Der meergrüne Tod. Hans-Jürgen Setzer

Der meergrüne Tod - Hans-Jürgen Setzer


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mit dem neuen Koblenzer Teamchef. Hast also jetzt deine Ruhe vor mir.“

      Leon suchte über verschiedene Suchbegriffe im Internet nach Patienten-Selbsthilfe-Seiten und Diskussionsforen zum Thema Infantocalm, Provita und ADHS. Das meiste war negativ. Berichte über Nebenwirkungen, Spätfolgen und so weiter. Jedoch kamen dann immer direkt hinterher schlichtende Kommentare, die Infantocalm wieder positiver und als Segen der Menschheit erscheinen ließen. „Klar, die Pharmafirmen posteten mit. Wie soll es auch anders sein. Sicher gibt es eine ganze Abteilung im Marketingbereich des Konzerns, die nichts anderes als Aufgabe hat. Objektiv ist das hier in den Foren wohl eher nicht“, bemerkte er. Plötzlich hatte er die zündende Idee, die weitere Recherchen vereinfachen könnten. Er postete eine Frage mit hinterlegter Email-Adresse im System: Betroffene mit ADHS für Gründung einer Interessengegemeinschaft im Bereich Koblenz gesucht.

      Nun würden die Betroffenen ihn suchen, nicht mehr umgekehrt und letztendlich könnte man daraus vielleicht wirklich eine Gruppe formen, die für alle nutzbringend sein könnte.

      Leon stieß in einem recht regen Forum auf die Nachrichten einer selbst von ADHS Betroffenen, außerdem noch mit einem ebenfalls betroffenen Kind. Folgendes war zu lesen:

      Mein Sohn bekommt immer mehr Probleme durch sein Medikament, neben denen, die er durch ADHS sowieso schon hat. Die Klassenkameraden nennen ihn einen Junkie oder einen Drogensüchtigen. Leider merkt er nun auch noch, dass seine ihn umgebenden vertrauten Personen, wie Großeltern, Tanten, Eltern von Freunden ebenfalls gegen die Medikamente sind. Sie zeigen ihm das bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Das tut echt weh, es mit anzusehen. Sie nennen ihn manchmal auch Zombie oder sagen, er wäre ja nur unter Dope lebensfähig. Er fühlt sich behindert, bleibt natürlich von den ganzen Sprüchen aus seiner Umgebung nicht unbeeindruckt. Wir als Familie fühlen uns inzwischen einfach alle zwischen den Stühlen sitzend und wissen keinen Rat mehr.

      Leon beeindruckten diese Zeilen sehr und er war zutiefst betroffen. So hatte er das bisher noch gar nicht gesehen. Da gab es ja wirklich die hilflosen, besorgten Eltern, die vieles, wenn nicht sogar alles was möglich war, ausprobiert hatten und für die Infantocalm der letzte, greifbare Strohhalm war. Vielleicht war die Gabe des Medikamentes ja nicht immer falsch. Leon bekam Zweifel. Er wollte sich unbedingt mit dieser Frau und ihrem Sohn treffen. Er brauchte mehr Klarheit, ob er mit seinen bisherigen Recherchen überhaupt auf der richtigen Spur war.

      Er schrieb ihr eine Nachricht über die Internetseite und bat um ein Treffen, weil er einerseits einen Artikel über ADHS schreiben wollte, andererseits mit dem Aufbau einer Interessengemeinschaft beschäftigt sei. Er dachte, so leichter an die Dame, die sich Svenja nannte, heranzukommen. Prompt kam bereits einige Minuten später eine Antwort:

      Bin gerne zu einem Treffen bereit. Geben Sie mir Ihre Handynummer?

      Leon antwortete unter Herausgabe seiner Nummer. Etwa fünf Minuten danach klingelte sein Telefon.

      „Leon Walters.“

      „Hallo, hier ist Svenja. Sie wollten sich gerne mit mir treffen?“

      „Wow, Sie sind ja fix. Die Mail habe ich gerade erst geschrieben. Ein Treffen, natürlich sehr gerne. Ich schreibe an einem Artikel über ADHS und Infantocalm. Ihre Worte im Forum haben mich sehr aufgewühlt.“

      „Echt, wieso denn das?“, fragte die sehr jung klingende Frauenstimme.

      „Sie haben mir sehr deutlich gemacht, wie hoch auch ihr Leidensdruck als Mutter ist. Außerdem wurde mir dabei klar, dass die Kinder selbst sich stigmatisiert fühlen durch ihre Umgebung, wenn sie Infantocalm oder Ähnliches nehmen.“

      „Ja, das stimmt. Sie klingen sehr nett, Herr Walters. Ich denke, wir können uns bald einmal treffen.“

      „Danke. Wo und wie wollen wir uns denn kennenlernen?“, fragte Leon.

