So viele Killer: Vier Kriminalromane. Alfred Bekker

So viele Killer: Vier Kriminalromane - Alfred Bekker


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aufregte — und im Augenblick regte er sich auf — arbeiteten die kräftigen Backenmuskeln unter der straffen, blau rasierten Haut. Sein Anzug bestand aus einer grauen Flanellhose und einer dunkelblauen Rauchjoppe. Darunter trug er ein reinweißes Seidenhemd mit steifem Kragen und einer 0ld-Harrow-Krawatte. Die langen Arme hingen ruhig und diszipliniert am Körper herab und endeten in edel geformten Händen, auf deren Rücken schwarzer Flaum wucherte. Die überraschend kleinen Füße staken in Mokassins teuerster Qualität.

      „Anstatt mir meine Frau wiederzubringen, legt der Narr die Hände in den Schoß und dreht Däumchen“, bellte Ashburton ärgerlich. „Und dabei habe ich im Augenblick eine langwierige Aufgabe zu erledigen, die — ich darf es wohl sagen — von historischer Bedeutung ist. Leute vom Schlage eines Strush sollte man in kochendem Teer baden und anschließend aufhängen.“

      Alles in allem hatte Taggart den Eindruck, einer ungewöhnlichen Persönlichkeit gegenüberzustehen, die in jeder Hinsicht den Durchschnitt weit überragte. Wenn der Colonel von seiner Arbeit als von einer historisch bedeutsamen sprach, so war das keine Prahlerei, sondern schlichte Tatsache, die auszusprechen er sich nicht scheute, weil er es in seiner tiefverwurzelten arroganten Selbstsicherheit für ausgeschlossen hielt, von irgendjemandem missverstanden zu werden.

      „Pardon, Sir“, warf Taggart scharf ein, „ich ersuche Sie dringend, sich zu mäßigen. Inspector Strush ist alles andere als ein Narr — sondern, ganz im Gegenteil, ein ungewöhnlich fähiger Beamter. Narren kann man nämlich beim C.I.D. so wenig brauchen wie beim Kriegsministerium. Sie sollten sich schämen, über einen Abwesenden so hart zu urteilen, der sich gegen Ihre Vorwürfe nicht verteidigen kann und dessen Arbeit Sie gar nicht zu würdigen verstehen.“

      „Wie ... bitte?“, fragte Ashburton im Ton ungläubigen Erstaunens. „Sie wagen es tatsächlich, mir in meinem eigenen Hause Vorhaltungen zu machen?“

      „Wie würden Sie sich verhalten, Sir, wenn ich in meiner Wohnung in Ihrer Gegenwart einen Ihrer Kameraden vom Kriegsministerium als hirnlosen Narren qualifizieren würde?“

      Ashburton ließ die Frage offen. „Streiten wir uns nicht!“, befahl er finster. „Sagen Sie lieber klar und deutlich — und so kurz wie möglich — was Sie von mir wollen. Alle Aufklärungen, die ich geben konnte, habe ich bereits Ihrem ...“ — er unterdrückte gerade noch rechtzeitig eine beleidigende Äußerung — „... Kollegen Strush gemacht. Sie vergeuden also nur Ihre und meine Zeit.“

      „Erlauben Sie, dass ich anderer Meinung bin“, wandte Taggart unerschüttert ein. „Ich nehme an, dass ich Platz nehmen darf ...“ Er setzte sich ganz einfach neben die Bücherwand, zog sorgfältig die Bügelfalten seiner gutsitzenden Hose hoch und präsentierte dem Offizier sein Zigarettenetui.

      Ashburton ließ sich tatsächlich überrumpeln. Er nahm ebenfalls Platz, bediente sich und zündete seine Zigarette an dem ihm höflich hingehaltenen Feuerzeug des Inspectors an. Er nahm einen tiefen Zug, blies den Rauch durch die Nase aus und sagte, ehe Taggart seinerseits das Wort ergreifen konnte:

      „Unsere Ehe ist glücklich; ich habe meine Frau sozusagen auf Händen getragen. Elga hat sich tadelsfrei in den Rahmen eingefügt, den ich ihr bieten konnte. Von einem Liebhaber kann nicht die Rede sein, ebenso wenig von einer Verbindung zu ausländischen Agentengruppen. Außer Helen Chilten in Epsom besitzt sie keinerlei intime Freunde. Für Miss Chilten lege ich die Hand ins Feuer. Ich kenne sie wesentlich länger als meine Frau. Am Tag ihres Verschwindens war Elga ruhig und gelassen, wie an allen Tagen unserer Ehe. Schlussfolgerung: Sie muss einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein! Wenn sie nicht mehr am Leben wäre, würde mich das tief treffen, aber nicht umbringen. Das Schlimmste ist die Ungewissheit. Ich muss Gewissheit haben ...“ — er beugte sich vor, riss die Augen auf und brüllte den Inspector an: „Ich muss Gewissheit haben, Taggart, haben Sie verstanden? Und Ihre Pflicht ist es, mir diese Gewissheit unverzüglich zu verschaffen! Klar?“

