So viele Killer: Vier Kriminalromane. Alfred Bekker

So viele Killer: Vier Kriminalromane - Alfred Bekker


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      Eine Stunde später hatte sich das Rätsel gelöst, das freilich für die beiden Beamten schon nach dem ersten Schuss kein Rätsel mehr gewesen war:

      Bei dem Getöteten handelte es sich um den ledigen, seit zwei Jahren stellungslosen Importkaufmann Gordon Tresk. „Mister Fitzherbert“, war die letzte Ausflucht eines in die Enge Getriebenen gewesen, der dadurch allerdings dem selbstverschuldeten Untergang auch nicht mehr hatte entgehen können.

      Die Mordkommission erschien mit ihrem Beamtenstab, eine Spezialkommission des C.I.D., und sogar Superintendent Heytesbury und Colonel Ashburton tauchten vorübergehend auf. —

      Am späten Abend fand in Heytesburys Dienstzimmer eine Konferenz statt, an der außer dem Superintendenten Inspector Taggart, Sergeant Hulbert und Colonel Ashburton sowie ein weiterer Beamter vom Generalstabsgeheimdienst teilnahmen, der als Major Playfort vorgestellt wurde. —

      Der Superintendent räusperte sich, und die andern sahen ihn gespannt an.

      „Über die näheren Umstände von Tresks Tod möchte ich kein Wort verlieren“, begann der Superintendent, „denn die Tatsachen sprechen klar und eindeutig für Taggart und Hulbert. Eindeutig geklärt ist auch, dass es Tresk war, der gestern Abend auf den Inspector einen Mordanschlag verübt hat. Das ist alles, was ich zu sagen habe ...“ — Heytesbury deutete mit dem Kinn auf Taggart — „... jetzt sind Sie dran, mon cher.“

      Der Inspector sah von seinen Aufzeichnungen auf. „Gordon Tresk war nicht vorbestraft und genoss einen guten Leumund. Bis vor zwei Jahren war er Managing Director der Chingfort Export-Import-Company. Bei dieser Firma schied er freiwillig aus, obwohl man sich die größte Mühe gab, ihn zu halten. Was er danach trieb, ist unklar. Von größeren Reisen — insbesondere Auslandsreisen — ist nichts bekannt. Nicht minder unklar ist, wovon er nach Aufgabe seiner Stellung gelebt hat, da sein Bankkonto kaum Kontokorrent-Bewegungen ausweist, und am heutigen Tage einen Guthabensaldo von etwas mehr als fünfhundertfünfzig Pfund Sterling. Die Haussuchung verlief negativ. Seine Beziehungen zu Eleanor Peacock sind familiärer Natur; er war ihr Stiefbruder.“

      „Ach, herrje!“, kläffte der Super.

      „Das ist auch schon alles, Sir — wenigstens für den Augenblick.“

      „Wir haben Miss Peacock in die Zange genommen“, ergriff Major Playford das Wort. „Natürlich weiß sie nichts von dem gemeinen Anschlag auf Taggart, natürlich war sie über die Nachricht vom Tode ihres Stiefbruders aufs Tiefste erschüttert, natürlich hat sie ihn vor langen Monaten zuletzt gesehen und gesprochen. Und das Ferngespräch, das sie in der vergangenen Nacht mit ihm geführt hat, wollte ich ihr nicht vorhalten, weil sie anderenfalls jetzt wusste, dass man ihren Telefonanschluss überwacht. Die Recherchen über Captain Benhams Auslandstätigkeit laufen in Paris, Berlin, Brüssel und Rom, sind aber bis jetzt ergebnislos geblieben, was angesichts der kurzen Zeit niemanden verwundern dürfte. Im Übrigen sollten wir kurz treten und zunächst den Komplex Benham — Peacock — Tresk dilatorisch behandeln, da die Genannten meiner Meinung nach einem großen, den zuständigen Behörden seither unbekannt gebliebenen Rauschgiftring angehören. Jetzt gilt es, das Wild nicht zu vergrämen.“

      „... denn hier kommt es nicht auf das kleine Rädchen Eleanor Peacock an, sondern auf die großen Bosse im Hintergrund!“, pflichtete ihm Heytesbury bei. — Man trennte sich ohne greifbares Ergebnis.

