Liebe, rette mich!. Kilda Cirus

Liebe, rette mich! - Kilda Cirus


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Moment ist, den Grischa gefürchtet hat. Die Männer erscheinen im Bus, sie sind kräftig gebaut, haben zu viel Fett auf den Knochen, trotzdem wirken sie nicht träge. Sie laufen schnellen Schrittes durch die Reihen. Ich wende den Blick ab und versuche, ausdruckslos vor mich hinzustarren. Doch mein Herz klopft so stark, meine Arme zittern. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie einer der Männer näher kommt. Ich halte die Luft an. Er bleibt kurz vor mir stehen und greift die Frau, die vor mir sitzt, am Oberarm. Sie schreit auf und will sich abschütteln, aber er zieht sie mühelos vom Sitz hoch, wie eine Pflanze, die man aus der Erde reißt. Ich versuche wieder, stoisch vor mich hinzublicken, aber es ist zu spät. Gleich darauf packt er meinen Arm. Ich wehre mich nicht. Ich will wenigstens jetzt so tun, als ob mir alles egal ist. Was soll ich gegen diese Männer ausrichten? Rein körperlich kann ich ihnen nichts entgegensetzen. Der Griff des Mannes um meinen rechten Oberarm ist schmerzhaft. Er drückt mit roher Gewalt die Muskeln zusammen und zieht mir den Arm seitlich nach vorn, so dass sich meine Schulter verdreht und ich hinter ihm her stolpere. Er zerrt mich weiter, aus dem Bus heraus, die drei Stufen zum Boden springe ich hinab, weil der Mann so große Schritte macht, dass ich ihm nicht folgen kann. An der Tür steht Grischa. Auf seinem Gesicht erhasche ich einen traurigen, hilflosen Blick, allerdings nur kurz, dann ist sein Ausdruck wieder verhärtet. Der Mann schleift uns weiter.

      Draußen riecht die Luft nach Abgasen, vor allem nach Diesel, nach Zigaretten, nach Bier, Exkrementen und nach Rauch, so höllisch, dass ich sofort huste. Es riecht nach verbranntem Gummi. Der Magen wird zum altbekannten Stein in meinem Bauch und schmerzt. Die Frau neben mir versucht wie wild, sich loszureißen. Sie schreit mich an:

      „Mach doch mit! Zusammen kann er uns nicht halten. Dann rennen wir einfach weg! Los, mach mit!“

      Ich sehe sie nur an, als ob sie nicht mehr bei Sinnen ist. Wohin will sie denn rennen? Ich blicke mich um und entdecke nicht einen Menschen, der mir auf irgendeine Art und Weise vertrauenswürdig erscheint. Ich fürchte mich vor jeder dieser Gestalten. Hysterisch wirft sich die Frau mit ihrem ganzen Körper nach unten. Der Mann verringert kurz sein Tempo, überlegt es sich dann aber anders und schleift die Frau wie einen Sack hinter sich her. Wild kreischend und mit Tränen überströmtem Gesicht versucht sie aufzustehen. Ich sehe dem Mann in die Augen. Er schaut mich abfällig an. Schnell senke ich meinen Blick, er fällt wieder auf die Frau, ich versuche, langsamer zu laufen und den Mann auszubremsen, damit sie aufstehen kann. Da stoppt der Mann plötzlich, so dass ich unvermittelt durch seinen harten Griff einen Schmerz in der Schulter spüre, als er mich am Arm zurückreißt. Ich beiße mir auf die Zunge, damit ich nicht laut schreie. Die Frau steht sofort auf, als sie merkt, dass der Mann hält. Kaum ist sie aufgestanden, rennt er weiter und schleppt uns mit sich. Ich sehe wieder nach vorn, sehe die Menschen, die auf dem Platz stehen. Einige verfolgen uns mit ihren Augen und lachen, andere schreien uns etwas auf Russisch zu und machen obszöne Gesten dabei. Ich nehme die Gesichter nicht wahr, mein Herz schlägt in meinen Ohren und ich höre sehr schlecht. Ich sehe einzelne Menschen, herausgestellt aus ihrem Hintergrund, aber ich kann sie nicht zuordnen. Eine Frau in einem roten, sehr tief dekolletierten Kleid, die mich süffisant anlächelt. Einen Mann in einem dunklen Anzug, der mich abschätzig mustert. Die zwei Männer vor uns, die mit ebenso brutaler Gewalt jeweils zwei Frauen an den Armen gepackt halten und sie, obwohl die Frauen nach ihnen treten und sich wild hin und her werfen, einfach weiter zerren.

