Der meergrüne Tod. Hans-Jürgen Setzer

Der meergrüne Tod - Hans-Jürgen Setzer


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Dossiers können Sie sehen, wie wir planen, Interesse bei den einzelnen Personen wecken und welche Summen dafür zur Verfügung stehen. Das sind Ihre Schwimmflossen. Fangen Sie mit Professor Doktor Dinkelsbühl an. Stellen Sie sich einfach erst einmal bei ihm vor. Er mag junge, erfolgreiche Frauen. Da punkten Sie im Nu.“

      „Okay. Rudert er schon mit?“, fragte Marie.

      „Sie lernen schnell. Er hat sogar als Steuermann das Megaphon. Wenn er Sie mit einigen anderen bekannt macht, dann haben Sie diese dadurch praktisch schon für sich gewonnen. Schauen Sie im Séparée kurz ins Dossier unserer Aufklärungsabteilung. Heute Abend feiern wir dann Ihre Erfolge.“ Der Professor machte eine Geste, als würde er mit einem Glas anstoßen.

      „Danke für Ihr Vertrauen, Professor.“ Marie lächelte, nahm die Mappe und zog sich kurz zurück. Die Dossiers lasen sich wie Geheimdienstberichte über Zielpersonen. Marie erschrak fast ein wenig über diese Art von Berichten. Sie enthielten intimste Details, Vorlieben, Schwächen und die beabsichtigten Strategien, um diese Personen für den Konzern zu gewinnen. Notfalls hätte man sie mit diesen Informationen auch unter Druck setzen können.

      „So, Herr Professor Dinkelsbühl, dann wollen wir mal. Wenn der Berg nicht zum Stand des Propheten kommt, muss der Prophet diesmal zum Berg hingehen. Vielleicht werden alle irgendwann und eines Tages mich als Berg kennenlernen. Besteigen lasse ich mich jedenfalls trotzdem nicht.“ Sie musste lächeln bei dem letzten doppeldeutigen Gedanken. Sie hatte von einem Coach gelernt, sich mit solchen Bildern und Sätzen positiv auf eine Herausforderung vorzubereiten und ihr Selbstbewusstsein zu stärken.

      Sie lief durch die Hallen und schaute sich ganz gezielt nach Professor Doktor Thorsten Dinkelsbühl um.

      „Wo steckst du nur, du Koryphäe?“, dachte sie. „Da, dahinten.“ Sie steuerte zielstrebig auf den grauhaarigen Herrn zu. Er schaute sich gerade ein Poster in der Posterausstellung mit einer Kurzvorstellung von wissenschaftlichen Ergebnissen an.

      „Darf ich mich Ihnen vorstellen, Herr Professor Dinkelsbühl? Mein Name ist Doktor Marie Köhler, Firma Provita.“

      „Ah, junge Dame, sehr gerne. Thorsten Dinkelsbühl, aber das wissen Sie ja offensichtlich schon. Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?“, fragte der Professor.

      „Ich bin neu im Team von Herrn Professor Meggle und wollte Ihnen einfach nur mal ‚Hallo’ sagen“, antwortete Marie.

      „Na, wenn das so ist, dann ‚Hallo’ zurück.“ Er lächelte bei diesen Worten. „Gibt es denn bei Provita etwas Neues zum Thema ADHS?“

      „Also, zunächst einmal mich, wie gesagt.“ Sie wurde ein wenig rot bei diesem Satz, weil er natürlich am Thema vorbeiging. Er hatte sie nun tatsächlich auf dem falschen Fuß erwischt. Ihr fehlte ein intensives Briefing. „Mist, hätte ich mich nur besser vorbereitet“, dachte sie.

      Professor Dinkelsbühl lachte laut. „Na, Sie gefallen mir. Erfrischend, Ihre Art.“

      „Nein, das war natürlich ein Spaß. Wie wäre es, Herr Professor, wenn ich Sie kurz zu Herrn Professor Meggle an unseren ADHS-Stand von Provita entführe? Er wird es sich ganz sicher nicht nehmen lassen, Ihnen persönlich die Neuerungen von Provita zum Thema zu erläutern.“ Sie lächelte mit ihrem gewinnendsten Lächeln in seine Richtung.

      „Wer könnte zu so einer bezaubernden jungen Dame schon nein sagen. Natürlich komme ich gerne mit und sei es nur, um noch ein wenig Ihre Anwesenheit zu genießen oder Ihnen zu ein paar Pluspunkten bei Ihrem Chef zu verhelfen.“ Er tätschelte ihr die Schulter und lächelte.

      „Schon wieder so ein Grabscher. Egal, Hauptsache ich kriege ihn zu Meggle. Da muss ich schon mal ein kleines Opfer bringen“, dachte Marie.

      Sie kam mit einem Lächeln zurück in Richtung des Provita-Standes.

