1979 Transit ins Ungewisse. Bernhard Wilhelm Rahe

1979 Transit ins Ungewisse - Bernhard Wilhelm Rahe


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anschaute. Er sah aus wie ein Kind, das ein neues Spielzeug bekommen hatte und nicht genau wusste, was es damit anfangen sollte.

      „Herr Strohdt, haben Sie noch andere Dinge, die wir eventuell noch nicht angesprochen haben?“

      „Wie bitte, äh nein, nein, ich habe im Moment auch nichts mehr.“

      „Okay“, sagte Kellermann, „dann können wir für heute Schluss machen, es sei denn, Ihnen, Herr Grabert oder Herr Haake, ist noch etwas unklar.“

      „Unklar eigentlich nicht“, meinte Grabert, „nur, wie kommt es, dass man die Dosen schütteln kann, ohne dass ein harter Gegenstand von innen an die Wandung schlägt?“

      Strohdt lächelte, sein Gesicht bekam viele kleine Lachfältchen.

      „Das ist denkbar einfach, wir haben die Teile durch ein entsprechendes Gestell aus Kunststoff arretiert, Sie sehen, auch hier eine unkomplizierte, aber dennoch äußerst sichere Lösung. Haben Sie noch Fragen, Herr Haake?“

      „Nein, ich meine, es ist alles klar. Nur möchte ich Sie bitten, noch einmal zur Sicherheit zu rekapitulieren.“

      „Selbstverständlich, also.“ Strohdt bekam augenblicklich ein ernstes Gesicht, und seine noch eben freundlichen Züge verhärteten sich.

      „Sie wissen, wo es hingeht, nach Polen. Sie fahren auf der Ihnen bekannten Transitstrecke über Forst, ohne große Pausen zu machen. Der Zeitplan muss streng eingehalten werden. Wenn unterwegs Schwierigkeiten, gleich welcher Art, eintreten, so enthebt Sie das nicht Ihrer Pflicht, die Lebensmittel zum Ziel zu bringen. In Krosno angekommen wird man Sie mit atemloser Spannung und Freude erwarten. Ich meine damit die Bewohner und auch den zuständigen Priester, dem wir im Grunde genommen die Möglichkeit verdanken, diese wichtigen Ersatzteile ohne Gefahr dort abzuliefern und vorübergehend zu lagern. Er heißt im Übrigen Pater Smolny. Er wird Sie gastfreundlich bei sich aufnehmen wollen, aber ich bitte Sie, diese Freundlichkeit nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen, denn Sie sollten nach Übergabe der Ladung wieder losfahren.“

      „Und wer ist dieser Kontaktmann, von dem Sie eigentlich noch nichts erzählt haben?“, fragte Grabert.

      Kellermann drückte seine Zigarre im Ascher aus.

      „Also, es hat schon seine Gründe, dass wir Ihnen nichts Näheres über diesen Kontaktmann gesagt haben, denn wir wissen zurzeit selbst nicht, wo Sie diesen Mann treffen. Es ist so verabredet, dass er sich Ihnen zu erkennen geben wird. Es wird schon alles nach Plan verlaufen, glauben Sie mir. Ihr Auftrag ist dann erfüllt, wenn die Ladung am Bestimmungsort eingetroffen ist. Wenn unser Mann Sie nicht anspricht, ist das auch in Ordnung, er wird in jedem Fall da sein, wenn Sie ankommen.“ Das Gespräch war beendet.

      Die Nacht war unerträglich heiß, weder Grabert noch Haake konnten schlafen. Unten auf dem Kasernenhof schienen ein paar angetrunkene Soldaten zu gehen. Man konnte deutlich ihre Iallenden Stimmen hören. Wer sich in einer solchen heißen Nacht das Bier mit Genuss einverleibte, der konnte sicher gut schlafen.

      Grabert erhob sich aus seiner Pritsche, er war hellwach, aber dennoch völlig erschlagen. Langsam stieg er in seine Jeans, zog ein T-Shirt über. Er machte sich auf, um zur Kantine zu gehen. Noch war es vor Mitternacht, so ergab sich die Möglichkeit, ein oder zwei Biere zu trinken.

      Vor der Tür, am Ausgang aus dem Kasernengebäude, war das Glashaus für den Unteroffizier vom Dienst. Der diensthabende Obergefreite saß, von der Wärme angeschlagen, scheinbar verkniffen vor einem Kreuzworträtsel aus irgendeiner zweitklassigen Tageszeitung. Er merkte gar nicht, dass Grabert das Gebäude verließ, was aber durchaus in Ordnung war. Erst das Klappen der Tür ließ den jungen Soldaten aus seinen angestrengten Überlegungen hochschrecken. Er schaute kurz aus dem Fenster und wandte sich dann wieder seinem Rätsel zu, mit dem er vermutlich einige Probleme hatte.

