Der Erbe ...und die Glücksritter. Sybille A. Schmadalla

Der Erbe ...und die Glücksritter - Sybille A. Schmadalla


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- Coney Island‘. Unter dem Packen der Bilder lagen Briefe – die Liebesbriefe. Hans schoss erneut durch den Kopf, dass er so viel mehr über Umas Vater wusste, als sie, seine Tochter! Und wenn sie erst wüsste, was er so alles im Gepäck hatte … Er beschloss, ihr die Tagebücher zu überlassen, sie konnte Deutsch, also würde sie die Kladden lesen. Hans mochte sie, ihre ganze Art.Uma legt den Kopf etwas schief: „Aber jetzt sind sie dran. Was wissen sie von meinem Vater? Warum haben sie mich gesucht?“ Hans wusste im ersten Moment nicht, wo anzufangen sei, aber dann begann er einfach ganz von vorne, als der Erbenermittler bei ihm geklingelt hatte.

      Hans im Glück

      Hans Glück fuhr an einem Sonntag mit seinem nicht mehr ganz taufrischem Ford Transit, seinem Firmenwagen, von Essen Karnap nach Grafing bei München. Auf dem Beifahrersitz stand eine Tasche, gut gefüllt mit verschiedenen Käse-, Wurst- und Schinkenbrötchen, alle sorgfältig verpackt in Frischhaltefolie, ein Päckchen Wienerwürstchen verschweißt und eine Thermoskanne Kaffee. So gerüstet ging es nun Richtung München. Laut Navi würde er fast sechs Stunden unterwegs sein – sofern er keine Pause machte oder im Stau steckte. Er rechnete eher mit sieben bis acht Stunden. Zeit, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Das Radio spielte die neuestens Popsongs, er hörte gar nicht wirklich zu. Hans Glück, hatte seinen Namen schon immer abgeschmackt und peinlich gefunden. Hans im Glück – unzählige Sprüche hatte er sich in der Schule anhören müssen: ‚Na, da hat der Hans aber kein Glück gehabt in der Mathearbeit‘ oder ‚Das Glück ist mit den Doofen‘ oder ‚Hans, tauschst du dein Schulbrot gegen meinen Stein?‘. Seine Mutter hatte ihm das Märchen ungezählte Male vorgelesen, sie fand den Schluss so schön: „Befreit von aller Last, wanderte Hans mit leichtem Herzen heim zur Mutter“. Was das bedeuten sollte, hatte er nie verstanden.Es gab nur noch wenige Glücks in Deutschland. In der Nazizeit galt „Glück“ als jüdischer Nachname. Tatsächlich stammte der Name aus dem Mittelalter, was nachweislich dokumentiert war. Trotz aller Nachweise war seine Familie verfolgt worden. So verschwanden die zwei kleinen Pünktchen über dem ‚ü‘ im Namen während der Nazizeit, da hieß man Gluck, das war mehr als achtzig Jahre her. Die Großmutter hatte nach dem Krieg darauf bestanden die beiden Pünktchen wieder einzuführen, zwei unschuldige kleine Pünktchen als Manifest der eigenen Unschuld und Verfolgung. Der Name - das war eine große Sache. Als Jugendlicher hatte er die Auskunft angerufen, ob es Personen mit dem Nachnamen ‚Hitler‘ in Westdeutschland gäbe, es gab keinen. In der DDR lebte ein Hitler – Romano-Lukas Hitler. Alle anderen hatten wohlweißlich ihren Nachnamen geändert. Name als Symbol. Er musste schmunzeln bei dem Gedanken, wie die wohl nun hießen? Welche Namen die wohl gewählt hatten? Harmlose, urdeutsche Allerweltsnamen? Müller, Maier, Bauer, Huber, Schmidt oder Schulze, oder etwa jüdisch klingende, um keinerlei Verdacht aufkommen zu