Nostromo. Joseph Conrad

Nostromo - Joseph Conrad


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Jahres so wenig gezeigt, daß das Auftauchen des Gefährtes der Goulds auf der Alameda ein gesellschaftliches Ereignis bedeutete. Aus den wuchtigen Familienkutschen, die, voll mit stattlichen Señoras und schwarzäugigen Señoritas, feierlich durch die schattige Allee dahinrollten, grüßte sie das lebhafte Winken weißer Hände. Doña Emilia war »von den Bergen herunten«.

      Aber nicht für lange Zeit. Doña Emilia pflegte spätestens nach ein oder zwei Tagen wieder »in die Berge hinauf zu gehen« und ihren flinken Maultieren wieder eine Ruhepause zu gönnen. Sie hatte dem Bau des ersten Fachwerkhauses auf der unteren Mesa beigewohnt, das die Kontorräume und Don Pépés Wohnung enthalten sollte; sie hörte mit einem Gefühl heißer Dankbarkeit die erste Wagenladung Erz durch die damals noch einzige Schüttrinne herunterrasseln. Sie war in lautlosem Schweigen neben ihrem Gatten gestanden, fröstelnd vor Erregung, im Augenblick, als die Gruppe der fünfzehn Erzmörser zum erstenmal in Gang gesetzt wurde. Als die Feuer unter den ersten Retorten aus ihrem Schuppen weit in die Nacht hinaus geleuchtet hatten, da hatte sich Frau Gould erst zur Ruhe auf das einfache Feldbett in dem sonst leeren Fachwerkbau zurückgezogen, bis sie das erste Stück Silberschwamm, das aus den dunklen Tiefen der Gould-Konzession bis in die wechselvollen Geschicke des Tages geraten war, gesehen hatte, sie hatte ihre unbestechlichen Hände, vor Freude leise zitternd, auf den ersten Silberbarren gelegt, der noch warm aus der Gußform gekommen war; und ihrem inneren Auge erschien der Metallklumpen mit so viel sühnender Kraft begabt, als wäre er keine bloße Tatsache, sondern ein unfaßbares Etwas von weitreichender Wirkung gewesen, wie der wahre Ausdruck eines Gefühls oder die Offenbarung eines Grundsatzes.

      Don Pépé, auch er voll reger Anteilnahme, sah über ihre Schultern, mit einem Lächeln, das sein Gesicht in Längsfalten zog und ihm Ähnlichkeit mit der Ledermaske eines gutmütigen Teufels gab.

      »Würden nicht die Muchachos des Hernandez gerne dies unscheinbare Ding besitzen, das, por Dios, ganz wie ein Stück Zinn aussieht?« fragte er scherzend.

      Hernandez, der Räuber, war ein harmloser kleiner Ranchero gewesen und unter besonders grausamen Begleitumständen während des Bürgerkrieges aus seinem Hause herausgeholt und zum Heeresdienst gepreßt worden. Dort hatte er sich soldatisch einwandfrei geführt, bis er einmal seine Gelegenheit wahrgenommen, seinen Oberst erschossen und es fertiggebracht hatte, zu entfliehen. Mit einer Bande von Deserteuren, die ihn zu ihrem Hauptmann gewählt, hatte er jenseits des wilden und wasserlosen Bolson de Tonoro Zuflucht gesucht. Die Haziendas zahlten ihm in Vieh und Pferden Tribut. Außerordentliche Geschichten wurden von seiner Macht und der wundervollen Art erzählt, in der er sich oft und oft der Gefangennahme entzogen hatte. Er pflegte ganz allein in die Dörfer und die kleinen Städte im Campo einzureiten, einen Packmulo vor sich, zwei Revolver im Gürtel, bis gerade vor den Laden oder das Warenhaus, dort auszuwählen, was er wünschte, und dann wieder wegzureiten, unbehelligt infolge des Schreckens, den seine Taten und seine Kühnheit einflößten. Armes Landvolk ließ er gemeinhin in Frieden; die Leute der oberen Klasse wurden oft auf den Straßen angehalten und ausgeraubt; doch jeder unglückliche Beamte, der in seine Hände fiel, konnte sicher sein, furchtbar durchgepeitscht zu werden. Die Offiziere des Heeres liebten es nicht, wenn in ihrer Gegenwart sein Name genannt wurde. Seine Gefolgsleute, mit gestohlenen Pferden beritten gemacht, lachten über die Verfolgung durch die reguläre Kavallerie, die sie festnehmen sollte und dabei doch nur mit großer Kunst in Hernandez' kleinem Reich in Hinterhalte gelockt wurde. Expeditionen waren ausgerüstet, ein Preis auf des Führers Kopf gesetzt worden, sogar an Versuchen hatte es nicht gefehlt (verräterisch natürlich), Unterhandlungen mit ihm anzuknüpfen, ohne daß dadurch sein Gebaren die mindeste Einschränkung erfahren hätte. Schließlich hatte ihm nach wahrer Costaguaner Art der Fiscal von Tonoro, ehrgeizig nach dem Ruhm, den berühmten Hernandez bezwungen zu haben, eine Geldsumme und freies Geleit aus dem Lande angeboten, wenn er seine Bande verraten wollte. Doch Hernandez war offenbar nicht aus dem Holz, aus dem die hervorragenden Militärpolitiker und Verschwörer von Costaguana geschnitzt sind. Der listige, doch herkömmliche Anschlag (der sich so oft bei der Unterdrückung von Revolutionen bewährt hatte) versagte diesem Hauptmann gewöhnlicher Salteadores gegenüber. Anfangs schien alles für den Fiscal gut zu gehen, das Ende aber wurde schlimm für die Schwadron von Lanceros, die (auf des Fiscals Anweisung) in einer Bodenfalte aufgestellt worden war, wohin Hernandez seine ahnungslosen Leute zu führen versprochen hatte. Sie kamen auch tatsächlich zur angegebenen Zeit, aber auf Händen und Füßen kriechend, durch den Busch, und gaben ihre Anwesenheit erst durch eine starke Gewehrsalve zu erkennen, die viele Sättel leerte. Die überlebenden Soldaten jagten nach Tonoro zurück. Man sagt, daß der führende Offizier (der, besser beritten, den anderen weit voraus war) hinterdrein in eine rauschige Verzweiflung geriet und den ehrgeizigen Fiscal in Gegenwart seiner Frau und seiner Töchter mit dem flachen Säbel elend durchbleute, weil er dies Unglück über das Nationalheer gebracht hatte. Der höchste Zivilbeamte von Tonoro sank ohnmächtig zu Boden und wurde weiter noch mit Schlägen überhäuft und mit scharfen Sporenstößen in Hals und Gesicht bedacht, infolge der großen Empfindlichkeit seines militärischen Kollegen. Dieser Klatsch aus dem Innern, so bezeichnend für die Herrscher des Landes, mit seiner Geschichte von Unterdrückung, Ohnmacht, Winkelzügen, Verrat und roher Gewalt, war Frau Gould gut bekannt. Daß die Sache von Leuten von verfeinerter Bildung und Charakter ohne Entrüstung hingenommen wurde, als ein durch die Verhältnisse bedingtes Geschehnis, war eines der Zeichen von Entwürdigung, die Frau Gould fast bis zur Verzweiflung bedrücken konnten. Doch mit einem Blick auf den Silberbarren schüttelte sie den Kopf zu Don Pépés Bemerkung und meinte:

