Das schmale Fenster. Friedrich Haugg

Das schmale Fenster - Friedrich Haugg


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      Das schmale Fenster

      Ein Wirtschaftsthriller

      von Friedrich Haugg

      Impressum

      Das schmale Fenster

      Friedrich Haugg

      copyright: © 2013 Friedrich Haugg

      published by: epubli GmbH, Berlin

      www.epubli.de

      ISBN 978-3-8442-5365-8

      für Katharina

      Eins

      Halb neun. Um diese Uhrzeit bestand Martin lediglich aus einer körperlichen Hülle, die so aussah wie Martin. Sein mentaler Zustand ließ nur den aufrechten Gang zu und den freundlich unverbindlichen Gesichtsausdruck, passend zu seinem Gesamtbild: Grauer Anzug, hellblaues Hemd und feine Streifenkrawatte in Missonifarben. Das bühnenreife Erscheinungsbild sorgte dafür, dass vieles verborgen blieb, was aus Gründen der friedlichen Koexistenz auch besser verborgen bleiben sollte.

      Den Kristallpalast betrat er wie immer durch die automatische Drehtür. Die Seitentüren waren um diese Zeit zwar offen, aber es war ihm eine liebe Gewohnheit, den kleinen Geist in der Türautomatik aufzuwecken, der sich ewig folgsam bemühen musste, die schwere Tür ächzend in Drehung zu versetzen. An der Rezeption strahlte ihn das Douglas-Lächeln von Sonja an, oder hieß sie Sandra oder Sofia oder gar Sarah. Nur mit dem S am Anfang war er sich sicher. Das Lächeln fühlte sich so an, als ob es ihm persönlich galt. Er wusste es besser. Es war für jeden da und vollendet standardisiert. Es musste eine strenge Richtlinie dafür existieren, wahrscheinlich von Heidi Klum. Er erwiderte das Lächeln im Rahmen seiner augenblicklichen Möglichkeiten und ging vorbei an den Drehkreuzen, die auch offen waren, um die Heerscharen der grau gekleideten Damen und Herren staufrei durchzulassen. Sie waren tatsächlich alle mehr oder weniger grau, eine Art Schuluniform. Bei Siemens war die Firmenfarbe so ein leichtes, fades Taubenblau, bei IBM strenges, dunkles Preußischblau.

      Angesichts der Menschenmenge stellte er zum wiederholten Male fest, dass er keine Ahnung hatte, was diese vielen Leute eigentlich machten. Der zehnstöckige Palast war ausgefüllt mit Büroräumen, während seine Labors im kleineren Nebengebäude untergebracht waren. Ein nicht unerheblicher Teil der Büros war von Menschen bevölkert, die sich durch besonders ausgesuchtes Grau hervorhoben. Die Kostüme und Anzüge waren wie die feinen Schuhe edle Markenware, die Gesamterscheinung einschließlich der Frisur äußerst gepflegt und immer auf dem Stand der aktuellen Outfit-Trends. Ein Hauch von Coolwater schwebte über ihnen. Unvermeidlich, das Wischtelefon in der linken Hand. Das war die Abteilung Finanzen und Controlling. Diese Leute zeichneten sich dadurch aus, dass sie den anderen immer ihre neuesten Apps vorführten. Nicht nur die Wortschöpfung hasste Martin. Apple warb mit mehr als 700.000 'Apps' und es wurden täglich mehr. Das bedeutete acht volle Jahre Arbeitszeit, nur um alle zu sichten. Brillant allerdings die Idee von Apple, die Eitelkeit der Menschen auszunutzen und sie die Entwicklungen machen zu lassen, ohne die ihre Geräte völlig wertlos wären. In den Apps steckten, so schätzte er, mehr als vier Milliarden Euro Aufwand, nicht nur kostenlos für Apple und Co., sondern sie verdienten damit bei jedem Download auch noch Geld. Diese Interpretation der 'swarm intelligence' fand Martin sehr belustigend. Wie dumm müssen die Menschen eigentlich sein, dieses System nicht zu durchschauen? Am besten noch fand Martin die Anwendung, bei der das Smartphone zum Bierglas umfunktioniert wurde und man es durch Kippen geräuschvoll virtuell austrinken konnte. Das war für ihn wahrer Humor, weil hier die Versprechungen der virtuellen Realität auf simpelste Weise demaskiert wurden.

      Sean hatte ihm auf einer reichlich alkoholisierten After-Work-Party, in der Schweiz hieß dieses tägliche Pflichtvergnügen Apero, hinter vorgehaltener Hand kichernd mitgeteilt, dass der größte Teil der Gewinne durch Finanzgeschäfte erzielt werde. Dass seine Leute so eine Art Bank in der Firma seien. Die ganzen Chemiker, Physiker und Ingenieure würden sie sich nur als teures Hobby leisten. Es gäbe auch einen richtigen Trading-Room mit allem, was die Computertechnik zu bieten habe. Martin erinnerte sich, dass er unangenehm berührt war. Es verletzte seinen Ehrgeiz, dass Gewinne mit schnödem Spekulieren auf beliebigen Finanzmärkten erzielt wurden und nicht mit dem, wofür die Firma stand. Aber das würde sich ja von nun an ändern.