      „Donnerwetter, das ging ja schnell. Die hat es tatsächlich drauf“, dachte Professor Meggle und ging ihnen ein Stück entgegen.

      „Herr Professor Dinkelsbühl, wie schön und welch eine Ehre. Wie ich sehe, haben Sie meine neue Mitarbeiterin bereits kennengelernt?“

      „Ich beneide Sie um die nette junge Dame. Sehr erfrischend, muss ich sagen.“ Herr Professor Dinkelsbühl lächelte sie an.

      „Ja, Prädikatsabschluss in Biochemie und einen Master of Business Administration von Harvard“, antwortete er.

      „Respekt, junge Dame. So jung und schon so viel geleistet.“

      Marie wurde wieder rot und wollte endlich das Thema wechseln.

      „Herr Professor Meggle, Herr Professor Dinkelsbühl möchte gerne Informationen aus erster Hand und Neuigkeiten zu ADHS bei Provita. Und ich dachte: Wer kann das besser als Sie.“ Sie lächelte ihn an.

      „Danke, natürlich zeige ich Ihnen gerne unsere aktuellen Forschungsergebnisse. Heute Nachmittag werden sie erstmalig hier auf dem Kongress der Öffentlichkeit vorgestellt. Damit erhalten Sie also exklusiv einen kurzen Wissensvorsprung, Herr Kollege.“ Professor Meggle lachte. „Kommen Sie, wir gehen in unser Séparée. Danke, Frau Köhler. Wir sehen uns später. Sie haben ja einen langen Aufgabenkatalog von mir erhalten.“

      „Stand ich da etwa ebenfalls drauf? Alles Gute und viel Erfolg, bezaubernde junge Dame“, sagte Professor Dinkelsbühl und gab ihr einen Handkuss.

      „Danke, bis bald“, antwortete sie etwas kecker. Innerlich bebte sie allerdings. „Offensichtlich bin ich hier nur der Lakai“, dachte sie ein wenig verärgert. „Hat dieser Meggle vor, mir etwa etwas zu verbergen?“, fragte sie sich. Sie sah, wie die beiden Professoren im Séparée des Standes frohgelaunt verschwanden und sich dabei angeregt unterhielten.

      Ärger in der Selbsthilfegruppe

      „Wir sollten uns einmal über unsere Kernziele für die Selbsthilfegruppe unterhalten“, sagte Nicole Berger.

      „Die haben wir schriftlich festgelegt. Es gibt schließlich eine Vereinssatzung, um die wir viel und lange diskutiert haben. Erinnerst du dich?“ Sigrid schlug einen ironisch-sarkastischen Ton an.

      „Warum bist du heute so feindselig. Ich habe dir nie etwas getan.“ Nicole war völlig irritiert.

      „Ich kann es nicht leiden, wenn du so tust, als würdest du hier alleine bestimmen. Es heißt schließlich Selbsthilfegruppe und nicht Einzelkämpfertreffen. Darum geht es mir.“

      „Aber auch nicht Kampfsportgruppe-Sigrid“, konterte Nicole schlagfertig.

      Im Saal wurde es ein wenig unruhig. Es wurde viel getuschelt. Doch niemand traute sich offensichtlich, einer von ihnen ins Wort zu fallen.

      „Was meint denn der Rest hier eigentlich? Habt ihr keine Meinung oder seid ihr schon eingeschlafen?“, fragte Sigrid provozierend und schaute in die Runde.

      „Also, wenn ich ehrlich bin, verstehe ich euren Krach nicht so ganz. Wir hätten abstimmen können und gut isses.“ Eine rothaarige Dame, etwa Mitte vierzig, mischte sich ins Gespräch ein.“

      „Aha, und du meinst, wenn die Mehrheit für etwas ist, dann hat die Minderheit den Mund zu halten?“, fragte Sigrid und wandte sich der Rothaarigen zu.

      „Wir haben doch eine Demokratie in Deutschland.“ Witzig war, dass dieser Einwand von einer Dame kam, die nicht sehr deutsch wirkte. Lange, dunkle Haare, vermutlich türkischer Abstammung.

      „Aishe, buchstabier mal Demokratie“, antwortete Sigrid.

      „Findest du solch blöde Bemerkungen in dieser Diskussion jetzt wirklich zielführend, Sigrid?“ Die blonde, vielleicht 45-jährige Nachbarin von Aishe meldete sich damit zu Wort, um Aishe zu helfen.

      „Wisst ihr was, für heute Abend könnt ihr mich mal.“ Sigrid stand auf und verließ den Raum.

      Ein Raunen ging durch den Saal.

      „Hol sie zurück, Nicole. Das ist doch kein Stil, so auseinanderzugehen.“ Aishe brachte diesen Einwand und Nicole schaute erstaunt.

      „Ausgerechnet


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