Final Game. Valuta Tomas

Final Game - Valuta Tomas


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Stewart-Sanchez«, lächelt die gute Frau »Ihre Frau schläft. Sie befindet sich nicht mehr in diesem tiefen Koma wie sie es von den letzten Wochen her kennen. Bewegungen sind da ganz normal. Sie bekommt zwar noch immer Beruhigungsmittel, aber dass der Körper sich von alleine bewegt, ist das beste Indiz dafür, dass er die Medikamente gut verarbeitet. Es ist also nur von Vorteil wenn sich Ihre Frau eigenständig bewegt.« Das Grinsen auf dem Gesicht der Krankenschwester ist so beschämend für Sam, dass sie es ihr am liebsten aus dem Gesicht schlagen würde. Aber sie beherrscht sich und kehrt zum Zimmer zurück.

      Leise betritt sie dieses, geht an das Bett und kniet sich neben Neves Kopf auf den Boden. Mit Tränen der Erleichterung schaut sie ihr beim schlafen zu. Die Atemmaske verdeckt die Hälfte von Neves wunderschönem Gesicht, aber das stört nicht. Im Gegenteil, denn dadurch, dass die Maske beim ausatmen beschlägt, weiß Sam, dass die Atmung ganz alleine von Neve getätigt wird. Dass sie keinen Schlauch mehr im Hals stecken haben muss, der das Atmen für sie übernimmt. Ein besseres Zeichen dafür, dass das Herz seine Arbeit gut aufgenommen und die Aufgabe gewissenhaft ausübt, gibt es gar nicht.

      Blind greift Sam nach Neves Hand und streicht ihr sanft über den Kopf. Alleine hier sein zu können und das alles machen zu dürfen, mit dem Wissen, dass Neve irgendwann wieder nach Hause kommen wird, bereitet Sam eine freudige Gänsehaut. Neve wird wieder heimkommen. Irgendwann wird sie wieder zuhause sein.

      Sam schreckt etwas auf, als sie sehen kann, wie sich Neves Augäpfel bewegen. Wild wandern sie hinter den geschlossenen Lidern hin und her. Hektisch blickt Sam zur Maske zurück. Die Atmung ist gleichbleibend. Nichts deutet darauf hin, dass ihre Frau körperliche Probleme hat. Die Augen fliegen aber noch immer von einer Seite zur anderen, bis sie schlagartig stehen bleiben. Etwas entspannter sinkt Sam wieder in sich zusammen, betrachtet ihre Frau und streicht ihr erneut über den Kopf.

      Nach wenigen Minuten werden ihre Augen ganz groß, als sich Neves Lider bewegen. Zittrig versuchen sie sich zu öffnen, bleiben aber verschlossen. Solange bis Neve den nächsten Versuch startet. Nur flackernd kann sie die Lider hochschieben, bis Sam die ersten Millimeter von Neves Augen sehen kann. Vor Freude könnte sie zu weinen anfangen, befiehlt sich aber stark zu sein.

      Neves Augen schnellen zittrig hin und her, bis sie nach und nach einen Fokus aufnehmen. Die Lider sind halb geöffnet, dennoch scheint sie das Objekt vor sich wahrnehmen zu können.

      Sams Herz überschlägt sich vor Freude und Aufregung. Die kleinen Freudetränen in ihren Augen kann sie nicht halten. Es geht beim besten Willen nicht.

      »Hallo, schöne Frau«, flüstert sie und streicht Neve weiterhin über den Kopf. Neves Augen wandern ziellos umher, bis sie Sam erneut fokussiert.

      Durch die kleine Bewegung am Kiefer kann Sam sehen, dass Neve etwas sagen will. Aber bis auf Atem der die Maske beschlägt, entweicht nichts ihrer Kehle.

      »Nicht«, hält Sam ihre Frau von dieser eigentlich normalen aber schweren Handlung ab. Neves Kiefer bewegt sich wieder zurück. Sie schluckt und schließt die Augen. Ihr Gesicht verzieht sich kurzzeitig zu einer schmerzverzerrten Maske. Neves Hals muss sich wie scharfkantiges Gebilde anfühlen. Ihre Augen fallen kurz zu, dann nimmt sie wieder mit aller Kraft den Fokus auf. Für Sam sieht es allerdings aus, als wenn Neve zwei Flaschen Scotch intus hat und nichts mehr kontrollieren kann. Alles schwankt wild hin und her.

      Mit einem Mal kann sich Sam nicht mehr halten. Sie erhebt sich und vergräbt ihr Gesicht vorsichtig in Neves Halsbeuge. Haltlos beginnt sie zu weinen.

      »Ich versuche es, Schatz. Ich versuche es wirklich, aber ich schaffe es einfach nicht. Ich kann ohne dich nicht sein. Es klappt einfach nicht. Ich weiß nicht wie ich ohne dich sein soll … wie ich ohne dich funktionieren soll. Für mich ist das absolut unmöglich.« Sam weint ihre Hilflosigkeit heraus, bis sie sich von ihrer Frau löst und sich wieder hinkniet. Erschrocken blickt sie auf die kleine Träne die aus Neves Auge tritt und langsam über die Nase rollt. Auch wenn Neve dem besten Alkoholiker mit ihrem schwankenden Blick Konkurrenz macht, kann Sam diese maßlose und unendliche Liebe ins Neves Augen erkennen, die sie in diesem Augenblick für die junge Frau empfindet.

