So viele Killer: Vier Kriminalromane. Alfred Bekker

So viele Killer: Vier Kriminalromane - Alfred Bekker


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nicht länger ertragen zu können ...“

      Der Super lief krebsrot an und unterbrach ihn wütend:

      „Nehmen Sie gefälligst zur Kenntnis, Taggart, dass meine Frau vierundzwanzig Jahre jünger ist als ich, und dass meine schlaffen Krampfadern — äh ...“ Weil er sich verheddert hatte, ärgerte er sich, und weil er ärgerlich war, fand er den Faden nicht sofort wieder.

      „Ausnahmen bestätigen die Regel!“, warf Taggart — die Situation ausnützend — sanft ein. „Well, werde zusehen, was sich tun lässt. Eine Bitte, Sir: Ich brauche eine offizielle Anordnung des Innenministers an das C.I.D., den Fall Ashburton zu bearbeiten ...“

      „In goldenem Rahmen, wie?“

      „Nee!“, grinste der Inspector. „Hier in meiner Tasche. Dann darf ich im gesamten Gebiet des Vereinigten Königreiches nach Herzenslust amtswandeln, ohne erst die lieben Kollegen von den Stadt- und Grafschaftspolizeibehörden kniefällig um Erlaubnis bitten oder zuziehen zu müssen.“

      „Nonsens!“, schnaubte der Super. „Der Innenminister wird mich auslachen, wenn ich eine entsprechende Bitte ...“

      „Dann mag sich Seine Lordschaft selbst mit dem Fall beschäftigen, Sir! Ich habe nicht die Absicht, eine Indiskretion zu riskieren und auch noch die Verantwortung dafür zu tragen.“

      „Herr! Sie machen die Ausführung einer dienstlichen Anordnung von der Erfüllung gewisser Bedingungen abhängig! Dergleichen ist bei New Scotland Yard ohne Beispiel. — Gehorchen Sie, Herr! Gehorchen Sie!, habe ich gesagt oder ich werde ein Dienst-Strafverfahren gegen Sie einleiten!“

      „Aye, aye, Sir!“ Taggart hatte sich blitzschnell erhoben und hielt gelassen den blitzenden Blicken seines Vorgesetzten stand. „Gleichzeitig bitte ich, Sir, mir ehebaldigst eine persönliche Meldung beim Deputy Assistant Commissioner zu ermöglichen. Inhalt: Beschwerde meiner Wenigkeit über Superintendent Heytesbury.“

      „Inspector Taggart — was erdreisten Sie sich!“ Der Super war einem Schlaganfall nahe.

      „Pardon, Sir — von ,Erdreisten' kann wohl nicht die Rede sein, denn ich nehme lediglich korrekt meine Rechte wahr, wie Sie auch. Falls ich die Situation falsch sehe, erbitte ich gehorsamst eine entsprechende Belehrung.“

      „Gut — Sie — werden — Ihren — Wunsch — erfüllt — sehen ...!“, steckte der hohe Beamte um, denn Taggarts Wunsch war absolut berechtigt. — „Noch etwas: Sie sind von allen anderen Aufgaben freigestellt. Halten Sie mich auf dem Laufenden. Abtreten!“

      „Sehr wohl, Sir! Inspector Taggart meldet sich ab!“

      *

      Mit seinen eins achtundsechzig wirkte Sergeant Hulbert dem Inspector gegenüber unscheinbar und farblos. Er hatte Geheimratsecken und das Aussehen eines mittleren Bankbeamten. Außerdem war er zehn Jahre älter als Taggart, und um Klassen bescheidener gekleidet, denn er lebte vom Gehalt, Taggart dagegen im Wesentlichen von den Zinsen seines Vermögens. — Chris Hulbert sah auf, als sein Vorgesetzter schwungvoll das Büro betrat, und fragte grinsend: „Haben Sie etwa wieder den Direktor geärgert, Sir? Sie sehen nämlich so glücklich und zufrieden aus. Einmal wird das mit dem Super und Ihnen ein schmähliches Ende nehmen, wenn ich mir diese freimütige Bemerkung gestatten darf!“ Er rieb sich blitzschnell die Hände. „Was ist los, Sir? Ein neuer Leckerbissen in der Austernschüssel?“

      „So ähnlich, Chris!“ Taggart nahm seufzend Platz. „Sollen uns als Babysitter betätigen. Leider ist das Baby bereits in den Brunnen gefallen ...“

      Hulbert hörte seinem Inspector schweigend zu und sagte erst, als Taggart seinen Bericht beendet hatte, unbewegt:

      „Sieht fast so aus, als wolle Heytesbury uns reinlegen! — Da geht also die Gattin eines Ministerialbeamten stiften und wird ausgerechnet von einem Hilfsarbeiter des gleichen Ministeriums zuletzt gesehen. Man könnte — goddam! — auf die charmantesten Überlegungen kommen. Außerdem ist Inspector Strush eher von übermorgen als von vorgestern. Wo er die Waffen gestreckt hat, ist auch für Sie nicht viel zu holen, Sir, was Sie mir gefälligst nicht als Respektlosigkeit anzukreiden die Güte besitzen wollen. Darf ich Vorschläge machen?“

      „Was denn sonst?“ Taggart, der seinem Adlatus voll und ganz recht gab, nickte düster.