      „Soweit Lautstärke mein Begriffsvermögen schärft, durchaus“, parierte der Inspector eisig, dem Colonel Ashburton von Sekunde zu Sekunde unsympathischer wurde. Du bist genau der Mann, bei dem sich eine Frau im siebten Himmel fühlt!, dachte er verächtlich. Höchstwahrscheinlich hat eure Putzfrau von Elgas Psyche mehr mitbekommen, als du arroganter Pinkel! „Ihre Mitteilungen bedeuten für mich immerhin eine gewisse Klärung“, sagte er unbewegt, „aber Ihrer Schlussfolgerung kann ich mich nicht anschließen. Am 21. August ist Ihre Gattin verschwunden, zweieinhalb Tage später wurde sie in Somerset gesehen, und verwunderlicherweise ausgerechnet von einem Manne, der nicht nur — wie Sie — Offizier, sondern auch noch im gleichen Ministerium beschäftigt ist.“

      „Das ist doch reiner Zufall!“

      „Wir Kriminalisten glauben nicht an Zufall! Captain Benham hat ausgesagt, er habe sich zusammen mit seiner Braut auf der Fahrt von Lynhead nach Minehead verirrt, und dann zu allem Unglück eine Autopanne gehabt. Ihre Gattin sei aus Richtung Dunster Castle eilig zur Bezirksstraße vorgegangen, dort in eine wartende schwarze Daimler-Limousine eingestiegen und mit dieser weitergefahren. Er, Benham, habe durchaus gewusst, dass Mrs. Elga vermisst werde, und hätte sofort die Verfolgung des Daimlers aufgenommen, wenn ihn nicht der Motorschaden seines eigenen Wagens daran gehindert hätte. Das von Captain Benham geschilderte Verhalten Ihrer Gattin deutet ganz und gar nicht auf ein Verbrechen hin, sondern vielmehr darauf, dass sie sich in jeder Hinsicht im Besitz ihrer Handlungs- und Entschlussfreiheit befand.“

      Ashburton ließ sich nicht überzeugen. Er runzelte drohend die Stirn und versetzte heftig:

      „Sie faseln, Mann! Ich kenne tausend Möglichkeiten, Elgas Verhalten auch eine andere Deutung zu geben. Vielleicht hat man sie hypnotisiert, vielleicht stand sie unter dem Eindruck einer enthemmenden Droge, vielleicht auch hat man sie erpresst — wenn ich mir auch keinen Grund dafür denken kann. Die wohlfeilste Lösung allerdings wäre, dass Benham gar nicht Elga gesehen hat, sondern eine Frau, die ihr in Figur und Bewegungen ähnelte. Bedenken Sie, Inspector, dass es eine düstere Neumondnacht war, in der der Captain selbst bei der geringen Entfernung von etwa fünfunddreißig Metern sehr leicht einer Täuschung zum Opfer gefallen sein kann. So dürfte — nein, so muss es ganz einfach gewesen sein! Sofern Sie sich die Mühe genommen haben, die Akte sorgfältig zu studieren, wird Ihnen aufgefallen sein, dass Hammond Waynal, der Besitzer von Dunster Castle, energisch abgestritten hat, Elga zu kennen und sie bei sich zu Besuch gehabt zu haben, dass er aber etwa zu der Zeit, zu der Benham seine Beobachtung gemacht haben will, von einer Dame — hm! — verlassen worden sei, deren Namen er als Gentleman selbstverständlich nicht nennen, aber dafür auf Ehrenwort versichern könne, dass es sich nicht um Elga Ashburton, geborene Todd, gehandelt habe.

      Wenn Sie sich das alles selbst vor Augen geführt und überlegt hätten, wäre das ganze idiotische Fragespiel vermieden worden, das uns beide nur unnütz aufgehalten hat!“

      Ebenso wortlos wie seelenruhig erhob sich der C.I.D.-Beamte. Er nickte verabschiedend, wandte sich auf dem Absatz um und schritt zur Tür.

      „Halt!“, zischte Ashburton mit nur mühsam bewahrter Fassung. „Wo gehen Sie denn hin?“

      Taggart wandte sich um und erwiderte in gleichem Ton:

      „Ich enthebe Sie lediglich der Notwendigkeit, weiterhin an einen Idioten Ihre Zeit zu verschwenden! Guten Abend!“

      „So seien Sie doch kein Frosch, Mann!“ Mit einem plötzlichen Ruck hob der Colonel den Kopf und sah Taggart verblüfft, wie unter einer plötzlichen Eingebung mit jäh erwachendem Interesse an. „Unter Männern braucht man doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen! Da fällt mir übrigens ein — sind Sie mit Commodore Taggart verwandt?“

      „George Taggart ist mein Vetter; der einzige Sohn des ältesten Bruders meines Vaters.“

      „So!“, stammelte der Colonel ehrlich verblüfft. „Demnach wären Sie der Sohn von Admiral Taggart ...?“

      „Sehr richtig, Sir! Ein wahres Glück, dass mein Vater im Krieg geblieben ist; die Erkenntnis, einen Idioten in die Welt gesetzt zu haben, würde ihn vermutlich tief betrüben.“

      Mit einem Sprung stand Ashburton neben Taggart und streckte ihm die Hand entgegen.

      „Legen


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