden. Vilo aber hatte nicht vor, hier zu verweilen. Im Hintergrund konnte er Stimmen und die Geräusche von einigen Maschinen hören. In geduckter Haltung rannte er im Halbdunkel Richtung Norden, durchquerte einige schmale Gänge und düstere Räume, bevor er in einen langen, schnurgeraden, hell erleuchteten Gang kam, von dem unzählige Türen abgingen.

      Er lief sofort auf eine davon zu. Der obere Bereich war verglast und er konnte in den dahinterliegenden Raum sehen. Sofort wusste er, dass er richtig war, denn überall hingen große Fleischhälften von kürzlich geschlachteten Muras-Rindern von der Decke. In den raumhohen Regalen an den Seitenwänden lagen bereits filetierte Stücke, die für den Weitertransport vorgesehen waren.

      Vilo schaute sich verstohlen um, dann zog er seine Codekarte durch einen Schlitz neben der Tür und konnte den Raum betreten.

      Hektisch sah er sich um und fand dann einen Tisch, auf dem sich Verpackungsmaterial befand. Er schnappte sich zwei Bögen, lief zu dem Regal auf der linken Seite, fischte zwei Filetstücke heraus und wickelte sie einzeln ein. Vilo schätzte, dass jedes Stück etwas mehr als ein Kilo wog. Schnell öffnete er seine Jacke, drückte je ein Stück senkrecht seitlich an seinen Oberkörper und schloss dann die Jacke wieder. Deutlich konnte er die Kälte spüren, die unter seinen Armen in den Körper zog. Er war sich aber sicher, dass die Pakete klein genug waren, um einem Fremden dort nicht aufzufallen.

      Jetzt galt es nur noch, so schnell als möglich wieder von hier zu verschwinden.

      Er hatte gerade einen Schritt in Richtung Tür gemacht, als er vollkommen erstarrte. Deutlich hatte er aus dem hinteren Bereich des Raumes ein Geräusch vernommen. War er doch nicht allein gewesen? Wurde er gar beobachtet? Vilo wirbelte herum und starrte in das Halbdunkel des Raumes, der jedoch so lang war, dass er unmöglich bis zum anderen Ende schauen konnte. Er lauschte, doch er konnte nichts mehr hören. Hatte er sich getäuscht? Ihm sein Schuldbewusstsein einen Streich gespielt?

      Da! Wieder ein Geräusch. Eine Art Schlurfen. Vilo machte ein paar Schritte in den Raum hinein. Sein Herz pochte bis unter die Schädeldecke. Er spürte, dass er trotz der Kälte zu schwitzen begann.

      Doch da war Jemand. Deutlich konnte er die beiden Rinderhälften sehen, die sich an ihren stählernen Haken hin und her bewegten, gerade so, als hätte sie Jemand beiseite gedrückt.

      Vilo bekam Angst. Niemand durfte ihn hier entdecken, sonst würde er auffliegen. Und das wäre für ihn, aber vor allem für seine Familie eine schlimme Katastrophe.

      Doch schon konnte er den Schatten sehen, der sich hektisch durch die Rinderhälften zwängte, um die Flucht zu ergreifen. Vilo wusste, er durfte das nicht zulassen.

      Instinktiv hechtete er vorwärts, huschte um die Rinderhälften herum, kam dem Schatten näher, hörte seine Schritte, seinen Atem. Und dann machte der Fremde einen Fehler, wollte nach links ausbrechen, genau in dem Moment, da auch Vilo nach links sprang. Fast wären sie übereinander gestolpert, wenn ihre Körpermaße nicht so unterschiedlich gewesen wären, denn Vilo, der die Situation als Erster realisierte und blitzschnell reagierte, musste überrascht feststellen, dass er einen halbwüchsigen Jungen von vielleicht zwölf Jahren mit wilder, blonder Lockenpracht am Arm gepackt hielt.

      „Was zum Teufel machst du hier?“ rief Vilo, wobei er sich jedoch bemühte, seine Stimme nicht allzu sehr zu erheben.

      Der Junge starrte ihn mit großen, entsetzten Augen an und machte Anstalten, zu schreien. Während er versuchte, sich loszureißen, stiegen ihm Tränen in die Augen.

