Unvergängliches Blut - Sammelband. S.C. Keidner
die Festung streifen zu können, wie sie wollte. Der Schnee war fast verschwunden und ein milder Wind wehte, eine erste Ahnung des nahenden Frühlings. Sie kletterte auf die Wehrmauer, wo Warin seinen Dienst tat.
Er stellte sich neben sie, als sie auf die düstere Kulisse des Gebirges blickte, in Gedanken bei Maksim, der eine Sitzung mit seinem Vater und zwei Fürsten hatte, die in dieser Nacht eingetroffen waren. »Das war ja ziemlich heftig«, brummte Warin. »Das Flittchen ist abgereist, den dunklen Göttern sei Dank. Geht es dir gut?«
Rodica nickte und schwieg einen Augenblick, bevor sie sagte: »Es hat mir gezeigt, wie schwer all das sein wird.«
»Hm«, machte der Vampir. »Tja, dann macht ihr euch keine Illusionen mehr. Das ist der erste Schritt, die Schwierigkeiten zu meistern.«
»Da magst du recht haben. Aber weißt du, was seltsam ist? Ich habe festgestellt, dass es mir gleich ist, was all die anderen zu unserer Liebe sagen. Mich kümmern nur die Dinge, die Maksim betreffen. Er ist unsterblich, ich werde alt und sterbe. Ich kann ihm keinen Erben schenken. Selbst wenn wir ein Kind haben sollten, würde es getötet werden. Das sind die Dinge, die mir im Kopf umhergeistern.«
»Nun, das sind auch die Dinge, über die ihr nachdenken solltet. Ob Emese, der Herr oder sonst wer einverstanden ist, das ist nicht wichtig. Das sagt meine Ella auch.« Er kratzte sich am Kopf. »Nun, dass Vampire länger leben als Menschen, das kannst du nicht ändern. Und falls ihr ein Kind haben solltet …. Gut, es wäre ein Ewiger. Aber das heißt nicht unbedingt, dass es getötet wird. Man könnte es dem Bund der Ewigen anvertrauen. Die haben ein Haus im Niemandsland, da, wo der Qanaxini-Fluss das Gebirge verlässt.« Er deutete mit dem Kopf zum See, aus dem ein Bach entsprang, der in einen zu den westlichen Grasländern führenden Fluss mündete.
»Es gibt einen Bund der Ewigen?«, fragte sie erstaunt. »Mit einem Haus im Niemandsland? Woher weißt du das?«
»Tja, Mädel. Ich war, bevor ich Wächter wurde, lange Zeit Jäger, habe die Festung mit Fleisch versorgt, da bin ich im Gebirge herumgekommen.« Warin grinste. »Glaubst du wirklich, du und der junge Herr seid die ersten mit diesen Problemen? Dann muss ich dich enttäuschen: Das gab es schon vor euch. Und es wird es auch nach euch noch geben.«
»Gab es das schon einmal hier auf der Festung?«, fragte Rodica begierig, sich stärker fühlend mit dem Wissen, dass sie nicht allein waren, dass es vielleicht genau zu diesem Zeitpunkt weitere Paare im Gebirge gab, denen es ähnlich erging.
Zu ihrer Überraschung schien Warin unangenehm berührt. »Ja«, sagte er zögernd, »das gab es schon.«
»Aber wer ...?«
Er sah sich kurz um und senkte die Stimme: »Aber versprich mir, dass du es nicht weitersagen wirst.«
»Versprochen.«
»Es war Emese. Als sie jung war, verliebte sie sich in einen Krieger. Er hieß Alvar.« Warin verzog das Gesicht. »Er kam kurz darauf in einer Schlacht um, aber Emese machte genau dieselben Erfahrungen wie du. Nun gut, bis auf das barbusige Flittchen.«
Emese! Rodica schüttelte verwundert den Kopf. »Deswegen ist sie so sehr gegen meine Verbindung mit Maksim. Sie will verhindern, dass ich Ähnliches erlebe.«
»Ja. Erst drei Winter nach Alvars Tod hat sie sich einen Mann genommen. Aber es fiel ihr schwer. Vazhas Geburt half ihr, ihr Schicksal und ihren Mann zu akzeptieren.«
Rodica hatte an Emeses Mann keine Erinnerungen. Er war kurz nach ihrer Ankunft auf der Festung beim Fischen im See ertrunken. »Danke, Warin. Das macht einiges klarer.« Sie zögerte. »Aber halt: Emese sagte etwas Ähnliches wie du. Das ›barbusige‹ Flittchen? Was ist da passiert zwischen Inam und Maksim? Mir sagte er nur, dass sie versucht hat, ihn zu verführen.«
Warin kicherte. »Ein paar der Zimmersklavinnen haben das mitbekommen, als sie den Flur vor dem Gemach des jungen Herrn putzten. So, wie es aussieht, wollte Inam den jungen Herrn verführen. Er kam in seinen Raum und da saß sie. Sie hat sich ausgezogen. Der junge Herr ist entsetzt in den Korridor geflohen und sie ging ihm nach, barbusig wie sie war. Na ja, dann kam Zelinkan um die Ecke. So kam eins zum anderen.«
Rodica starrte ihn ungläubig an. »Sie war … nackt … ich meine, sie hat ‒?«
»Ja.« Warins Grinsen wurde grimmig. »Sie hat tatsächlich geglaubt, dass der junge Herr sie zur Gefährtin will, wenn sie sich ihm halb nackt an den Hals wirft. Als Zelinkan dazwischenging, hat sie noch versucht, die Schuld auf den jungen Herrn zu schieben! Zita, eine der Zimmersklavinnen, sagt, sie habe behauptet, er hätte versucht, ihr Gewalt anzutun!«
»Was?!«
»Da ist Zelinkan richtig wütend geworden. Hinterher hat er ihr eine Standpauke gehalten, die man noch drei Gemächer weiter hörte. Und nachdem sie dich angefallen hat, hat er sie gezüchtigt, sagt Vazha.«
»Er hat sie geschlagen?«
»Tja, als sie abgereist ist, war ihr Gesicht verbunden.« Warin zuckte mit den Schultern. »Geschieht ihr ganz Recht, wenn du mich fragst.«
Kapitel 22
»Sie ist für dich.« Maksim lächelte.