      Sie schleifen uns in ein Haus. Der erste Mann öffnet die Tür mit einem Fußtritt und verschwindet im Dunkeln, der zweite folgt ihm. Auch der Mann, der mich und die andere Frau festhält, strebt auf die offene Tür zu. Er tritt durch den Türrahmen und sofort ist es dunkel. Draußen hat die Sonne geschienen und nun gewöhnen sich meine Augen sehr langsam an dieses muffige ockerfarbene Licht, das von kleinen Lampen an der Decke kommt. An der linken Wand führt eine Treppe nach oben, auf die wir zusteuern. Mit einer Bewegung befördert der Mann die Frau, die er mit dem rechten Arm hält, vor sich und schiebt sie auf die Treppe zu. Mich zerrt er hinter sich her. Die Frau stolpert immer wieder, ebenso wie ich, als wir die Treppe nach oben geschoben werden. Die Treppe ist sehr schmal. Weil wir zu dritt hochsteigen, stoße ich mich bei jeder Stufe schmerzhaft an der Wand, wenn mich der Mann zwischen sich und der Wand einklemmt. Durch die Schaukelbewegung und die sich immer noch umher werfende Frau fällt er regelmäßig gegen mich. Dann sind wir oben. Vor mir ist ein langer Korridor, von dem mehrere Türen abgehen. Der erste Mann mit den zwei Frauen ist verschwunden, der andere schließt gerade eine Tür, zieht die Frau im Griff seiner linken Hand zur nächsten Tür, tritt sie auf und stößt die Frau in den Raum. Er verriegelt die Tür und kommt uns entgegen. Sein Gesicht ist ohne Ausdruck, er sieht mich an wie eine Ware, deren Preis er schätzt. Von oben nach unten gleitet sein Blick, als müsse er meine Stärken und Schwächen beurteilen. Der Mann, der mich die Treppe hoch schleifte, zerrt an meinem Arm. Wir sind an der Reihe. Vor einer Tür auf der linken Seite des Korridors macht der Mann Halt, tritt sie auf und stößt mich hinein. Sofort schließt er die Tür hinter mir, am Geräusch des Schlosses höre ich, dass er sie verriegelt. Ich drehe mich um. Der Raum ist ebenso dunkel wie das Haus. Es riecht muffig, so staubig, dass ich flacher atme. Der Raum hat keine Fenster. Es steht nur ein Bett im Zimmer. Es ist nicht groß und schon aus der Entfernung sehe ich, dass es völlig durchgelegen ist. Ich höre, wie die Tür geöffnet wird, und drehe mich um. Ein fremder Mann kommt ins Zimmer, schließt die Tür und sieht mich mit lüsternem Blick an. Er ist sehr groß und schlank, seine breite Stirn glänzt fettig. Er sagt etwas auf Russisch, es klingt drohend. Ich verstehe ihn nicht. Er nähert sich mit seltsamer Gelassenheit. Ich bin völlig aufgewühlt und mein Herz rast, während sich der Mann sehr langsam bewegt. Jetzt steht er vor mir. Ich lege den Kopf in den Nacken, um sein Gesicht zu erkennen, auf dem sich deutlich Falten abzeichnen, die seiner jugendlichen Gestalt widersprechen. Nochmals sagt er etwas auf Russisch und deutet auf mein Shirt. Ich spiele, als ob ich nicht wüsste, was er will, zucke mit den Schultern. Plötzlich packt er mich am linken Arm, zieht ihn nach hinten und greift nach dem rechten. Mit Leichtigkeit und ungerührtem Gesichtsausdruck hält er meine Arme hinter meinem Rücken mit einer Hand zusammen. Mit der freien Hand greift er mir an die Brust. Dann fängt er an, seine Hose zu öffnen, streift sie nach unten und steht mit erigiertem Glied vor mir. Meine Gedanken rasen, aber mir fällt nichts ein. Aus irgendeinem Grund fange ich an, schallend zu lachen, und höre nicht mehr auf. Erst bin ich überrascht über mein eigenes Lachen, es klingt völlig fremd in meinen Ohren, doch dann berausche ich mich an diesem irrsinnigen Gegacker und lache lauter. Der Mann ist verwirrt, verliert seine Erektion, schlägt mir mit der Hand ins Gesicht. Mein Kopf fliegt zur Seite, aber ich richte mich schnell wieder auf, sehe ihm in die Augen und lache weiter. Er flucht und rennt aus dem Zimmer, einen Namen schreiend. Ich hole Luft. Damit ich meine Tarnung nicht aufgebe, lache ich von Neuem, erst prustend, dann laut und klar, dass es von den Wänden schalt wie das Lachen einer Wahnsinnigen. Der Mann, der mich aus dem Bus geschleppt hat, kommt in das Zimmer, schlägt mir ins Gesicht. Mein Kopf dröhnt und ich stolpere zur Seite, kurz schnappe ich nach Luft und mein irres Lachen verstummt. Doch der Aufschrei, der sich durch meine Lippen pressen will, zwingt mich wieder zum Lachen. Denn Schreien werde ich nicht. Schon zerrt der Mann mich am Arm nach vorn, spuckt mir ins Gesicht, reißt wieder an meinem Arm und verlässt, mich hinter sich herziehend, ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Schmerzhaft bohrt er seine scharfen Fingernägel in meinen Unterarm, als er mich die Treppe nach unten zerrt und mich zum Bus zurückschafft. Vor Erleichterung riecht sogar diese Luft in meiner Nase gut, obwohl sie vor zehn Minuten so gestunken hat, dass mir übel wurde. Der Mann rennt fast zum Bus, meine Beine können kaum folgen, aber es ist mir egal. Jetzt lache ich aus wirklichem Glück heraus, nicht mehr laut und schallend, aber stetig und froh. Die Sonne ist ein Geschenk, welches mich mein Leben lieben lässt wie selten zuvor. Hier im Licht ist das Leben und einem Tod bin ich in der Finsternis dieses Hauses entgangen. Schon sind wir am Bus, die Tür wird geöffnet, der Mann gibt mir einen Stoß, ich stürze auf die Treppen, direkt zu Füßen Grischas, der in diesem Moment den Bus verlässt. Ich stehe auf, sehe Grischa an, zucke zusammen, denn hinter mir schreit der Mann in einer Lautstärke, dass mir die Ohren schmerzen. Für einen Sekundenbruchteil leuchten Grischas Augen, ehe er mir so brutal ins Gesicht schlägt, dass es sich anfühlt, als sei die Wange aufgeplatzt. Ich stürze auf den Boden und Tränen überschwemmen meine Augen. Grischa reißt mich am Arm hoch und stößt mich die Stufen des Busses hinauf. Blind folge ich seiner Drangsal, bin so taub und benommen, dass ich gar nichts mehr sehe. Ein dichter Nebel ist vor mir, ich fühle nur, wie er mich in einen Sitz drückt und


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