      »Nicht weinen, Schatz. Oh Gott, es tut mir leid ….« Verzweifelt, hilflos und überfordert wischt Sam vorsichtig die Träne weg. Sie verflucht ihren Gefühlsausbruch. Neve hat eben erst die Augen geöffnet und Sam überfällt sie schon wieder mit ihrer Gefühlsduselei, nur weil sie zu doof ist, ohne Neve zu leben.

      Mit einem Anflug eines kleinen Lächelns in den Augen, schaut Neve ihre Frau an und schließt die Augen bewusst für einen längeren Augenblick. Dann schaut sie Sam so fest wie möglich an. Sam braucht ein paar Schreckmomente bis sie diese kleine Geste versteht.

      »Du kommst nach Hause, nicht wahr?«, lächelt sie vorsichtig. Wieder schließt Neve die Augen. Sam lacht erfreut, greift nach Neves Hand und küsst diese gefühlte tausend Mal.

      »Und ich werde da sein und dich gebührend empfangen«, lächelt Sam verliebt. Glücklich schaut sie dabei zu, wie sich Neves Augen ein weiteres Mal schließen, sich danach aber nicht mehr öffnen. Neve geht neuen Träumen nach und tankt Kraft für die nächste Gefühlsattacke ihrer Frau.

      ***

      Mit leuchtend großen Augen steht Precious am Nachmittag neben Neves Bett. Auch wenn Sam ihr sagte, dass es nicht sicher sei, ob Mummy wach wäre, wollte die kleine Maus zu ihrer Mutter. Sie wollte sie einfach sehen, mehr nicht.

      »Mummy hat den Schlauch gar nicht mehr im Mund«, stellt sie erstaunt fest. Sam tritt hinter sie und streicht ihr zaghaft über den Kopf. Ihre Augen verweilen auf Neve, die noch immer mit dem Kopf zur Seite gedreht, schläft und nichts von dem kleinen Besuch mitbekommt.

      »Nein, den braucht sie jetzt auch nicht mehr. Sie kann wieder alleine atmen. Sie wird aber noch sehr lange diese Maske tragen müssen, die ihr beim atmen hilft.« Neugierig blickt Precious zu ihr hoch.

      »Warum?« Wie mittlerweile gewohnt, setzt sich Sam auf den Stuhl und zieht Precious auf ihren Schoß.

      »Manchmal fühlt man sich morgens beim aufstehen doch immer total schlapp und ohne Kraft, oder?« Precious nickt interessiert.

      »Das ist, wenn sich die Muskeln im Körper während des Schlafs entspannt haben. Dann fehlt ihnen die nötige Kraft, um richtig zu arbeiten. Und weil Mummys Atemmuskulatur die letzten Wochen nicht alleine arbeiten konnten, sondern das die Maschine für sie übernahm, sind Mummys Muskeln jetzt natürlich kleiner und schwächer geworden. Mummy muss die Muskeln erst wieder trainieren und ihnen zeigen, wie man atmet. Das kann einige Wochen dauern.«

      »Wow«, haucht Precious fasziniert und blickt zu ihrer Mutter zurück, die sich von ihrem Schönheitsschlaf nicht ablenken lässt.

      »Precious?«

      »Ja?« Mit dem Blick auf ihre Mutter gerichtet, lässt sich die Maus nicht davon abhalten Neve zu beobachten.

      »Du weißt doch was Mummy gearbeitet hat, bevor sie krank geworden ist, nicht wahr?« Precious nickt.

      »Und du weißt auch, was ich arbeite, richtig?« Wieder nickt Precious.

      »Was möchtest du denn später mal arbeiten, wenn du groß bist?« Precious rutscht auf Sams Schoß hin und her und zerquetscht ihr dabei fast die Oberschenkelmuskeln.

      »Ich möchte Polizistin werden. So wie Mummy.« Plötzlich schmerzen die Oberschenkel gar nicht mehr. Im Gegenteil, alles in Sams Körper fühlt sich mit einem Mal taub und regelrecht tot an. Sam weiß nicht wie sie mit dieser Antwort umgehen soll. Ein Teil ihres Traums von letzter Nacht soll tatsächlich wahr werden? Precious will wirklich Polizistin werden? Ist das ihr Ernst?

      Sam kann sich irgendwie nicht so recht für die berufliche Zukunft ihrer Tochter freuen, auch wenn sie weiß, dass es eigentlich das Richtige ist. Aber nach diesem Traum fühlt sich für Sam so einiges nicht mehr richtig an.

      Selbst der Gefühlsausbruch den sie die Nacht bei Neve hatte, fühlte sich nicht richtig an. Zurückhalten konnte sie ihn dennoch nicht. Sie weiß, dass sie einfach nicht ohne Neve sein kann. Sie dann aber mit offenen Augen zu sehen und zu wissen, dass Neve weiterleben wird,


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