1979 Transit ins Ungewisse. Bernhard Wilhelm Rahe

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werden.

      Das Hinweisschild der Abfahrt, die Grabert nehmen musste, flog vorbei. Nun waren es noch ca. 20 Minuten bis zur Kaserne. Dann würde er sich wieder der erhabenen Stimme des Gesetzes fügen müssen, ob er das nun wollte oder nicht.

      Die Kaserne lag direkt an der Hauptstraße, dort, wo es ein paar Kneipen gab, da, wo sich die Soldaten so manchen Abend amüsierten und vollaufen ließen. So sollte es ja auch sein. Die Kneipenbesitzer freuten sich darüber, dass der Soldat nun mal durstig, einsam, gedemütigt und frustriert vom Dienst im Gelände ihre Kneipe aufsuchte. Dann wurde kräftig mitgeholfen, mit schnell ausgeschenkten Bieren ohne Blume, aber keineswegs voll bis zum Rand, weil ohnehin keiner von den „grünen Blödmännern“ es im berauschten Zustand bemerkte.

      Nachdem der Wachsoldat Graberts Einberufung zur Wehrübung in Augenschein genommen – und irgendetwas in sein Buch gekritzelt hatte, deutete er auf ein graues Gebäude:

      „Dort müssen Sie sich erst einmal melden, der Spieß wird Sie dann schon in Ihre Dienststelle einweisen. Also dann, viel Spaß. Sie können durchfahren.“

      Hinter Grabert senkte sich der Schlagbaum. Dieser rot-weißgestreifte Schlagbaum trennte zwei Welten voneinander. Die Welt, in der man in etwa frei entscheiden, tun und lassen konnte, was man wollte, und die Welt der Hampelmänner und Marionetten, in der alles Befehl war. Das Essen, das Schlafen und einiges andere mehr.

      Der Spieß, mit anderen Worten – „die Mutter der Stabsbatterie“, machte einen sehr höflichen Eindruck. Er zeigte den Neuankömmlingen die Stuben, die Dienst- und Aufenthaltsräume des Gebäudes. Die Kasernenplaner hatten sich Mühe mit der Ausstattung der Räumlichkeiten gegeben. Aber der eigenartige Geruch, der einem Kasernengebäude anhaftet, war auch hier in aller Nase. Zweckmäßigkeit war das Schlagwort.

      „Schließlich ist es ja kein Sanatorium, meine Herren Reservisten“, sagte der Spieß. Er hieß, man staune, Ochsenkopp.

      Mit Grabert war nur noch ein anderer Reservist zur Übung beordert worden. Also musste etwas Besonderes hier in den nächsten Tagen stattfinden.

      „Sie haben bis 12.00 Uhr Zeit, Ihre Sachen einzuräumen. Nach dem Mittagessen, sagen wir um 13.15 Uhr, melden Sie sich bei mir, in „grün“, mit tadelloser Arbeitsuniform. Ihre Stube haben Sie ja gesehen, Sie kennen das ja noch von Ihrem Grundwehrdienst.“

      Der Spieß machte auf dem Absatz kehrt und verschwand hinter einer der vielen Türen des Verwaltungstraktes.

      Grabert verstaute seine Kleidungsstücke in einem Holzschrank, einem Spint ähnlich, der ein sogenanntes „Privatfach“ zum Verschließen aufwies.

      Jemand tippte ihm auf die Schulter.

      „Hey, Kumpel, ich soll die Bude hier mit Dir teilen. Übrigens, ich bin Erich Haake und komme aus Dortmund.“

      „Freut mich, ich dachte schon, ich wäre der Einzige, den man zu dieser Übung eingeladen hat.“ Grabert deutete auf das Bett neben dem Fenster: „Wenn Du willst, kannst Du hier schlafen. Übrigens, ich heiße Martin Grabert und komme aus Bremen.“

      Erich kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf. „Na, dann wollen wir mal sehen, was die mit uns vorhaben. Die schrieben irgendwas von einer Natoübung. Ich hab eher den Eindruck, die wollen uns verscheißern. Vielleicht wollte man uns nur mal daran erinnern, dass wir noch unter dreißig sind und als Reservisten rangeholt werden können.“

      „Glaubst Du? Es gibt doch noch jüngere Reservisten als uns. Ich versteh nur nicht, dass man uns mit zwei Mann zu einer Reserveübung einberuft. Irgendwas ist da faul oder wenigstens undurchsichtig.“

      „Was soll's“, sagte Erich, „mir ist das ziemlich schnuppe. Die zwei Wochen bekommen wir schon rum. Übrigens, spielst Du Skat?“

      „Ja, schon, aber nicht besonders gut. Ich glaube, wir geh'n mal rüber zur Kantine, es ist schon nach 12.00 Uhr.“

      Schon von außen roch man, dass es Königsberger Klopse in Kapernsoße gab.

