Kyla – Kriegerin der grünen Wasser. Regina Raaf

Kyla – Kriegerin der grünen Wasser - Regina Raaf


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Wunsch von den Augen abzulesen. Dass Ihr aber auf die Gastfreundschaft des Hauses verzichten möchtet, das eigens für Euch seit so langer Zeit alles hergerichtet hat, wird man mir übelnehmen.«

      Kyla seufzte. Sie wollte nicht, dass der Wächter sich derart unwohl fühlte, nur weil sie ihre Ruhe haben wollte. Wer wusste schon, wie man ihn dafür bezahlen lassen würde, dass sie ihren eigenen Kopf durchsetzte.

      »Na gut, dann werde ich diese Nacht in der ‘Kriegerin der grünen Wasser’ verbringen«, lenkte sie ein.

      Der Wachmann stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Eine gute Entscheidung – immerhin wurde das Gasthaus ja auch nach Euch benannt.«

      »Das sagtest du bereits«, erwiderte Kyla lächelnd. Der Mann nahm wieder mehr Haltung an, als er bemerkte, dass seine Schultern vor Kummer nach unten gesunken waren. »Erwähnte ich auch, dass man sich dort gut um Euch kümmern wird?«

      »Ja, auch das hast du mir bereits gesagt.«

      »Dann werde ich Euch nun dorthin geleiten.«

      Kyla schüttelte den Kopf. Es fehlte gerade noch, dass er sie wie ein Kind beaufsichtigte. »Bleibe auf deinem Posten, damit ehrliche Neuankömmlinge ebenso freundlich begrüßt werden wie ich. Und damit Übeltäter ferngehalten werden. Ich werde den Weg zu meiner Unterkunft schon selbst finden.«

      Ehe er ihre Worte in Zweifel ziehen konnte, trieb die junge Frau Golan dazu an, sich vom Stadttor zu entfernen und der Straße zu folgen, die ins Zentrum führte. »Ich wünsche Euch einen angenehmen Aufenthalt!«, rief der Wächter ihr nach. Kyla hob die Hand, um ihm mit dieser Geste zu danken. Sie war froh, dass sie in Tritam trotz Golan nicht sonderlich auffiel. In die Stadt kamen viele Reisende zu Pferde. Die meisten von ihnen waren zweifellos wohlhabend. Aber auch die Händler besaßen Pferde, da sie ansonsten ihre Waren nicht über weite Strecken transportieren konnten.

      Kyla blickte sich um, während Golans Hufe auf dem Kopfsteinpflaster klapperten. Die Häuser hier sahen anders aus, als alle, die sie bislang in ihrem Leben gesehen hatte. Sie waren hoch gebaut und hatten viele Fenster, die zum Teil mit Stoff verhangen waren. Kyla wusste, dass in Städten oftmals mehrere Familien ein einziges Haus bewohnten – sie hatte es nur noch nie gesehen. Selbst in dem Dorf, das sich am Fuße zu Parailas Palast erstreckte, gab es nur einzelne Häuser, die vor der Kulisse des viel größeren Bauwerks beinahe so aussahen, als würden sie sich ducken. In Tritam waren die Gebäude um einiges größer und schienen einen Stolz auszustrahlen, der Kyla tatsächlich ehrfürchtig werden ließ. Über den Dächern flogen Vögel, die Kyla noch nie gesehen hatte. Einige von ihnen ließen sich bis auf die Höhe der Fenster hinabfallen und spähten in die Räume, wohl auf der Suche nach leichter Beute, falls jemand Essensreste schnell erreichbar hatte liegen lassen. Kyla konnte sehen, wie einer der Vögel durch ein geöffnetes Fenster ins Gebäude flog und kurz darauf mit einer abgenagten Hühnerkeule wieder herauskam und davonflog. Sein Gefieder schillerte in allen Farben, als das Tier sich auf dem Dach niederließ, um die Beute zu verspeisen.

      »Entschuldigung, wie heißen diese Vögel?« Sie hatte eine junge Frau angesprochen, die mit einem Bündel in den Händen auf der Straße ging. Die Frau sah in die Richtung, in die Kyla deutete.

      »Das sind Glinthas. Davon gibt es hier so viele, dass wir sie nach jedem vollen Mond in Käfigen fangen und verbrennen. Sie sind eine Plage, die uns über den Kopf wächst, wenn wir nicht dafür sorgen, dass sie nicht ständig mehr und mehr werden können.« Kyla nickte verstehend. Vermutlich waren diese Vögel nicht essbar, wenn man es vorzog, ihr Fleisch ungenutzt zu verbrennen. Die junge Frau eilte bereits weiter. Vielleicht war sie es gewohnt, von Fremden Fragen gestellt zu bekommen, und fühlte sich als Stadtbewohnerin von Tritam verpflichtet, sie so gut wie möglich zu beantworten. Sie ließ sich davon jedoch offensichtlich nicht von ihren Pflichten abhalten. Kyla hätte ihr zwar gerne noch weitere Fragen gestellt, aber sie akzeptierte, dass sie dazu kein Recht hatte. Es sei denn, sie würde sich als Kriegerin der grünen Wasser zu erkennen geben ... doch das hatte sie nicht vor. Zumindest auf ihrem Weg zur Unterkunft wollte sie noch unerkannt bleiben und das Stadtleben möglichst unauffällig beobachten.

