Stieg Larsson lebt!. Didier Desmerveilles

Stieg Larsson lebt! - Didier Desmerveilles


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ein bisschen besser auskennt, etwa weil er die Biografie von Kurdo Baksi gelesen hat, weiß außerdem, dass der Autor als Jugendlicher mit einem grässlichen Gewalt­verbrechen konfrontiert wurde, das sich auf seine spätere Motivwahl als Literat sicherlich ausgewirkt hat. Auch diesem Befund versucht Stieg Larsson lebt! auf die diesem Werk eigene Weise Rechnung zu tragen. Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten, denn besonders gut informierten Lesern und vor allem den pfiffigen Kombinierern unter ihnen habe ich damit vielleicht schon zu viel verraten.

      Ich gebe es auch in dieser Vorrede zu Teil II noch einmal unumwunden zu: Ich kann Stieg Larsson nicht das Wasser reichen. Insbesondere eine Figur, die auch nur annähernd die Komplexität und Faszination einer Lisbeth Salander erreicht, sucht man hier vergebens. Jeder Versuch, sie zu kopieren oder zu plagiieren, wäre auch unklug. Die kritische Aufnahme des vierten Millennium-Bandes und das Urteil vieler unzufriedener Larsson-Fans beweisen, dass die Leser originäre Geschichten mehr zu schätzen wissen als Plots, die in ein vorgegebenes Korsett gezwängt werden, weil Marketing-Strategen es so wollen. Der Zuspruch, den Entfremdung I seitens seines kleinen Nischen­publikums erfahren hat, nachdem das Buch im Winter 2016 ohne Werbe-Etat, ohne Marketing-Maßnahmen und vor allem auch ohne die geringste Nutzung sozialer Medien und Netzwerke, nur mit den bescheidenen Mitteln der DIEBMA-Agentur als Kindle-Edition veröffentlicht wurde, nähren jedenfalls die Hoffnung, dass der eine oder andere Leser, die eine oder andere Leserin Freude auch an dem zweiten Teil dieses sicherlich unvollkommenen Versuchs haben wird, dem großen Schweden ein kleines Denkmal zu setzen.

       Didier Desmerveilles

      1. Juni 2016

       Das Recht ist wie ein Paar Hosen, die man letztes Jahr für einen heranwachsenden Jungen gekauft hat, aber es ist immer dieses Jahr, und die Nähte sind geplatzt, und die Unterschenkel schauen heraus.

      Robert Penn Warren

      Zweites Buch: Hasso

       Prolog

      Sie waren unzertrennlich. Sie gehörten zusammen wie die drei Seiten einer Pyramide.

      »Wenn einer von 'ner Pyramide eine Seite wegnimmt, gibt's keine Pyramide mehr.« Wer von ihnen den grandiosen Vergleich aufgebracht hatte, wusste keiner mehr. Aber er wurde von allen gern wiederholt, und er leuchtete jedem ein.

      Wie immer nahmen sie das Mittagessen an ihrem Stammtisch am äußersten Ende des Speisesaals gemeinsam ein.

      »Wisst ihr schon das Neuste?«

      »Nö.«

      »Kunikowski muss gehen.«

      »Wieso das denn? Weil er Michael Stoephasius in der Reli-Stunde versaute Witze erzählen lässt?«

      »Dafür sollte man lieber Stoephasius rausschmeißen, den Penner.«

      »Ach was, und du hast nicht mitgelacht, oder was?«

      »Natürlich nicht.«

      »Is' doch egal jetzt. Es geht da um was ganz anderes.«

      »Nämlich?«

      »Ihr lacht euch tot: Winkemann hat erzählt –«

      »Wer ist denn jetzt schon wieder Winkemann?«

      »Die rechte Hand von Kutbach, dem Schülersprecher. Also, Winkemann hat erzählt: Kunikowski hat jedem Lehrer 'ne Rolle Klopapier auf seinen Platz im Lehrerzimmer gelegt und dazu ein Plakat aufgehängt mit der Aufschrift – hahaha!«