      »Ohne die gesetzlose Tyrannei Ihrer Regierung, Don Pépé, würde nun manch ein Übeltäter glücklich und zufrieden von der ehrlichen Arbeit seiner Hände leben.«

      »Señora«, rief Don Pepe begeistert, »es ist wahr! Als hätte Gott Ihnen die Macht gegeben, bis tief ins Herz des Volkes zu sehen! Sie haben die Leute rings um sich arbeiten sehen, Doña Emilia – fromm wie die Lämmer, geduldig wie ihre eigenen Esel, tapfer wie die Löwen. Ich habe sie bis hart an die Mündung der Kanonen geführt – ich, der ich hier vor Ihnen stehe, Señora –, zu den Zeiten von Paez, der voll Großmut war und an Mut, soviel ich weiß, nur von dem Onkel unseres Don Carlos hier erreicht wurde. Kein Wunder, daß es Banditen im Campo gibt, wenn nur Diebe, Schwindler und blutdürstige Macaques uns in Sta. Marta regieren; doch so oder so, ein Bandit ist ein Bandit, und wir werden dem Silbertransport nach Sulaco hinunter ein Dutzend gute Winchesterbüchsen mitgeben.«

      Frau Goulds Ritt mit dem ersten Silbertransport nach Sulaco bildete den Abschluß ihres »Lagerlebens«, wie sie es nannte, bevor sie sich dauernd in ihrem Stadthaus niederließ, wie es für die Gattin des Administradors eines so wichtigen Unternehmens wie der San Tomé-Mine geziemend und sogar nötig war. Denn die San Tomé-Mine wurde allmählich zu einer besonderen Einrichtung, zum Sammelpunkt für alles in der Provinz, was Ordnung und Gleichmaß zum Leben brauchte. Aus der Bergschlucht schien sich über das ganze Land Sicherheit zu ergießen. Die Behörden von Sulaco hatten begriffen, daß die San Tomé-Mine es für sie der Mühe wert machen konnte, die Dinge und die Leute in Ruhe zu lassen. Dies war die nächste Annäherung an vernünftige und gerechte Verhältnisse, die Charles Gould für den Anfang erreichbar schien. Tatsächlich war die Mine mit ihrer Organisation, ihrer Arbeiterbevölkerung, die für das Vorrecht besonderer Sicherheit mit unbedingter Anhänglichkeit dankte, die Mine mit ihrer Waffenkammer, mit ihrem Don Pépé, mit ihrer bewaffneten Truppe von Serenos (in deren Reihen, sagte man, viele Verbrecher und Deserteure und sogar einige Mitglieder von Hernandez' Bande Platz gefunden hatten) eine Macht im Lande. Ein gewisser hervorragender Staatsmann in Sta. Marta hatte einmal bei Erörterung des Verhaltens der Sulaco-Behörden während einer politischen Krise mit hohlem Lachen ausgerufen:

      »Sie nennen diese Leute Regierungsbeamte? Die? Niemals! Sie sind Beamte der Mine – Beamte der Konzession, sage ich Ihnen.«

      Der hervorragende Mann (der damals an der Macht war, ein Mensch mit zitronenfarbenem Gesicht und ganz kurzem, welligem, um nicht zu sagen wolligem Haar), der hervorragende Mann ging in seiner jähen Aufwallung so weit, seine gelbe Faust unter der Nase des Besuchers zu schütteln und dazu zu schreien:

      »Jawohl! Alle! Still! Alle! Ich sage es Ihnen! Der Politische Jefe, der Polizeichef, der Zollamtsdirektor, der General, alle sind sie Beamte dieser Goulds.«

      Daraufhin war in dem Ministerkabinett


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