      Grabert ging an den langen Kasernengebäuden vorbei, die ebenso soldatisch wie die Munitionskisten am Straßenrand angeordnet waren. Die Fenster der langen Fassaden hatten irgendetwas mit einem Raster oder Schachbrett gemein. Man sah jetzt in der Finsternis nur dunkle und helle Flecken.

      Ein wachhabender Soldat ging gelangweilt an Grabert vorbei. Er schien sichtlich angewidert von seinem nächtlichen Rundgang. Während die anderen die Halben stemmten, musste er mitten in der Nacht, mit dem G3 auf dem Rücken, über den noch warmen Asphalt stampfen.

      Grabert betrat die verräucherte Soldatenkantine, in der man die Luft mit einem Messer hätte zerteilen können. Er holte sich ein kühles Bier vom Tresen und setzte sich an das Wagenrad, welches man, mit einer großen Kunststoffplatte abgedeckt, als Tisch benutzte. Hinter der Theke stand der Kantinenwirt. Der wischte immerfort mit einem Tuch über den Tresen. Er bereitete sich schon auf seinen lang ersehnten Feierabend vor.

      „Feierabend“, rief er zu Grabert hinüber. „In acht Minuten geht hier das Licht aus. Wenn Sie noch einen trinken wollen, dann holen Sie sich 'ne Dose, der Flipperraum wird nicht abgeschlossen.“

      „Nein, ist schon gut.“

      Grabert stellte das leere Glas auf den Tresen und bezahlte. „Also dann, schönen Feierabend.“

      Der Wirt nickte flüchtig und klapperte mit seinem großen Schlüsselbund beim Abschließen der Hintertür.

      Es war immer noch unerträglich warm. Grabert spürte jetzt ein wenig Müdigkeit und beschloss, schlafen zu gehen. Immerhin sollte der nächste Tag weitere Erläuterungen bringen, die für das Unternehmen von Bedeutung sein würden.

      Leise öffnete Grabert die Tür. Schon ein kleiner Spalt machte deutlich, dass Haake tief schlafen musste. Er schlummerte wie ein Stein und schnarchte, damit machte er nichts falsch. Wichtig für das Gelingen des Unternehmens war Klarheit, ein absolut ausgeschlafener Kopf.

      Das Bett war schlecht, wie sich jetzt erst herausstellte. Insofern hatte Grabert keine gute Nacht.

      In zwei verdammten Wochen würde sich dieser Mann aus der Gesellschaft freikaufen. Raus aus jenem gierigen, arroganten Gewerbe, in dem jeder gegen jeden kämpfte und opponierte, um seine Interessen durchzusetzen. Grabert war sich plötzlich gar nicht so klar darüber, wie eingefahren auch er lebte und wie sehr seine Wünsche ihn dazu antrieben, Dinge zu tun, die er nicht hinterfragte, dessen Konsequenzen er ausblendete. Drehte er sich nicht auch wie ein kleines unwissendes Rädchen im großen Getriebe, welches Kapitalismus hieß?

      Wer den kompletten sinnlosen geistigen und materiellen Ballast konsumieren wollte – konform mit den Glaubenssätzen des Systems war, wurde integriert. Wer nicht mitmachte, sollte möglichst rasch ausgestoßen oder abgesondert werden.

      Bei diesen kritischen Gedanken döste Grabert noch ein wenig und dachte an die nächsten Tage, an die kommenden Wochen, was sie ihm bringen würden. In zwei Wochen sollte seine Brieftasche prall mit Geld gefüllt sein. Er schlief endlich ein – und die Nacht war kurz.

      „Hey, wachen Sie auf“, rief der Unteroffizier vom Dienst und klopfte nicht gerade zaghaft von außen gegen die Türfüllung. Haake war ein ausgesprochener Morgenmuffel.

      „Was ist denn los? Verdammt! Kann man als Reservist noch nicht mal bis sieben Uhr schlafen?“, murmelte er vor sich hin.

      „Ich habe Befehl, Sie um sieben Uhr zu wecken und Ihnen zu sagen, dass Sie beide um acht Uhr im Staabsgebäude, Zimmer 38, erscheinen sollen.“

      „Ja, schon gut, wir sind jetzt wach.“

      Der UVD entfernte sich wieder, seine Schritte hallten durch den langen Flur.

      Grabert drehte sich schlaftrunken auf die Seite und versuchte, seine müden Glieder zu strecken.

      „Wer war denn das?“, fragte er und schaute zu Haake hinüber, der sich an seinem Spind zu schaffen machte.

      „Ach, das war dieser blöde Kerl von UVD. Die hab ich schon damals nicht ausstehen können – diese Kobolde. Wir sollen um acht Uhr im Stabsgebäude sein, ich schätze, es wird langsam ernst.“

      „Ja, hab's mitbekommen, Zimmer 38 oder so. Na ja, was soll's, ich mach mich jetzt auch frisch.“

      Der


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