lassen? Goldstein, Rosenzweig oder Wiesenthal?Aber jetzt war er Hans im Glück! Zum ersten Mal passten Name und Märchen zusammen, denn er hatte völlig unerwartet geerbt, fühlte sich reich. Hans hing seinen Gedanken nach. Sein Navigationsgerät im Auto zeigte 655 km, eventuell würde er übernachten müssen.Vor einigen Wochen hatte er einen Anruf erhalten von einem Erbenermittler. Er war völlig überrascht gewesen, denn nach seiner Kenntnis hatte er keine Verwandten mehr nach dem Tod seiner Mutter. Er war ein Einzelkind, geliebt, verwöhnt, verhätschelt von seiner Mutter und seiner Großmutter. Sein Vater war früh verstorben.Ein Amadeus Glück, geboren am 15.11.1915 in Grafing bei München, war am 5.3.2015 ebenda verstorben im Alter von knapp 100 Jahren. Der Erbenermittler machte die letzten lebenden Verwandten ausfindig. Hans war verblüfft und erfreut, aber auch misstrauisch gewesen, denn der Erbenermittler arbeitete nicht für Gotteslohn. Vorsichtig, wie er war hatte Hans erst einmal vermutet, dass es sich um eine Abzocke handelte. Der Mann war aber seriös, fuhr extra von München nach Essen, um ihm Dokumente vorzulegen, ohne jedoch zu viele Details preiszugeben. Herr Allmann – so hieß der Erbenermittler – erklärte ihm, dass er parallel einen weiteren ‚Pfad‘ prüfe, aber er gehe davon aus, dass er nicht, wie so häufig in anderen Fällen, mit zwanzig, dreißig oder mehr Personen teilen müsse. Fänden sich keine Erben, wäre das Vermögen an den Freistaat Bayern gefallen. Das Honorar war erst fällig nach Überschreibung des Vermögens, z. B. durch Ausstellung des Erbscheins, der Erbenermittler bekäme satte 20%. Hans hatte da – ganz der geschäftstüchtige Handwerker, der er war – nachverhandelt: 15,5%. Der Vertrag wurde unterzeichnet. Herr Allmann nannte den Namen des Verstorbenen: Amadeus Glück. Nie gehört. Der Verstorbene war über drei Ecken verwandt, er sah die Urkunden und Dokumente, irgendwie ein Großonkel, soweit er das verstanden hatte. Der hinterließ eine Jugendstilvilla mit Nebengebäuden, Baujahr 1912. Ein Haus auf einem 2500 qm Grundstück in der Nähe des Stadtkerns von Grafing bei München! Herr Allmann erklärte, dass der Grund allein an die zwei Million Euro wert war. Der Erbenermittler meinte lapidar, das Haus könne Hans abreißen und das Grundstück als Bauland verkaufen oder selbst zwei Dreispänner draufstellen. Er könnte jedes dieser Reihenhäuser für ca. 700.000 Euro verkaufen, also 4,2 Mio. abzüglich der Baukosten.Das war besser als der Goldklumpen im Märchen! Herr Allmann erklärte ihm, dass bei Immobilien nach Erbschaftssteuerrecht nicht der Verkehrswert zählte, sondern die Steuer nach dem Einheitswert von 1964 berechnet würde. Hans war jetzt Millionär. Man plauderte noch etwas. Herr Allmann erwähnte, dass seine längste Suche fast sechs Jahre gedauert hatte, die Suche nach Hans eine relativ kurze gewesen war. Als Hans die Türe hinter Herrn Allmann schloss, fiel sein Blick auf den Flurspiegel. Er sah sein Spiegelbild, er fragte sich was sich wohl ändern würde? Er beäugte sich aufmerksam, dachte an sein jetziges Leben: Hans war 52 Jahre ‚jung‘, ledig. 