      Im Speisesaal für Rekruten und Soldaten der unteren Dienstränge herrschte viel Betrieb. Das Klappern der Teller und Essbestecke vermischte sich mit dem Gemurmel der hungrigen Männer.

      Grabert war sich nicht mehr bewusst darüber, welchen ohrenbetäubenden Lärm so um die fünfhundert Essbestecke im Gebrauch verursachen konnten. Eine gigantische hungrige Maschine, die pro Tag ca. 250 Pfund Kartoffeln und 100 Pfund Fleisch vertilgte, zubereitet in riesigen Kübeln, von Kochmaschinen, nicht von Menschenhand.

      Das Essen, das zurückging, wurde dann jeden Tag von einem Bauern abgeholt, der es seinen Schweinen zukommen ließ. Grabert ließ nur die Kapern zurückgehen, denn die mochte er nicht. Zum Nachtisch gab es Schokoladenpudding mit Vanillesoße.

      „Na, wie war das Essen?“, fragte Erich und fing zu grinsen an. „Hoffentlich hat der Küchenbulle heute gute Laune gehabt.“

      Grabert musste lachen, denn er kannte die Geschichte vom Küchenchef, dessen Essen, wenn er schlecht gelaunt war, immer etwas seltsam schmeckte. Einige, die die Geschichte zum ersten Mal hörten, glaubten dann wirklich, dass ein seltsamer Geschmack in der Speise sei. Im Grunde genommen war es nur die eigene Fantasie, die ihnen dann einen Streich spielte. Allmählich Ieerte sich der große Speisesaal, jedoch der Lärm, das Geklapper von Tellern und Essbestecken, nahm eher zu. Jetzt schienen die Spülmaschinen ihre Arbeit aufzunehmen. Grabert verabscheute Großküchen, in denen alles nach einem sturen, lieblosen Plan abzulaufen schien.

      Der Spieß, das war Hauptfeldwebel Kellermann, schaute auf die Uhr, als Grabert und Haake im Dienstzimmer erschienen.

      Er verzichtete auf die stramme Haltung, die generell in Kasernen den Vorgesetzten gegenüber verlangt wurde. Freundlich deutete er auf zwei einfache Holzstuhle, die um einen kleinen runden Tisch herumstanden.

      Kellermann war an die fünfundvierzig Jahre alt, er hatte ein freundliches Gesicht, in dem zwei intelligente, forschende Augen saßen. Zwei Augen, denen offenbar nichts entging.

      „Bitte, nehmen Sie Platz. Sie müssen wissen, wir wollen Sie nicht einem zweiwöchigen Drill oder einer allgemeinen Übung unterziehen, wie es von Ihnen sicher angenommen wird. Sie nehmen, ohne es zu wissen, einen besonderen Status ein. Ich meine damit nicht den eines Reservisten, sondern vielmehr den eines Sonderbeauftragten der Bundeswehr.“

      Keiner der beiden jungen Männer hatte auch nur eine Ahnung, worum es sich handeln könnte, warum die Uniformierten so lange mit dem eigentlichen Grund der Einberufung hinterm Berg blieben.

      Was sollte diese verdammte Geheimnistuerei?

      Weder Grabert noch Haake hatten in ihrer Wehrzeit etwas Besonderes in der Bundeswehr geleistet. Keine Großtaten waren im Wehrpass eingetragen.

      Der Grund: Jeder dieser beiden jungen Männer hatte etwas mit dem anderen gemeinsam. Sie hatten weder eine Familie, noch waren sie an jemanden fest gebunden.

      Hauptfeldwebel Kellermann trat von seinem Schreibtisch an das Fenster heran und schaute auf den Kasernenhof, dort, wo jetzt die Nachmittagssonne die Luft flimmern ließ. Er machte ein nachdenkliches Gesicht, schien nach genau abgewogenen und geeigneten Worten zu suchen, um sein Anliegen bzw. das der Bundeswehr vorzubringen.

      Dann wandte er sich entschlossen vom Fenster ab und sagte:

      „Also, machen wir's kurz. Sie sollen uns, das heißt unserem Land, ihrem Land, einen Dienst erweisen, der etwas delikat ist. Warum wir gerade auf Sie gekommen sind, ist eine lange Geschichte. Wie Sie vielleicht wissen, sind wir im Besitz sämtlicher möglicher Daten über Ihre Lebensweise, Ihren Beruf, Ihre Freunde, Ihre finanziellen Verhältnisse usw. Das sind nur kleinere, ja, beinahe unwichtige Fakten, über die wir informiert sind. Eines jedoch ist sehr wichtig für uns – und ebenso ein Bindeglied zwischen Ihnen beiden.“

      Kellermann deutete auf eine messingähnliche, mit reliefartigen Verzierungen versehene Schachtel.

      „Bitte, wenn Sie rauchen wollen.“

      Grabert nahm eine von den Filterzigaretten, obwohl er das Rauchen vor zwei Jahren aufgegeben hatte.

      Kellermann


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