      „Da wir ja beide in Koblenz leben, wenn ich Ihre Mail richtig verstanden habe, sollte das kein Problem sein. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, wenn wir uns an einem neutralen Ort treffen. Wir kennen uns ja nicht und bei Bekanntschaften über das Internet bin ich lieber vorsichtig.“

      „Natürlich, das ist sehr vernünftig und kein Problem für mich. Machen Sie einfach einen Vorschlag, der für Sie akzeptabel wäre“, antwortete er.

      „Wie wäre es am Moselufer der Statt-Strand? Kennen Sie den?“

      „Okay. Und wann?“, fragte Leon.

      „Wenn es bei Ihnen gleich geht, dann gerne in einer halben Stunde. Wir treffen uns an der Cocktail-Bar.“

      „Fein. Dann bis gleich. Halt, wie erkennen wir uns?“ Zum Glück hatte Leon noch nicht eingehängt.

      „Ich trinke einen auffälligen Cocktail mit einem schwarz-weiß gestreiften Schirm und bleibe an der Bar.“

      „Gut. Wir werden uns schon nicht verpassen.“ Leon legte auf und machte sich direkt auf den Weg.

      Am Koblenzer Strand

      Leon parkte einige Meter vom Strand entfernt, denn es war bei dem schönen Wetter richtig etwas los an Rhein und Mosel. Alle nutzten die Zeit, um Sonne aufzutanken. Zielstrebig ging er zur Cocktailbar, wo eine junge, schlanke Dame mit langem, offenem, brünettem Haar am zuvor beschriebenen Cocktail nippte. Auf ihrem T-Shirt stand aufgedruckt der Titel der Website: www.genug-gezappelt.de.

      „Mutig“, dachte Leon.

      „Hmm, Ihr Cocktail sieht lecker aus. Wie heißt er denn?“, sprach er die Dame an, die nur wenige Zentimeter kleiner schien als er.

      „Herr Walters, nehme ich an?“

      „Ja, genau.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen und sie begrüßten sich.“

      „Nicole Berger. Der leckere Cocktail heißt übrigens Kowwelenzer Schermche.“

      „Okay. Nett. Also sind Sie nicht Svenja?“, fragte er.

      „Nicole, das stimmt nun wirklich. Nur, im Internet sollte man besser nicht den richtigen Namen … man weiß ja nie. Wer eins und eins zusammenzählt, ist schnell mal bei zwei angelangt. Inkognito ist es da sicherer, finde ich.“

      „Geben Sie mir ein Kowwelenzer Schermche“, bat er die Bedienung am Tresen. Kurz darauf prostete er Nicole zu und nippte ebenfalls an dem gelb-orangefarbenen Cocktail.

      „Wow, der hat aber ein paar Umdrehungen, oder?“, fragte Leon und schaute beeindruckt.

      „Ich glaube, der Rum ist hochprozentig. Mit Pfirsich- und Ananassaft gemischt dürfte es insgesamt nicht mehr sein, als bei einem Bier. Schmeckt aber leckerer.“

      „Ja, das muss ich zugeben, nicht schlecht, fruchtig.“ Leon nahm noch einen großen Schluck.

      „Sie sind also Journalist?“, fragte Nicole.

      „Ja, Koblenzer Tageskurier. Hier meine Karte. Wie ich bereits sagte, arbeite ich an einem Artikel über ADHS, Drogen, Infantocalm und die heutige Jugend insgesamt. Bin noch in der Phase intensiver Recherchen.“

      „Und da stießen Sie ausgerechnet auf meine Nachricht im Forum?“ Nicole schaute ihn fragend an und nippte erneut am Drink.

      „Sie glauben gar nicht, wie sehr mich Ihre wenigen Zeilen dort aufgemischt haben. Ich zweifelte sogar an meiner bisherigen Meinung.“

      „Wow, ich wusste gar nicht, dass ich solche Fähigkeiten überhaupt habe.“ Sie schmunzelte.

      „Was halten Sie davon, wenn wir uns duzen? Wenn wir schon beide ein Schermche miteinander trinken. Ich bin Leon.“

      „Nichts dagegen. Nicole, aber das weißt du ja schon.“

      „Ich brauchte es, dich live, quasi Auge in Auge kennenzulernen, um dich und deine Erfahrung besser einschätzen zu können.

      Es ist für mich sehr wichtig, welche Richtung in den Recherchen ich nun weiter einschlage werde. Angefangen hat es mit einem Jungen und seiner Mutter. Er nahm einige


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