Rodica hielt den Atem an. Die silberne Kette war rundherum mit kleinen sichelförmigen Anhängern besetzt. Sie ließ sie von ihren Fingern baumeln, sah entzückt, wie sich das Licht der Öllampen in den Anhängern brach. »Sie ist wunderschön«, flüsterte sie. »Wirklich, sie ist für mich?«
»Ja, schau, ich habe mir auch eine anfertigen lassen. Die Sicheln stellen den Mond dar, das Stammeszeichen der D’Aryun.« Maksim öffnete die beiden obersten Knöpfe seines Hemdes und zeigte ihr seine Replik der Kette. »Wenn wir getrennt sind, erinnern uns die Ketten aneinander.«
»Oh, Maksim. Ich würde doch auch so an dich denken. Ich danke dir.« Sie legte ihm die Arme um den Hals und küsste ihn. Er erwiderte den Kuss hungrig, bis sie sich lachend freimachte, umdrehte und das Haar hochhielt. »Nein, ich muss jetzt in die Küche. Legst du mir die Kette um?«
Seufzend nahm er das Schmuckstück, legte es um ihren Hals und ließ den Verschluss zuschnappen, um sie dann von hinten mit beiden Armen zu umfangen und ihren Nacken zu küssen. »Maksim.« Sie seufzte, ließ ihr Haar fallen und lehnte sich an ihn. Sein Kuss und sein starker Körper fühlten sich so gut an, doch sie riss sich zusammen. »Emese wartet. Ich muss gehen.«
»Also gut.« Er drehte sie zu sich um. »Dann geh zu Emese. Aber nachher bist du wieder hier, verstanden?«
Sie grinste. »Ja, junger Herr.«
Er verdrehte die Augen. »Hör auf, mich so zu nennen! Sei einfach bei Tagesanbruch in meinem Gemach.«
»Ja, … Maksim.« Sie küsste ihn zum Abschied, duckte sich aus seiner Umarmung und lief hinaus in den Gang.
»Bei Tagesanbruch!«, rief er ihr hinterher.
Sie lächelte und schloss die oberen Knöpfe ihres Kleids. Die Kette sollte ein Geheimnis zwischen Maksim und ihr bleiben. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, was Emese und Vazha zu dem Geschenk sagen würden. Nach dem, was Warin ihr erzählt hatte, verstand sie ihre Ziehmutter zwar ein wenig besser, aber es war ihre Liebe. Wie schwierig es werden konnte, hatten Maksim und sie durch die Episode mit Inam erfahren. Körperlich hallte das Erlebnis nach. Die Wunde am Handgelenk heilte nur langsam ab und der Blutverlust machte sich ab und zu über Schwindel und Übelkeit bemerkbar. Doch sie hatten es durchgestanden und Rodica war sich nach der Überwindung des Schocks sicher, dass sie auch alles andere meistern würden.
Mit diesen Gedanken betrat sie die Küche, wo Emese sie mit dem Ausruf »Da bist du ja endlich!« begrüßte. Sie musste Holz holen, Asche aus den Feuerstellen in der Küche und der Halle entfernen und neue Feuer entzünden. Danach striegelte sie die Pferde und half beim Melken der Ziegen. Schließlich machte sie sich erschöpft auf den Weg zu Maksims Gemach.
Er war noch nicht da und so rollte sie sich in einem der Sessel zusammen und schloss die Augen, um sich einen Moment auszuruhen. Sie wachte auf, als