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Egal ob es eigentlich belanglose Storys über irgendwelche bauliche Veränderungen in der näheren Umgebung waren, oder ob es um ein wichtiges Uni-Spiel ging. Ava rannte jeder Story hinterher und trieb ihre Mitschüler zu erstklassigen Berichten heran.

      Oftmals berichtigte sie ihre Storys dreimal, bis sie damit soweit zufrieden war, dass es gedruckt werden konnte. Manchmal tuschelten ihre Mitschüler hinter ihrem Rücken, dass sie ein Drache und viel zu ehrgeizig sei. Schließlich sei das hier nur eine Uni-Zeitschrift und nicht die New York Times.

      Ava war das alles egal. Sie wollte allen und vor allem sich selbst beweisen, dass sie ihre Arbeit verstand. Dass sie wusste, was sie tat und dass sie das Zeug für eine hervorragende Journalistin hat. Da waren ihr die Gespräche hinter ihrem Rücken egal.

      Dass sie gut war und ist, zeigt ihr der Job bei People & People. Immer und immer wieder rutschte sie im Laufe der Jahre in den Positionen weiter nach oben, bis sie erfahren genug war, um nun in die engere Wahl der erwarteten Biografie zu gelangen.

      »Neues Jahr, neues Glück, meine Damen und Herren.«

      Noch vor vier Stunden marschierte Avas Chef mit deutlichen Schritten durch den Konferenzraum von People & People.

      Eine Akte landete auf dem großen Glastisch. Fünf männliche und drei weibliche Augenpaare richteten sich auf die Unterlagen. Jeder wusste, was sich in dieser Akte befand. Die nächste Story. Nein, besser gesagt, das nächste Buch.

      Einmal im Jahr schreibt People & People eine Biografie über wichtige Personen der hiesigen Zeit. Keine Promis, nein. Denn damit verdient sich die Firma täglich ihr Brot. Diese Biografien sollen wichtige Personen zeigen, die nicht auf irgendwelchen Bühnen stehen. Sie sind keine Schauspieler, keine Sänger, keine Sportathleten und keine stumpfsinnigen Erbinnen irgendwelcher Hotelketten. Diese Persönlichkeiten sind stumme Helden des Alltags.

      Viele kennt man nicht, tragen aber einen großen Teil zur Gesellschaft bei. Es sind die Menschen die People & People für ein ganzes Buch näher unter die Lupe nimmt.

      Und mit dem neuen Jahr begann der Wettstreit um diesen Job. Jeder wollte ihn. Jeder war gut genug, um ein Buch über eine wichtige Persönlichkeit zu schreiben. Jeder witterte somit einen weiteren Aufstieg auf der Karriereleiter.

      Manch ehemalige Kollegen kündigten nach einer Biografie ihren Job, weil sie mit dem Buch gemerkt haben, dass es ihnen eher liegt, einen ganzen Roman zu schreiben und sich auf eine ausgereifte Geschichte zu konzentrieren, als jeden Tag etwas Neues zu schreiben.

      Das würde Ava zwar niemals wollen, aber Interesse daran, eine Biografie zu schreiben, besteht schon. Sie braucht die tägliche Abwechslung einer neuen Story. Sie kann sich nicht vorstellen, über Monate hinweg nur an ein und demselben Thema zu schreiben. Sie braucht verschiedene Persönlichkeiten, Blickwinkel und Storys.

      Auch wenn ihr die Abwechslung eher liegt, als die eine große Story, hoffte sie dennoch die Chance zu bekommen, die diesjährige Biografie schreiben zu dürfen. Es wäre für sie in vielerlei Hinsicht ein Lernprozess, der sie auf der Karriereleiter weiter hinauftragen kann. Warum also nicht?

      Avas Augen glitten zu den Kollegen, die hungernd, wartend und erwartungsvoll auf die Akte unter der Hand des Chefs blickten. Wem würde diese Akte gereicht werden? Wer würde dieses Jahr die Story schreiben dürfen? Wer zog das große Los? Jeder wollte und jeder hoffte.

      Mister Lay verdunkelte den Raum und schaltete den Projektor an. Gleich, gleich würde er wie jedes Jahr die Akte über den Tisch schieben. Gleich würde das gute Stück unter irgendwelchen Händen haltmachen und einem Mitarbeiter eine riesengroße Chance offenbaren. Gleich ist es soweit.

      Der eine oder andere Mitarbeiter rutschte nervös von einer Pobacke zur anderen und gierte auf die Akte. Gleich, gleich, gleich.

      Finger tippten nervös auf dem Tisch herum. Kugelschreiber wurden hibbelig in den Händen gedreht.

      »Glückwunsch, Miss … .« Miss, es würde dieses Mal eine Frau sein. Kein Mann, eine Frau. Avas Chancen auf die Biografie stiegen somit.

      Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Aufgeregt blickte sie zu der Hand ihres Chefs. Diese legte sich auf die Akte und holte Schwung.

      »Ramirez, Sie haben das große Los gezogen. Ihre Biografie.« Mit einem schleifenden Geräusch rutschte die Akte über den Tisch und bremste an Avas Fingern ab.

      Luftholend blickte Ava hinunter. Da lag sie. Die Akte, der Job, der Auftrag, die Chance, die Biografie. Avas Chance zu beweisen, was sie als Journalistin draufhat.

      Schnappend rang Ava nach Luft. Ihr Herz schlug Purzelbäume, während ihr Blick zu einem Tunnel mutierte. Sie hörte und sah nichts anderes, als die Akte unter ihren Fingern.

       Das ist deine Chance.

      Knurrende und murmelnde Laute drangen in ihre Ohren. Benommen blickte Ava hoch. Die Missgunst, die ihr von ihren Kollegen entgegenschlug, war kaum zu fassen. Jeder drehte sie in diesem Augenblick durch den Fleischwolf. Jeder missgönnte ihr diesen Triumph. Wirklich jeder.

      Ava juckte es nicht. Warum sollte es sie auch stören? Jeder hat auf diese Möglichkeit gewartet. Eine Story, neun Mitarbeiter. Es konnte nur einer das große Los ziehen. Weshalb also diese miese Stimmung?

      »Miss Ramirez, die diesjährige Biografie wird über Doktor«, Mister Lay tippte auf seinem Notebook herum, schob, drückte und hackte, bis ein Bild auf der Wand erschien »Nora Jercy sein.«

      Mit einem Schlag verstummten sämtliche knurrenden Geräusche, kaum dass ein Gesicht auf der angestrahlten Wand erschien. Die Missgunst schwand, weil sie mit einem Schlag von schluckenden Geräuschen und gehässigen Grinsen abgelöst wurde.

      Verwirrt blickte Ava um sich. Viele ihrer Kollegen hatten den Kopf eingezogen. Starr blickten sie auf die Wand, wechselten einen Blick zu Ava und schauten dann wieder zur Wand.

      Konnte Ava in den Augen ihrer Kollegen etwa Entsetzen und Panik erkennen? Sah sie dort sogar Erleichterung? Erleichterung darüber, dass nicht sie die Biografie schreiben mussten?

      »Doktor Nora Jercy ist Expertin in Bezug auf mittelalterliche Folterinstrumente und Methoden.« Mister Lay machte einige Schritte vom Konferenztisch weg. Seine Augen lagen auf dem Foto von Doktor Jercy, die von der Wand aus auf alle Anwesenden hinunterblickte.

      »Sie ist staatlich anerkannte Psychiaterin und studiert die Motive und Vorgehensweisen von Serienmördern. Mit ihren Beurteilungen, was den psychischen Zustand von Mördern angeht, unterstützt sie gerichtliche Urteile. Sie hält Vorträge für Polizisten und berät sie in schwerwiegenden Fällen.«

      Interessiert blickte Ava von der Akte auf und schaute zur Wand. Mit einem Schlag entwich ihr das Blut. Langsam zog sie den Kopf zurück. Erschrocken starrte sie zur Wand hoch und konnte kaum glauben, was sie sah.

      Hass. Blinder und gleißender Hass schlug ihr entgegen. Bernsteinfarbene Augen, die mit so viel Hass getränkt sind, dass jeder Anwesende eigentlich tot umfallen musste, blickten brennend in die Kamera.

      »Doktor Jercy ist für die westliche Küste so wertvoll wie Hollywood für die Filmindustrie. Ihr Urteilsvermögen wurde noch nie angezweifelt, weil sie sich noch nie geirrt hat. Sofern man nicht mir ihr zusammenarbeiten muss, sollte man sich allerdings einen anderen Staat suchen, um angstfrei atmen zu können. Doktor Jercy empfindet den Menschen gegenüber unermesslichen Hass. Für sie sind wir nur Abschaum und es nicht wert, mit ihr zusammen auf diesem Planeten zu verweilen.«

      Mister Lay blickte flüchtig zu Ava hinüber und suchte eine Reaktion seiner Mitarbeiterin. Von dort kam allerdings nichts. Ava starrte noch immer mit großen Augen und offenem Mund zu der Frau hoch, über die sie das Buch schreiben soll.

      Bordeauxfarbene Haare fielen über die Schultern und lagen gepflegt auf den Brüsten. Die Arme waren abwertend vor der Brust verschränkt. Der Kopf gesenkt, der Blick gehoben. Ein Blick, der jeden in das nächstbeste Grab befördert. Wie schafft man es bloß, so viel Hass in einen Blick zu setzen, dass man alleine dadurch über eine schöne Grabrede nachdenkt?

       Und über die soll ich schreiben?


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