      Der gläserne Außenaufzug, der ihn wie eine Bergbahngondel auf den Gipfel des Palasts schweben ließ, bereitete ihm ein erstes, kleines gutes Gefühl an diesem Tag. Der Ausblick war atemberaubend. Ein blitzblanker Himmel, vom Morgenlicht magisch illuminiert der Gipfel des Pilatus und zu seinen Füßen die Luzerner Bucht mit dem ruhigen, dunklen Wasser des Vierwaldstätter Sees, auf den ein paar kleine Boote lange Striche malten, wie Kondensstreifen am Abendhimmel. Davor die Spielzeughäuser das alten Luzerns.

      Oben angekommen schritt er durch den gläsernen Übergang zum Laborgebäude. Mit einem kleinen Nervenkitzel, weil der Architekt sich den Spaß geleistet hatte, den Boden auch aus durchsichtigem Material zu gestalten. Auf Höhe des zehnten Stockwerks schrumpften die bereits emsigen Menschen und Lieferautos unter seinen Füßen zur Modellanlage. Er kannte einige Kollegen, die es vermieden, allzu oft Termine im Hauptgebäude wahrzunehmen.

      Am Ende war der Zugang ganz und gar nicht mehr offen. Die neue Anlage zur Erkennung der Gesichtszüge, offiziell hieß es biometrisches Zugangskontrollsystem, schien ihm wie immer ziemlich lächerlich und außerdem recht behindernd, weil es doch fast eine Minute dauerte, bis der Computer sich entschied ihn zu kennen. Oder auch manchmal nicht. Dann mussten richtige Menschen kommen, um ihm den Zutritt zu seinem eigenen Reich zu gewähren. Denn als das betrachtete er sein Labor. Er war zwar nur angestellt, aber er identifizierte sich so sehr mit seiner Aufgabe, dass er diese Nebensächlichkeit meist vernachlässigte.

      Die Arbeit war unerfreulich. Ein Meeting reihte sich ans andere, alle waren sie gefüllt mit Menschen, die keinen blassen Schimmer hatten, aber mitreden durften. Er sehnte sich zurück in die Zeit als entwickelt wurde und Gespräche mit anderen Menschen sich auf den Austausch wirklicher Informationen beschränkten. Sie waren kurz vor der Zulassung von NeuroX auf dem weltweiten Markt. Es würde ein OTC-Produkt werden und damit rezeptfrei erhältlich sein. Das 'Over the Counter'-Geschäft versprach Milliardengewinne, mehr als die Finanzspekulanten je erzielen konnten. Und es würden ehrliche Gewinne sein. Man spürte es schon bei den Aktienkursen, die seit einigen Wochen stetig anzogen. Keiner wusste warum, weil alles doch streng geheim war. Die Marketingleute arbeiteten schon monatelang an der Roll out-Strategie und schufen ausgeklügelte Pläne, Filmclips, Jingles und Bilder und redigierten und veränderten die Fachartikel bis zur Unkenntlichkeit, damit die 'message' auch beim gemeinen Volk unmissverständlich und überzeugend ankam. Da wurden, weil die klassische Werbung nicht mehr so wirkungsvoll war, in großem Stil virale Kampagnen geplant. Das nannte sich früher Mundpropaganda, aber nur schlichte Gemüter glaubten, dass die Menschen die Empfehlung an Freunde und Bekannte aus freien Stücken weitergeben würden. Sie wurden vielmehr durch die Marketingmaschinerie konditioniert. Das war so ähnlich wie früher mit dem VW Sharan, der Kampagne, in dessen Folge jede ordentliche Jungfamilie neben zwei Kindern auch noch einen blonden Labrador Retriever besaß.

      Am schwierigsten war wie immer die Zulassung durch die amerikanische FDA, die Federal Drug Administration. Für die mussten nicht nur die klinischen Studien und die Feldversuche dokumentiert werden, sondern der gesamte Entwicklungs- und Produktionsprozess. Viele in der Firma befürchteten, dass damit das Know How veröffentlicht werde und die Konkurrenz über dunkle Kanäle schnell lernen würde, das Produkt selbst herzustellen. Deswegen bemühte sich eine ganze Abteilung darum, den Spagat zwischen Wahrheit und Verschleierung in die Dokumente einzuarbeiten. Heute sollte Martin die aktuellen Ergebnisse der Doppelblindstudie vortragen. Die PowerPoint-Folien dazu hatte er vorher noch nicht gesehen. Aber er konnte sich auf Miriam verlassen. Sie war äußerst zuverlässig und sie wusste, worauf es ihm und überhaupt ankam. Sie hatte in Berlin Biochemie studiert und war bereits zehn Jahre bei Bionik Health. Sie kannte wesentlich mehr wichtige Leute als Martin, was dieser schamlos nutzte. Dass sie außerdem noch gut aussah, sportlich schlank, braun gebrannt, schwarz glänzende, glatte Haare und normannisch wasserblaue Augen, wurde von Martin zwar registriert, aber er zog keine weiteren Folgerungen daraus. In der Firma hatte für ihn das Sexuelle nichts zu suchen. Wichtig war ihm die schon drei Jahre währende vertrauliche und vertraute Zusammenarbeit mit Miriram. Diese moralische Leistung war allerdings nicht


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