1,88 groß, wog 103 kg. Er sei halt ein bisschen ‚fest‘, wie Frau Prohaska immer meinte, pummelig passte besser. Sein volles mittelblondes Haar war durchzogen von ersten grauen Fäden, sein Teint leicht gebräunt. Nach landläufiger Meinung sah er einigermaßen gut aus und hatte Schlag bei den Frauen. Aber die, die ihn genommen hätten, wollte er nicht, und die, für die er sich erwärmt hätte, wollten ihn nicht. So war er Junggeselle geblieben und jetzt auf einen Schlag eine gute Partie. So musste sich ein Lottogewinner fühlen, dachte er.Als Handwerker musste er einfach zu viel arbeiten, das mochten die Frauen nicht, für die er sich interessierte. Vielleicht lag es auch an seinen kleinen Marotten: Er sah samstags immer die Sportschau. Er versäumte keine. Er mochte weder Gemüse und noch Obst, aß lieber Currywurst mit Pommes. Nie hatte er eine seiner Flammen großartig ausgeführt, das lag ihm nicht. Pommes rot-weiß, ein kühles Bierchen – das reichte. Sein Leben war geregelt und überschaubar. Um 8 Uhr Arbeitsbeginn und um 17.30 Uhr Feierabend, alle drei Wochen Wochenendbereitschaft. Er hatte Klempner gelernt, im Volksmund ‚Gas-Wasser-Scheiße‘ genannt, was seine Heirat-chancen auch nicht gerade erhöhte. Jetzt hatte er einen kleinen Handwerksbetrieb mit zwei Angestellten. Erika Prohaska machte die Buchhaltung, bediente das Telefon und kümmerte sich um das Büro. Sie war die gute Seele, Mitte fünfzig. Er und Martin Kersheimer fuhren im Blaumann zu den Kunden. Martin war Mitte vierzig und gehörte quasi zum Betriebsinventar. Er war Klempnergeselle, wortkarg, zuverlässig, aber unscheinbar. Jemand der nicht viel Aufhebens um seine Person machte. Das kleine Unternehmen gab allen drei ein vernünftiges Auskommen. Hans ging dienstags in den Männergesangsverein ‚Liederzirkel 1899 Essen-Karnap‘, um mit seinem Bass, den Liedern die nötige Tiefe zu verleihen. Freitags trafen sie sich alle im Brunswick zum Bowlen. Den Handwerkerstammtisch oder Treffen der IHK besuchte er gelegentlich. Er arbeitete viel, und in Urlaub fuhr er nach Holland, das war nicht weit. Er hatte eine Bekannte, die Elfriede hieß - ‚dat Fried‘schen‘ wie er sie nannte. Sie betrieb ein Büdchen in Altenessen. Mit ihr hatte er gelegentlich Sex, und manchmal fuhr sie mit ihm in Urlaub. Er war zufrieden mit seinem Leben. Und nun fuhr er nach Grafing und hing seinen Gedanken nach. Keinem der Dreien hatte er davon erzählt, erst wollte er sich das Ganze mal ansehen. Er hatte nur gesagt, dass er zur Beerdigung eines entfernten Verwandten fahren würde. Was man mit so viel Geld alles anfangen konnte?!Amadeus Glück war fast 100 Jahre alt geworden. Amadeus Glück aus Oberbayern. Hans versuchte sich eine Kindheit im krachledernen Oberbayern mit Xaver, Blasi, Anderl oder Hiasl als Spielkameraden vorzustellen. Wie war denn sein Rufname damals gewesen? „Ame?“ oder „De-us-al“? Er musste laut lachen bei diesem Gedanken. Der von Gott Geliebte, das bedeutete der Vorname, das hatte er extra nachgesehen. Amadeus Glück – der von Gott Geliebte Glück.Amadeus Glück war schon beerdigt, aber das wusste außer ihm ja keiner. Fried‘schen hatte ihm extra ein kleines Bukett besorgt. Zwei weiße Lilien und eine rosafarbene Cala, gebunden mit Gräsern, das wollte er auf dem Grafinger Friedhof seinem unbekannten


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