      »Nun mach's nicht so spannend, Hasso!«

      »Das hältst du im Kopf nicht aus!«

      »Mann, du Ärrer. Entweder hast du jetzt was Spannendes zu erzählen, oder du hältst gleich die Klappe!«

      »Reg dich ab, Dicker. Also, auf dem Plakat stand: In einem sauberen Hintern fühlen sich Arschkriecher am wohlsten!«

      »Nee, nä?«

      »Im Ernst?«

      »Im Ernst.«

      »Ärre.«

      »Ach komm, das hat Winkemann sich ausgedacht.«

      »So was denkt sich keiner aus.«

      »Wen hat er denn damit gemeint?«

      »Das wüsste ich auch gern.«

      »Plöner Schlossgeheimnis.«

      »Wahrscheinlich hat er sich über irgendwen aus dem Kollegium aufgeregt, der nach der alten Schloss-Devise verfahren ist: Wer kriecht, kann nicht stolpern.«

      »Hahaha.«

      »Sagt mal Jungs, mal was ganz anderes: Was essen wir hier eigentlich gerade?«

      »Auf dem Speiseplan steht Königsberger Klopse.«

      »Wenn das Klopse sind, ist 'n Mops kein Mops, sondern 'ne Wüstenspringmaus.«

      »Er nun wieder.«

      »Voll der schillernde Verlgleich.«

      »Ma' ganz im Ernst jetzt, Leute: Die gehen mit Müh' und Not als Hackbällchen Größe Z durch!«

      »Z wie Zwergengröße.«

      »Genau. Und außerdem sieht das Ganze hier sowieso aus wie schon mal gegessen.«

      »Stimmt, jetzt, wo du's sagst... Für Klopse sind die viel zu klein. Und dann dieser Braunstich. Ist das wirklich Hackfleisch? Wenn ich's nicht besser wüsste, würde ich sagen, die Dinger, die kommen direkt aus –«

      »Halt! Ich weiß, was du sagen willst: Die kommen nicht aus 'ner Küchenschüssel, die kommen direkt aus der Klosch–«

      »Hallo? Ich esse vielleicht gerade?«

      »Nee, ma' ganz im Ernst jetzt! Und diese kleinen Dinger hier, was soll das sein?«

      »Kapern.«

      »Genau. Die ganze Kombüse sollte man kapern. Wenn ihr mich fragt, sind das Hammelküttel!«

      »Herr Kirstein!«

      »Wenn er dich so nennt, wird es ernst. Und ich muss dir da auch ganz klar widersprechen. Das sind keine Hammelküttel. Für Hammelküttel sind die viel zu groß. Mich erinnern die lütten Dinger eher an Karnickelküttel.«

      »Aufhören!«

      »Und die Soße, guckt euch das Zeug doch mal genau an, Jungs. Das ist gar keine Soße, das ist Kotze! Kotze vom Koch. Koch-Kotze.«

      »Ist gut jetzt!!!«

      »Nee, ma' ganz im Ernst: Unser Kombüsenchef hat die Hammelküttel zubereitet, und dabei ist ihm selber schlecht geworden, und er hat auf den Küchenboden gekotzt und dann die ganze Scheiße zusammengefegt, die Hammelküttel dazugegeben und das Ergebnis serviert man uns jetzt als –«

      »Ich hau ab, ihr Arschlöcher. Mir ist der Appetit vergangen.«

      »Hasso? Komm jetzt, sei kein Spielverderber.«

      »Spielverderber? Ihr könnt mich mal!«

      »Nun setz dich wieder hin. War nur Spaß!«

      »Dein Essen wird kalt.«

      Mit demonstrativ erhobenem Haupt und hyänenhaften Schritt stolzierte Hasso Richtung Ausgang. Bevor er den Saal verließ, drehte er sich noch einmal zu seinen Mitschülern um, die am Esstisch sitzend damit beschäftigt waren, ihre Königsberger Klopse zu sezieren. »Arschlöcher«, rief er. »Beide.«

      Drei Freunde. Die drei Seiten einer Pyramide. Genau genommen haben Pyramiden vier Seiten.


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