      *

      „Ich weiß, ich bin unverschämt“, sagte Major Playford nach der Konferenz zu Taggart, „aber ich möchte Sie und Sergeant Hulbert heute Abend noch kurz sprechen, wenn es irgend möglich ist.“

      „Gehen wir in mein Büro“, schlug der Inspector seufzend vor, „grundlos werden Sie mich ja nicht gerade belästigen, wie?“

      „Darauf können Sie spucken!“, sagte der mittelgroße, drahtige Offizier burschikos. „Muss Ihnen einmal sagen, Taggart, wie sehr es mir imponierte, dass Sie Helen Craigie als Lorna Chilten identifiziert haben.“

      Thomas Playford musste etwa fünfundvierzig sein, wirkte aber gut zehn Jahre jünger. Seine ganze Erscheinung war die eines Leistungssportlers der Altersklasse. Dazu passte sein längliches, schmales Gesicht mit dem gebräunten Teint, den hellblauen Augen und den blitzenden, regelmäßigen Zähnen recht gut, während es Intelligenz und Wissen geschickt verbarg. Dass beides vorhanden war, ließ sich angesichts der Position des Majors nicht gut anzweifeln.

      „Drei Prozent Erfahrung, zwei Prozent Gewusst-wie, ein Prozent Gedächtnis, vier Prozent Psychologie und neunzig Prozent Glück“, meinte Taggart leichthin, „da haben Sie mein Geheimrezept.“

      „Ah — bescheiden sind Sie also auch noch, mein Bester! Sie gefallen mir.“

      „Das hab' ich Colonel Ashburton abgeguckt ...“

      Playford lachte schallend. „Darin ist Philip allerdings unerreichtes Vorbild!“

      Inzwischen hatten sie Taggarts Büro erreicht, und der Sergeant erbot sich, Kaffee zu kochen — wogegen die beiden andern nichts einzuwenden hatten. Der Major setzte sich zu dem Inspector an den Rauchtisch und sagte offen:

      „Wenn wir auch in manchen Punkten die gleiche Schulung haben — Sie und ich — so sind Sie mir doch als Kriminalist weit überlegen. Deshalb würde es mich interessieren, Ihre Ansicht über den Fall Elga Ashburton zu hören.“

      „An Bescheidenheit stehen Sie mir in nichts nach, mon cher“, grinste der Inspector und bediente sich aus dem Etui des Majors. „Wenn Sie eine amtliche Theorie zu hören erwarten, muss ich Sie enttäuschen. Ich habe keine. Denn Theorien sind bei uns an gewisse Grundlagen gebunden, die im Fall Ashburton fast völlig fehlen.“

      Playford nickte verständnisvoll.

      „Meine unmaßgebliche Privatansicht dagegen ist kein Geheimnis. Wenn ich sie linear-schematisch entwickle, dann nur, um meiner Darstellung die Übersicht zu erhalten.“

      Jetzt endlich ließ er sich Feuer geben, rauchte genussvoll einige Züge und sprach weiter:

      „Das Problem: Klärung von Elga Ashburtons Schicksal seit 21. August, dreizehn Uhr dreißig.

      Seitheriges Ergebnis: Zweieinhalb Tage später war Elga noch am Leben und augenscheinlich Herr ihrer selbst. Siehe Aussage Benham.

      Nebenergebnis: A: Zugehörigkeit des Zeugen Captain Benham zu einem Rauschgiftring in Gemeinschaft mit seiner Braut Eleanor Peacock und deren Stiefbrude r Gordon Derek Tresk.

      B: Feststellung, dass Ort, wo Elga zuletzt gesehen, also Dunster Castle, Verbrecherschlupfwinkel.

      C: Freundin des Ehepaars Helen Craigie war 1944 unter ihrem richtigen Namen — Hermione Lorna Chilten — spionageverdächtig und wurde damals nur durch eine Verkettung für sie günstiger Zufälle vor der Verurteilung bewahrt.

      D: Korrespondenz Elgas mit J.T., Worcester: vermutlich laufende Geldsendungen an diesen. J.T. kann die Abbreviatur für Juro Todd — den Namen von Elgas Vater — durchaus sein.

      Deduktive Überlegungen:

      Ad A: Ob Benham und Genossen in den Wirbel um Elgas Verschwinden verwickelt sind, wird sich zeigen. Simon Suglar hat sich der Beschattung durch die Organe der Grafschaftspolizei entzogen und ist verschwunden. Man sucht ihn angeblich auf Dunster Castle wie die berühmte Stecknadel im sprichwörtlichen Heuhaufen.“

      Sergeant Hulbert, der eben auf einem Tablett eine dampfende Kanne nebst drei dicken Tassen, Zuckerdose und Milchbüchse hereinbrachte, hatte die letzten Worte seines Vorgesetzten mitangehört und bemerkte düster:

      „Demnach heißt Samuel Sherwood jetzt Simon Suglar. Und verschwunden ist er. Den sehen wir unter Umständen niemals wieder. Die Moore von Somerset haben Platz für viele.“

      „... nicht zuletzt auch für Elga Ashburton, geborene Todd“, murmelte Playford scheu. „Hell and damnation — wenn jetzt noch jemand spurlos verschwindet, explodiere ich und beginne Zeter und Mordio zu schreien!“

      *

      Hulberts


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