      „Sei still!“ Vilo schüttelte den kleinen Mann einmal kräftig durch und schaute ihm direkt in die Augen. Der Junge verstummte und erstarrte. „Wer bist du? Und was tust du hier?“

      Wenn der Junge ihm wirklich eine Antwort geben wollte, so erübrigte sie sich in dem Moment, da ihm wie auf Stichwort ein Paket aus der Jacke rutschte und zu Boden klatschte. Der Junge atmete erschrocken ein und starrte darauf hinab. Vilo wusste bei seinem Anblick sofort, was es war, denn er selbst trug zwei ähnliche Pakete bei sich.

      „Du bist ein Dieb!“ stellte Vilo emotionslos fest. So wie ich, fügte er stumm hinzu. Sofort überkam ihm Mitleid. „Ist der Hunger so groß?“

      Der Junge schaute ihn zunächst verwirrt an, dann nickte er.

      „Für wen soll das sein?“ fragte Vilo sanft und hockte sich vor ihn. „Nur für dich?“

      Der Junge schüttelte den Kopf.

      „Für Mama?

      Der Junge nickte.

      „Und für Papa?“

      Wieder nickte er.

      „Und für deinen kleinen Bruder?“

      Jetzt schüttelte der Junge den Kopf. „Für meine beiden Schwestern!“ erklärte er mit fester Stimme. „Sie sind krank und brauchen gutes Essen!“

      Vilo wäre beinahe lang hingeschlagen und er hatte Mühe, nicht aufzuschreien. Verdammt, dieser Junge beging aus Liebe zu seiner Familie eine Straftat. Wie bekannt ihm das doch vorkam.

      Und er wusste sofort, dass er den Jungen dafür nicht verurteilen oder verdammen durfte. „Wie bist du hier hereingekommen?“ fragte er deshalb.

      Der Junge drehte sich halb herum und deutete in den hinteren Bereich des Raumes. Sicher gab es dort irgendwo einen Lüftungsschacht, durch den er gekrabbelt war.

      „Kannst du schweigen?“

      Der Junge schaute ihn unsicher an, dann nickte er.

      Vilo nickte. „Wenn deine Schwestern krank sind, brauchen sie natürliches gutes Essen! Dann ist das hier kein Diebstahl, sondern eine Rettungsmission. Okay?“ Er schaute den Jungen mit großen Augen an und der nickte. Vilo lächelte. „Dann behalten wir das hier einfach für uns!“ Er hob das Stück Fleisch auf und reichte es dem Jungen. „Hier. Und jetzt ab nachhause!“ Er klopfte dem Jungen gegen seine Schulter, doch der rührte sich nicht. Vilo musste kurz grinsen, denn er konnte sich leidlich vorstellen, welche angst in dem Jungen vorhanden war. „Na los!“ versuchte er ihn zu beruhigen.

      Doch schon im nächsten Moment sollte sich alles ändern.

      Denn kaum hatte er seine Worte ausgesprochen, als der ganze Raum plötzlich hell erleuchtet war und zeitgleich die Eingangstür aufgerissen wurde. Vilo spielte für eine kurze Sekunde mit dem Gedanken zu flüchten, doch dann standen schon zwei Uniformierte mit entsicherten Waffen vor ihm und starrten ihn und den Jungen an.

      „Was zum Teufel machen sie hier?“ rief der eine von ihnen verärgert.

      Vilo schaute die beiden mit äußerlich unbewegter Miene an, während er innerlich panisch nach einer Lösung für ihr Problem suchte. Langsam erhob er sich.

      „Commander?“ Die beiden Männer schauten sich verdutzt an.

      Vilo lächelte und nickte. „Ich bin Commander Vilo! Ich…ähm…hatte mich kurzfristig dazu entschlossen, hier eine Inspektion durchzuführen!“ Er grinste kurz.

      „Inspektion?“ meinte der ältere der beiden Soldaten. „Davon weiß ich nichts!“

      „Das war auch beabsichtigt!“ erklärte Vilo. „Ich habe die Inspektion nicht angekündigt! Na, ja, auf jeden Fall...!“ Vilo atmete einmal tief durch. „...habe ich dann hier ein Geräusch vernommen


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