      „Beginnen wir im Hause Colonel Ashburtons, Sir, und teilen wir uns die Arbeit; Sie sprechen offiziell mit dem gramgebeugten Gatten, ich verhandle inoffiziell mit dem weiblichen Personal.“ Der Sergeant sah Taggart aufmunternd an und spitzte dabei die Lippen wie zum Kuss.

      „Einverstanden!“, nickte der Inspector sauersüß. Gedankenvoll fügte er hinzu:

      „Jammerschade, Chris, dass Sie bei uns versauern, welch vollendeten Heiratsschwindler hätten Sie abgegeben!“

      „Ich bin eben ein Naturtalent!“, sekundierte der Sergeant geschmeichelt. „Wenn Sie wie ein griechischer Apoll des zwanzigsten Jahrhunderts daherkommen, denken die Mädchen: Ein Don Juan, gefährlicher noch als die H-Bombe, während sie sich bei meinem Anblick sagen: Der trostlose Gartenzwerg meint es ehrlich, sonst würde er gar nicht den Mut aufbringen, mit einer Klassefrau meiner Art zu liebäugeln!“

      „Leider haben die armen Mädchen Unrecht!“, seufzte Taggart. „Sei dem, wie ihm wolle: Beide werden eines Tages in die Falle gehen — der Gartenzwerg und der Don Juan ...“

      „Der Herr behüte uns!“, kommentierte Hulbert entsetzt.

      *

      Nach dem Abendessen fuhr Taggart in seinem schwarzen Cisitalia nach Kensington und bog dort in eine stille Villenstraße ein. Suchend fuhr er am Bordstein entlang, bis er Nummer dreiundzwanzig Western Gardens gefunden hatte und dicht vor dem Portal stoppte. Von Big Ben hallten acht Glockenschläge herüber, als er auf den Klingelknopf über dem schlichten Schild: „Philip Ashburton“ drückte.

      Ein baumlanger, knochiger Kerl öffnete und fragte nach den Wünschen des Besuchers.

      Ehemaliger Berufs-Unteroffizier, überlegte der Inspector taxierend und sagte freundlich, er komme auf Empfehlung von Mr. Heytesbury und wünsche Colonel Ashburton zu sprechen.

      Der Diener nickte schweigend und führte den Besucher durch eine kleine Empfangshalle, die mit dicken Teppichen ausgelegt war, in ein feudales Herrenzimmer.

      „Der Colonel wird gleich zu Ihrer Verfügung stehen, Sir“, sagte der Diener unbewegt. „Bitte Platz zu nehmen.“

      Das Zimmer war nicht nur luxuriös, sondern auch mit sicherem Geschmack eingerichtet. Der Fußboden war von einem weinroten Teppich völlig verdeckt. In der Fensterecke stand ein Teakholzschreibtisch und dahinter ein mächtiger Ledersessel, in der anderen eine Gruppe von fünf gleichen Clubsesseln. Die Mauer dahinter war als Bücherwand ausgebaut. Nach interessierter Besichtigung taxierte Taggart den Wert der Einrichtung auf etwa zweitausendfünfhundert Pfund und den der Bücher auf die gleiche Summe.

      Das Ticken einer kostbaren Standuhr war das einzige Geräusch im Raum.

      Nach einigen Minuten näherten sich auf dem Korridor energische Schritte, die Tür wurde aufgerissen, ein schlanker, breitschultriger Mann im bequemen Hausanzug trat ein, ging zum Schreibtisch, wo sich der Inspector höflich erhoben hatte, und blieb breitbeinig stehen.

      „Ich bin Colonel Ashburton“, sagte er barsch, während er Taggart durch sein randloses Monokel scharf fixierte. „Sie kommen vom Yard? Was ist los? Was wollen Sie?“

      Taggart stellte sich vor und deutete kurz an, dass er von Inspector Strush „den bewussten Fall“ übernommen habe.

      „Ja?“, sagte der Colonel vage und fuhr böse fort: „Es war höchste Zeit, dass der hirnlose Trottel Strush die Angelegenheit abgegeben hat ...“

      Während er sich weiter in ärgerlichen Ausrufen und beleidigenden Anspielungen erging, betrachtete Taggart sein Visavis in aller Ruhe. Colonel Ashburton war ein großer, auffällig gut gewachsener Mann und machte ganz den Eindruck, als sei mit ihm nicht gut Kirschen essen. Er hatte ein schmales,


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