      Kyla ließ Golan nur langsam voranschreiten, während sie sich neugierig umsah. Die Wege hier waren so sauber, dass sie hoffte, ihr Pferd würde nicht ausgerechnet jetzt seine Äpfel fallen lassen. In den Dörfern störte so etwas niemanden, denn die Wege dort waren oft genug von den Exkrementen des Viehs völlig verschmutzt, aber in Tritam schien es kein Vieh zu geben, was Kyla nicht verwunderte.

      Die Stadt war ein Aushängeschild der Familie Gallan. Tritam wurde aus diesem Grunde mit genügend frischem Wasser, Lebensmitteln, Baumaterialien und anderem versorgt. Viehhaltung war hier nicht notwendig, ebenso wenig wie grobes Handwerk. In dieser Vorzeigestadt widmeten sich die handwerklich tätigen Chyrrta filigranen Arbeiten, wie der Schmuckschmiedekunst, der Porträtmalerei oder der Herstellung von Naschwerk und kostspieligen Nahrungsmitteln, die eher dem Gaumen als dem hungrigen Bauch schmeicheln sollten.

      Viele Geschäftsbetreiber verkauften natürlich auch die lebensnotwendigen Waren, die sie den Herstellern abkauften, um sie hier unters Volk zu bringen. Doch auffallend viele Geschäfte boten Waren an, die in keinster Weise zum Überleben wichtig waren – eben den genannten Schmuck, kulinarische Köstlichkeiten und eine ganz besondere Art von Wasser, dem verschiedene Düfte beigemischt waren. Kyla ließ Golan vor einem solchen Laden anhalten, stieg vom Rücken des Pferdes und betrat das Geschäft. Der Raum war nicht sehr groß, die Waren wurden in Holzregalen präsentiert, die beinahe bis unter die niedrige Decke reichten. Durch große Fenster schien das inzwischen rötliche Sonnenlicht herein; der Ladenbesitzer hatte in den Ecken Lampen entzündet, die jeglichen Schatten vertreiben sollten. Kein Staubkorn war zu entdecken. Die Verkaufsflächen und die fragilen Gefäße wurden vermutlich regelmäßig gründlich gereinigt.

      Das Licht der Sonne brach sich in einigen der geschickt geschliffenen Glasbehälter und warf vielfarbige Muster an die weiß getünchten Wände. Kyla betastete mit ihren Fingern vorsichtig einige der kunstvoll geblasenen Fläschchen, in denen die teuren Flüssigkeiten untergebracht waren. Reich verzierte Deckel und silberne Stopfen zogen Kylas Blicke auf beinahe schon magische Art an. Jede einzelne Glasflasche war ein Kunstwerk und schien ein verführerisches Geheimnis in sich zu bergen.

      »Willst du den Duft riechen? Warte, ich öffne rasch die Phiole. Schließe die Augen und atme tief ein – öffne die Augen erst wieder, wenn der Duft sich verflüchtigt hat. Und dann sage mir, ob du fortan noch ohne ihn zu leben vermagst.«

      Kyla wusste, dass die Verkäufer gerne so taten, als bräuchte man ihre Waren unbedingt – und dieser Geschäftsmann schien ein Meister seines Faches zu sein. Sein Haar war ergraut und sein Gesicht zeigte Falten, die davon zeugten, dass er vermutlich bereits etliche Jahreszeiten an Erfahrung in seinem Metier erworben hatte, die er nun geschickt einzusetzen vermochte, wenn er ein Geschäft witterte. Ein spöttisches Lächeln umspielte Kylas Mundwinkel, weil er tatsächlich zu glauben schien, er könne ihr ein so kostspieliges Duftwasser andrehen, als sei es ein warmes Paar Schuhe, ohne das man in der kalten Jahreszeit dem Tode verschrieben war. Der Verkäufer ignorierte Kylas Herablassung jedoch. Er stellte das freundlichste Lächeln zur Schau, das sie je gesehen hatte. Sie seufzte und tat ihm den Gefallen – ihre Lider senkten sich. Kyla atmete durch die Nase ein.

      Zunächst geschah gar nichts, und sie hätte die Augen schon fast wieder geöffnet, doch dann stieg ihr der erste Hauch des Duftwassers in die Nase – und er blieb nicht nur dort. Er durchströmte sie bis in den letzten Winkel ihres Körpers, dabei schien er Schmerz, Hoffnungslosigkeit und jeglichen Zorn einfach aufzulösen. Es war unglaublich! Kyla brauchte mehr von diesem Duft, der sie befreite und alles ganz leicht machte. Sie sog ihn erneut ein, und eine weitere Welle hob sie zu einem Wohlempfinden heran, das sie noch nie zuvor erlebt hatte. Einzig der Moment, wenn ihre Hand des nachts ihre Scham zum Beben brachte, schien ihr damit ansatzweise vergleichbar. Aber das hier war doch so gänzlich anders, denn dieses unglaublich gut riechende Wasser konnte sie jederzeit und überall verwenden. Sie könnte damit schlechte Empfindungen für eine lange Dauer fernhalten, einfach indem sie es sich auf die Halsbeuge träufelte – so, wie der Verkäufer es ihr nun erklärte. Kyla hörte ihm zu, doch die Augen hielt sie immer noch geschlossen. Sie hörte ihn zufrieden lachen, und auch sie war zufrieden. Doch dann


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